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Adolf Wüster nahm als vielschichtiger Akteur eine zentrale Rolle auf dem französischen Kunstmarkt während der deutschen Besatzung ein. Zunächst als unabhängiger Kunstvermittler insbesondere für deutsche Museen und HändlerInnen tätig, war er ab Juni 1942 offiziell als Kunstreferent des Auswärtigen Amts mit dem Titel Konsul tätig. Während der gesamten Zeit war er als persönlicher Kunsteinkäufer für die Sammlung des Reichsaußenministers Joachim von Ribbentrop verantwortlich. Er war nachweislich am Transfer von Raubkunst beteiligt.

Ausbildung und Werdegang als Maler

Am 30. Dezember 1888 in Wuppertal-Barmen geboren,1 besuchte Adolf Wüster zunächst die lokale Kunstgewerbeschule und ging 1908 nach München zur Ausbildung an der privaten Kunstschule von Heinrich Knirr.2 1912 folgte er dem Strom seiner kunstschaffenden ZeitgenossInnen in die französische Hauptstadt an den Montparnasse, wo er – mit einer Unterbrechung im Herbst 1913, als er sich an der Münchener Akademie der Künste einschrieb –3 bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges, zeitweise auch im Künstlerquartier der Rue Belloni 7 lebte.4 Er bewegte sich in den Kreisen des Café du Dôme sowie des Café de la Rotonde, die von den KünstlerInnen Rudolf Levy, Hans Purrmann, Wilhelm Uhde, Walter Bondy und Jules Pascin, André Derain, Moïse Kiesling, Piet Mondrian geprägt wurden, Amedeo Modigliani galt als enger Freund Wüsters.5 Konkrete Einflüsse und Bekanntschaften lassen sich hier dennoch nicht mehr eindeutig nachweisen.

In diesen Jahren begann für Adolf Wüster die internationale, doch vor allem die deutsch-französische Vernetzung in der Kunstwelt. 1913 stellte er in der juryfreien Kunstschau der Vereinigung Bildender Künstler e.V. Berlin im Kunstsalon am Kurfürstendamm,6 in Wien auf der Internationalen Schwarz-Weiß-Ausstellung7 und 1914 schließlich im Salon des Indépendants in Paris aus.8

Zu Beginn des Erstes Weltkrieges musste er Paris verlassen, sein Wohnungsinventar wurde als Feindesgut vom französischem Staat beschlagnahmt.9 Von 1915 bis 1918 war Wüster im Kriegsdienst im Saarland und an der Westfront eingesetzt.10 Vom Ende des Krieges bis 1924 lebte er unter anderem in Berlin, wo er 1919 mit der jüngst gegründeten Novembergruppe ausstellte,11 sowie in München. Hier lernte er seine zweite Ehefrau,12 die 1901 in Sewastopol geborene Nadjescha, genannt Nadine, Gavrichenko, kennen. Seit Ende 1924 hielten sie sich gemeinsam zunehmend in Frankreich auf, darunter in Paris und Barbizon.13 1926 nahm Wüster am Salon d’Automne teil, im April 1927 wurden seine Werke in einer Ausstellung in der von Jacques Goldschmidt geführten Pariser Galerie Jacques Callot gezeigt.14

Dennoch war Wüster in den Jahren zwischen 1919 und 1932 vor allem in Deutschland als Künstler vertreten, insbesondere in rheinischen Künstlervereinigungen und auf Ausstellungen lokaler Kunstvereine sowie in Galerien und auf einzelnen Auktionen.15 Unter der nationalsozialistischen Kulturpolitik minderten sich die Ausstellungsmöglichkeiten auch für den dem Expressionismus zugeschriebenen Adolf Wüster; 1937 wurde eines seiner Werke aus der Ruhmeshalle in Wuppertal-Barmen im Zuge der Beschlagnahmeaktion ‚Entartete Kunst‘ entwendet und zerstört.16

Anfänge als Experte auf dem Paris Kunstmarkt

Zeitgleich entwickelte er sich jedoch zunehmend zu einem Akteur des Kunstmarktes, zum marchand amateur [~Amateurhändler] und – basierend auf seiner Profession als Künstler – zum Kunstexperten. Obwohl er seit den späten 1920er Jahren zunehmend und seit spätestens 1930 fest in Paris – hier in der Rue Belloni Nr. 4 – lebte,1 hielt er weiterhin Kontakt zum deutschen Kunstmarkt durch das Vermitteln von Kunstwerken und die Anfertigung von Expertisen.2 Eine zentrale Rolle ist hierbei auch seiner zweiten Ehefrau zuzurechnen. Sie brachte nicht nur eigenen Kunstbesitz mit in die Ehe,3 es waren wohl auch ihre familiären Kontakte in höhere Kreise, von denen Adolf Wüster profitierte.4 Einige der Kontakte, die er in diesem Zeitraum in Paris aufbaute, die auch während der Besatzung noch eine Rolle spielen würden, waren der Kunstexperte und Auktionator André Schoeller, die Händler Gustav Rochlitz, Arthur Pfannstiel, René Graf Avogli-Trotti und der Duc de Trévise (1883-1946).5 Außerdem war Adolf Wüster mit dem jüdischen Sammler Richard Götz (1874-1954) sowie mit Walter Pach (1883-1958) befreundet, und er war bekannt mit Adolphe Basler (1878-1951).6 Hier zeigt sich, in welchem Maße sich Wüsters Wirkungsradius über KünstlerInnenkreise hinaus auf sämtliche AkteurInnen der Kunstwelt erweitert hatte. Insbesondere in den 1930er Jahren baute das Ehepaar Wüster außerdem seine Privatsammlung auf.7

1939 verließen sie kriegsbedingt Paris und lebten zunächst in Wuppertal, dann in München. Adolf Wüster selbst sagte aus, er habe versucht, dort als Kunsthändler Fuß zu fassen.8 Allerdings war er in dieser Zeit „mit Hilfe seiner Frau, einer geborenen Russin“9 (auch) in der Abwehrstelle der Wehrmacht eingesetzt.

Kontakt zu Ribbentrop und Rückkehr nach Paris

Laut eigener Aussage lernte Adolf Wüster durch Vermittlung des Kölner Kunsthändlers Hermann Abels, der noch im Sommer 1940 einige Werkangebote für die Privatsammlung Ribbentrops gemacht hatte, den Reichsaußenminister kennen, den Wüsters Expertise in Kunstfragen überzeugte. Auf dessen Initiative hin habe Wüster, der eine Rückkehr in seine Wahlheimat Paris anstrebte, ein Visum erhalten und sei bei der Deutschen Botschaft in Paris vorstellig geworden.1

Ab November 1940 lassen sich auch erste Verkäufe und Vermittlungen von Kunstwerken durch Adolf Wüster für deutsche, vor allem rheinische Museen auf dem französischen Kunstmarkt nachweisen.2 Auch für das Auswärtige Amt und die Privatsammlung Ribbentrops erwarb er bereits zu diesem Zeitpunkt Kunstwerke.3 Wüster selbst sagte aus, er sei bis zum „Ausbruch des Rußlandfeldzuges“4 dort eingesetzt worden – das war schließlich erst im Sommer 1941. Daher ist fraglich, ob ein Einsatz in Paris nicht auch vor dem Hintergrund der Abwehrleitstelle befürwortet wurde.

Vermittler für deutsche Museen

Als noch unabhängiger Kunstvermittler entwickelte sich Adolf Wüster in den folgenden Monaten durch verschiedene Dienstleistungen zu einem zentralen Akteur für deutsche KäuferInnen. Hier sind die Direktoren und Museumsvertreter Franz Rademacher für das Landesmuseum Bonn, Hans Joachim Apffelstaedt von der Provinzialverwaltung der Rheinlande, Hans Wilhelm Hupp für die Museen in Düsseldorf, Friedrich Muthmann für das Kaiser-Wilhelm-Museum in Krefeld, Heinz Köhn für Essen, Otto Förster für Köln und Kurt Martin für die Museen Karlsruhe und Straßburg zu nennen.1 Er vermittelte Kunstwerke und Kontakte zu französischen HändlerInnen, übernahm das Fotografieren und Reservieren von Kunstwerken in Galerien und Kunsthandlungen sowie das Mitbieten auf Auktionen.2 Die französischen HändlerInnen, AuktianatorInnen und ExpertInnen mit denen Wüster zusammenarbeitete, waren u. a. Raphaël Gérard,3 Étienne Donath,4 Alice Manteau,5 Georges Gairac, die Brüder Kalebdjian, Victor Mandl, J. O. Leegenhoek,6 Alphonse Bellier,7 Maurice Renou et Pierre Colle,8 Pierre Landry, Charles Raton/Ratton,9 Martin Fabiani, Etienne Bignou und André Schoeller.10

Adolf Wüster ist wohl insbesondere deshalb für deutsche Museen „der wichtigste Vermittler in Paris gewesen,“11 weil er durch das Übermitteln von Geld an die VerkäuferInnen, das Beantragen von Exportlizenzen, das Ausstellen von Rechnungen auf seinen Namen und schließlich auch die durch Kommunikation mit dem Kunstschutz die Abläufe der Ankäufe sowie die Ausfuhr beschleunigte.12 Dass er über den Zugriff auf ein Konto bei der Pariser Reichskreditkasse verfügte,13 ermöglichte ihm, bei Erwerbungen für deutsche Museen in Vorleistung zu treten,14 denn das Beantragen des Clearingverfahrens verzögerte den Erwerb von Kunst und erschwerte jegliche Flexibilität und Spontanität für deutsche KäuferInnen.15

Neben deutschen Museen vermittelte er Kunstwerke an die für den „Sonderauftrag Linz“ tätigen deutschen KunsthändleInnen Karl Haberstock,16 Maria Almas-Dietrich17 und Hildebrand Gurlitt18 sowie an Privatleute oder andere Parteiangehörige, darunter der Direktor der Mannheimer Filiale der Dresdner Bank, Philipp Frank, und der Leiter der Protokollabteilung des Auswärtigen Amts, Alexander von Dörnberg (1901-1983).19

Als Wüster im Juni 1942 in ein gesicherteres Angestelltenverhältnis beim Auswärtigen Amt trat und ihm eine unabhängige, offene Handelstätigkeit nicht mehr möglich war,20 übernahm Nadine Wüster einen Großteil der Vermittlungsarbeit. Zwar muss angenommen werden, dass sie bereits vor diesem Zeitpunkt in großem Maße in die Geschäftstätigkeit ihres Mannes involviert war, doch trat sie nun noch stärker in den Vordergrund. In Zusammenarbeit mit dem gemeinsamen Freund Graf Avogli-Trotti vermittelte sie weiterhin Kunstwerke an die deutschen GeschäftspartnerInnen und übernahm weitere Dienstleistungen.21

Kunstreferent des Auswärtigen Amts und der Deutschen Botschaft

In seiner Tätigkeit für die Deutsche Botschaft und das Auswärtige Amt – der „Leitung der kuenstlerischen Ausstattung von Gesandtschaften und Botschaften“1 – bewertete und entschied Adolf Wüster über Angebote von Kunstwerken, die von verschiedenen Konsulaten, Gesandtschaften und Botschaften des Deutschen Reiches an das Auswärtige Amt gerichtet wurden, um sie „spaeter an die verschiedenen Botschaften zu verteilen“,2 wie Ribbentrop selbst nach dem Krieg aussagte. Wüster übernahm selbst Ankäufe von Kunstwerken in Paris, in der unbesetzten Südzone Frankreichs sowie in der Schweiz, in Österreich, Dänemark, Schweden und Deutschland, schließlich ermöglichte ihm der Konsulstatus ein vereinfachtes Passieren der Grenzen. Allerdings lässt sich in den Quellen nicht immer differenzieren, ob er für die Ausstattung der Botschaft in Paris, im Auftrag des Auswärtigen Amts oder Ribbentrops auf Ankaufsreise war.3

Wüster übernahm außerdem die Kommunikation zwischen der Deutschen Botschaft und verschiedenen Reichsstellen und -organisationen, wie dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) oder dem Kunstschutz. Ein Beispiel dafür ist die Absprache zwischen Botschaft und ERR im Frühjahr 1943 als Reaktion auf die im britischen Rundfunk verbreitete Nachricht, die Deutschen hätten „das berühmte Gemälde der Mona Lisa […], ebenso die bekannte Statue der Nike“4 beschlagnahmt. Adolf Wüster erwirkte durch „Vermittlung des hiesigen Kunstschutz OKVR Dr. Kuetgens vom Cabinet du Secrétaire d’Etat de l’Éducation Nationale [eine] vorgeschlagene und durch Radio bekannt gegebene Erwiderung.“5

Verbindung zum ERR und Umgang mit Raubkunst

Bereits die Alliierten stellten in ihren Untersuchungen fest, dass „W[üsters] Verbindung zum E.R.R. enger [war], als er zugeben will.“1 Er selbst gab den Vertrauten von Kurt Baron von Behr, Arthur Pfannstiel, als eine Vorkriegsbekanntschaft an,2 dem späteren Leiter der Abteilung Bildende Kunst des ERR und Vertrauten Görings, Bruno Lohse, stand Wüster freundschaftlich nah.3 Wüster und Lohse ermöglichten gemeinsam mit dem in Paris stationierten General Edgar Feuchtinger (1894-1960) dem Düsseldorfer Händler Hans Bammann, dass dieser statt seiner Einberufung im Dezember 1943 dem Einsatzstab zugeteilt wurde.4 Im Januar 1944 bewertete Wüster einen Bestand von 60 modernen Werken des ERR, den Lohse mit den Händlern Roger Dequoy und Martin Fabiani gegen sieben altmeisterliche Gemälde eintauschen wollte.5

In seiner Tätigkeit bei der Deutschen Botschaft war er nicht in die Beschlagnahmen jüdischer Sammlungen unter Otto Abetz involviert, die zu Beginn der Besatzung durchgeführt wurden. Dennoch hatte Wüster direkten Umgang mit den in diesem Rahmen beschlagnahmten Kunstwerken. Nicht nur, dass er damit beauftragt wurde, die in der Botschaft verbliebenen Bestände zu fotografieren oder einzelne Objekte nach München zum Führerbau zu schicken.6 Er war dafür verantwortlich, die im Sommer 1940 von der Deutschen Botschaft beschlagnahmten Werke aus jüdischem Besitz, die als „entartete Kunst“ eingestuft wurden, auf dem Pariser Kunstmarkt „abzustoßen.“7 Zu welchem Zeitpunkt das passierte, ist den Quellen nicht zu entnehmen.

Auch in seiner Rolle als Einkäufer für die Sammlung Joachim von Ribbentrops erwarb er drei Werke durch Tausch aus dem Bestand des Jeu de Paume: jeweils ein Werk von Maurice Utrillo, Eugène Delacroix und Gustave Courbet.8 Während ein weiterer Teil der Sammlung des Reichsaußenministers aus Objekten bestand, die von der Botschaft im Sommer 1940 aus jüdischen Sammlungen geraubt wurden,9 erwarb Wüster weitere Kunstwerke auf dem Kunstmarkt.10

Zwar kann nachgewiesen werden, dass Wüster sich für den Ankauf von Kunstwerken auch auf dem Schweizer Kunstmarkt bewegte,11 die von den Alliierten geäußerte Vermutung jedoch, er habe gemeinsam mit Charles Montag und Etienne Bignou einen Teil der Sammlung Bernheim-Jeune der Galerie Tanner zum Verkauf angeboten,12 konnte bisher nicht bestätigt werden.

Kriegsende und Folgezeit

Nach der Auflösung der Deutschen Botschaft in Paris und der Befreiung Frankreichs hielt sich das Ehepaar Wüster an verschiedenen Orten auf, darunter in dem von General Edgar Feuchtinger bewohnten Gut Habighorst bei Celle sowie in Schloss Thalhausen, in dem die Kunsthändlerin Maria Gillhausen als gute Freundin des Eigentümers Ludwig Graf von Holnstein (1897-1966) lebte. An beiden Orten brachte Wüster Teile seiner Kunstsammlung unter, die im Laufe des Jahres 1945 von den Alliierten geborgen wurden.1

Als zentraler Akteur des Kunstraubes in Frankreich identifiziert, wurde Adolf Wüster mehrfach von den westlichen Alliierten zur Entstehung der Sammlung Joachim von Ribbentrops und seiner eigenen Sammlung befragt, was in den Folgejahren zu einigen Restitutionen von Kunstwerken nach Frankreich führte.2 Obwohl (zumindest kurzzeitig) von der französischen Regierung seine Auslieferung für einen Prozess als Kriegsverbrecher gefordert wurde, blieben weitere Schritte aus.3 Rose Valland äußerte selbst mehrfach, sie habe den Eindruck, dass Adolf Wüsters Aussagen in den Befragungen der Wahrheit entsprächen und er wolle „même au prix de sacrifiées [sic] personnels arranger ses affaires avec la France.“4

Seit 1946 lebten Adolf und Nadine Wüster in München, wo der ehemalige Konsul mit der befreundeten Maria Gillhausen die Kunsthandlung unter ihrem Namen weiterführte. Das Geschäftsverhältnis währte bis zum Tod der Händlerin 1948.5


Adolf Wüster führte in den folgenden Jahrzehnten sein Leben als Kunstvermittler und -experte ohne eigene Geschäftsräume weiter.6 Er nahm den Handel mit alten Bekannten in Deutschland, wie Hildebrand Gurlitt,7 wieder auf und auch zu den französischen HändlerInnen schien sich der Kontakt im Laufe der Nachkriegsjahre wiederbelebt zu haben.8 Wüster betätigte sich außerdem wieder als Künstler und wurde noch in zwei Ausstellungen in der Galerie Daberkow in Frankfurt und der Galerie Interkunst in München gewürdigt.9 Er starb am 15. Februar 1972 in München.10