ROCHLITZ Gustav (DE)
Gustav Theodor Rochlitz, geboren am 2. April 1889 in Bromberg (heute Bydgoszcz in Polen) in der Provinz Posen (heute Poznań), war ein deutscher Kunsthändler, der zwischen 1921 und 1972 aktiv war. Er wurde während der deutschen Besatzung erheblich reicher, vor allem durch den regen Austausch von Kunstwerken mit den NS-Dienststellen für Plünderungen.
Ausbildungsjahre und Niederlassung in Paris
1908, kommt Gustav Rochlitz im Alter von 19 Jahren nach Berlin, um dort drei Jahre lang Bühnen- und Staffeleimalerei zu studieren. Im Anschluss arbeitet er bis 1914 als freier Maler. Aufgrund seines Gesundheitszustands wird er nicht zum Wehrdienst eingezogen und stattdessen den Hilfsdiensten zugeteilt. 1917 wird der junge Künstler nach Brüssel und Gent geschickt, wo er als ziviler Illustrator für eine deutsche Zeitschrift arbeitet, die in Belgien veröffentlicht wird.1 Er sagt selbst, dass es Wilhelm von Bode war, der bekannte Direktor der Berliner Museen, den Rochlitz kurz nach dem Krieg traf, der ihn dazu ermutigte, Kunsthändler zu werden. 1921 beginnt er, zuerst in kleinem Rahmen, mit Kunst zu handeln und reist durch ganz Europa, insbesondere nach Italien und Holland, um Gemälde zu kaufen.
Zwischen 1924 und 1930 eröffnet er seine eigene Galerie in Berlin, in der Friedrichstraße 1, obwohl er ab 1925 den Großteil seiner Zeit außerhalb von Deutschland verbringt. Im selben Jahr beginnt seine Zusammenarbeit mit der Galerie Weder im Schweizer Luzern, die bis 1928 andauert. Kurze Zeit später geht er auch eine Partnerschaft mit dem Kunstsalon Stoeri in Zürich ein. Hinzu kommt eine Assoziation mit der Galerie van Diemen in Berlin, die von Eduard Plietzsch (1886-1961) geleitet wird. Als der Kunstsalon Stoeri 1931 Konkurs anmeldet, schätzt Gustav Rochlitz seine Verluste auf 260.000 Schweizer Franken.2 Kurz danach eröffnet er die Galerie Muralto in Zürich, die er im Auftrag eines Schweizer Bankiers mit Namen Guhl leitet. 1932 organisiert Rochlitz hier eine Ausstellung Alter Meister, die in der Presse gefeiert wird. Die Schweiz verweigert ihm jedoch die Erlaubnis offiziell ein Geschäft in der Schweiz zu führen, a priori aufgrund seiner deutschen Staatsbürgerschaft. Nach Aussage von Rochlitz hat ihm der Erfolg der Ausstellung die Feindschaft von Theodor Fischer (1878-1957) eingebracht, einem Kunsthändler aus Luzern, der die Schweizer Regierung davon überzeugt haben soll, Rochlitz wegen „unlauteren Wettbewerbs“3 aus der Berufsgenossenschaft auszuschließen. Es ist allerdings anzumerken, dass die beiden Kunsthändler zwischen 1925 und 1927 zusammengearbeitet hatten.4 Einer der Berichte zu Rochlitz aus dem Jahr 1946 lässt vermuten, dass er zuerst Deutschland 1925 und dann die Schweiz 1932 aufgrund zweifelhafter Geschäftspraktiken verlassen musste.5
1933 verlässt Rochlitz jedenfalls die Schweiz und geht nach Paris, wo er eine Galerie unter seinem Namen eröffnet (die im Handelsregister festgehaltene Anmeldung erfolgt am 24. März 1934).6 Nach der Cité Bergère im Viertel Faubourg Montmartre in der Nähe der Rue Drouot, lässt er sich 1936 in der 222, Rue de Rivoli nieder. Er reduziert nun seine Reisen und konzentriert sich hauptsächlich auf Belgien und Holland, in seltenen Fällen besucht er Italien. Am 1. August 1937 wird die S.A.R.L. [GmbH] „Établissement Rochlitz“ gegründet, mit Gustav Rochlitz, Wally Hackebusch, seiner zweiten Ehefrau, und Édouard Weil, seinem Buchhalter, der seinen Wohnsitz in der Rue du Faubourg Poissonnière hatte, als Gesellschafter. Zwischen 1933 und 1940 erhält Édouard Weil zwei bis drei Prozent der Nettojahresgewinne der GmbH. 1940 verliert sich jedoch seine Spur. Rochlitz gibt später an, dass er erfolglos versucht habe, ihn zu kontaktieren. Er sei davon ausgegangen, dass Weil, der Jude war, sich versteckte, um den antisemitischen Verfolgungen zu entgehen. Die Gesellschaft wird am 31. Januar 1941 aufgelöst und das Geschäft wird nun bis zum 24. April 1944 ausschließlich von Gustav Rochlitz weitergeführt. Nach diesem Datum wird es wieder zu einer S.A.R.L., mit Rochlitz und Henriette Papazian (1900-1946), geborene Breton, wohnhaft in 12, Villa Poirier im 15. Arrondissement von Paris, als Gesellschafterin.
Bereits vor dem Krieg zählte Gustav Rochlitz wichtige Persönlichkeiten und Freunde der französischen Kunstwelt zu seinen Unterstützern, wie den Sammler Édouard Mortier (1883-1946), Herzog von Treviso, die Museumskuratoren Hans Haug (1890-1965) und René Huyghe (1906-1997). Die Zeitung Le Progrès de la Côte-d’Or [Der Fortschritt der Goldküste] erwähnt in seiner Ausgabe vom 26. März 1939 beispielsweise den Erwerb eines Frauenporträts der italienischen Schule des 16. Jahrhunderts, das Gustav Rochlitz an das Museum von Dijon für 15.000 Francs verkauft hatte. Er ist außerdem ein enger Bekannter des Kunsthändlers Ernest Ascher (1888-c. 1953), der in der rue Jacques Callot wohnt, und des deutschen Malers und Sammlers Richard Goetz (1874-1954). Es verbindet ihn eine wichtige berufliche Beziehung mit niederländischen Akteuren, wie dem Antiquitätenhändler Piet de Boer (1894-1974) und den Kunsthändlern D. A. Hoogendijk und Katz.7 Einem Bericht der Kommission Vaucher zufolge, hätten es ihm seine Verbindungen auf dem französischen und europäischen Kunstmarkt erlaubt, schon vor dem Krieg, mit der Aussicht auf zukünftige Ankäufe Nachforschungen anzustellen und Informationen zu Sammlungen in jüdischem Besitz zusammenzutragen.8 Er sagt jedoch später aus, dass er als Flüchtling und politisch Verfolgter nach Frankreich kam, auch wenn er in zweiter Ehe 1936 seine Geschäftspartnerin und Berliner Geliebte Wally Hackebusch heiratet, die ihre „deutlichen Sympathien für Hitler nicht im Geringsten verbarg“.9 Das Paar beantragt die französische Staatsbürgerschaft, der Prozess wird jedoch durch den Kriegsausbruch unterbrochen. Einige Monate vorher konnte Rochlitz jedoch die französische Staatsbürgerschaft für seine Tochter Sylvia, geboren 1934, erlangen.
Die ersten Verkäufe nach dem Beginn des Zweiten Weltkriegs
Mit dem Ausbruch des Krieges im September 1939 wird Gustav Rochlitz durch die französische Regierung als „Angehöriger feindlicher Mächte“1 eingestuft und im Lager von Colombes (Hauts-de-Seine) im Stadion Yves-du-Manoir interniert. Nach zwei oder drei Wochen wird er dank der französischen Staatsbürgerschaft seiner Tochter entlassen. Die Angst vor einer deutschen sogenannten „fünften Kolonne“, deren Mitglieder als im Untergrund im deutschen Interesse arbeitend gefürchtet wurden, bringt ihn im April 1940 erneut in ein Internierungslager, diesmal in Bassens (Gironde). Am 20. Juni 1940, nach dem Einzug der Deutschen in Paris, wird Rochlitz durch die NSDAP-Auslandsorganisation (NSDAP/AO) befreit. Während seiner Internierung wurden seine Besitztümer in einem Bankschließfach2 und in seiner Wohnung Rue de Rivoli aufbewahrt, wo er auch von November bis Dezember 1940 wohnte.
Gustav Rochlitz sagt später aus, dass ihn Freunde zu dieser Zeit darüber informierten, dass viele deutsche Repräsentanten, Kunsthändler und Museumsbeamte massiv auf dem Pariser Kunstmarkt einkauften. Es sei ihm geraten worden „sich nicht zu verstecken“ und sein Geschäft wieder zu eröffnen, um von dieser günstigen Gelegenheit zu profitieren. Er erklärte dazu im Juni 1946: „[W]ährend der Besatzung wollte ich keinen Verkauf durchführen, ich habe mich mehrere Monate versteckt, aber ich konnte nicht die ganze Zeit unentdeckt bleiben“.3 Nach einer relativ kurzen Phase ohne Aktivität, öffnet Rochlitz sein Geschäft im November 1940 wieder und verkauft in großem Umfang an die Deutschen. Sein erster Verkauf wurde durch den Maler und Kunsthändler Adolf Wüster vermittelt. Er arbeitete im Auftrag von Dr. Hans Wilhelm Hupp, dem Direktor des Kunstmuseums Düsseldorf, den Rochlitz in Deutschland kennengelernt hatte.4 Wüster erhält 20 Prozent des Nettogewinns des Verkaufs von zwei kleinen holländischen Meistern des 17. Jahrhunderts.5
Zum gleichen Zeitpunkt verkauft Rochlitz eine Verkündigung,6 die dem Meister von Meßkirch zugeschrieben wurde, an Karl Haberstock. Der Berliner Kunsthändler, der in den höheren Kreisen der Nationalsozialisten besonders gut eingeführt war, wurde von Hans Posse (1879-1942) begleitet. In den ersten Monaten seiner Tätigkeit schließt er außerdem Geschäfte mit Maria Almas-Dietrich (1879-1942) aus München ab, die ihm von Wüster vorgestellt wurde,7 sowie mit Franz Rademacher des Rheinischen Landesmuseums in Bonn.8 Es ist möglich, dass Adolf Wüster an den meisten dieser Transaktionen beteiligt war.9 Rochlitz verkauft unter anderem an elsässische Institutionen, die deutsch geworden waren, wie an das Musée des Beaux-Arts in Straßburg mit seinen Direktor Kurt Martin (1899-1975), der beispielsweise 1941 ein Gemälde kauft, das sieben Kirchenwürdenträger zeigt, die von einem Meister der Faltenwurfstudien gemalt wurden.10
Die Tauschgeschäfte im Musée du Jeu de Paume und die Sondierung des französischen Kunstmarktes
Im Februar desselben Jahres wird Rochlitz von Bruno Lohse besucht, Mitglied des Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR), der im Auftrag Hermann Görings arbeitet. Er informiert Rochlitz über den bevorstehenden Besuch des Reichsmarschalls in Paris und fragt ihn, ob er außergewöhnliche Malereien besitze, die er ihm verkaufen könnte. Rochlitz bietet Bruno Lohse ein Porträt eines Mannes an, das Tizian1 zugeschrieben wird und ein großes Stillleben von Jan Weenix. Lohse bringt beide in das Jeu de Paume, um sie in der Ausstellung zu präsentieren, die für Göring vorbereitet worden war. Lohse kehrt acht bis zehn Tage später zurück und erklärt, dass der Reichsmarschall den Kauf zu dem zu hoch erachteten Preis ablehne, die Bilder jedoch durch Tausch erwerben möchte. Nach Aussage Rochlitz’ habe Lohse ihm deutlich gemacht, dass er keine andere Wahl habe, als das Geschäft zu akzeptieren, wenn er nicht „die Konsequenzen für eine Ablehnung tragen wolle.“ Der Tauschhandel wird also abgeschlossen und für die zwei Gemälde erhält Rochlitz elf französische Gemälde des 19. und 20. Jahrhunderts.2 Es handelt sich um den ersten Tausch von sogenannter „entarteter Kunst“ gegen altmeisterliche Werke.3
Neben Bruno Lohse ist der deutsche Kunsthändler Hans Bamman, der als Käufer insbesondere für die Museen von Düsseldorf, Köln, Aachen und Bonn aktiv ist, eine besonders wichtige Kontaktperson des ERR für Rochlitz. Der Hauptanteil seiner Geschäfte mit dem Einsatzstab wird aber über Lohse abgewickelt. Rochlitz sagt weiter aus, dass er Göring nie persönlich getroffen und nur ein oder zweimal Kontakt mit dem Verantwortlichen seiner persönlichen Sammlung, Walter Andreas Hofer, gehabt habe.4 Diese wenigen Kontakte genügen jedoch, um zwischen dem 3. März 1941 und dem 27. November 1942 18 Kunsttausche mit dem ERR durchzuführen, dabei erhält er 82 beschlagnahmte Gemälde5 im Austausch für ungefähr 35 Kunstwerke, vielleicht sogar mehr.6 Dank dieser ergiebigen und scheinbar unerschöpflichen Quelle von Raubkunstwerken kann Gustav Rochlitz seine Aktivitäten auf dem französischen Kunstmarkt ausbauen. Unter seinen Kunden finden sich zahlreiche Kunsthändler- oder Kunstvermittlerkollegen, wie Alfred Klein, Mademoiselle Levy, Yves Perdoux, Raphaël Gérard, Paul Cailleux, Pierre Landry und Paul Pétridès, der bei ihm Kunstwerke aus der beschlagnahmten Sammlung Paul Rosenbergs kauft, aber auch Ignacy Rosner oder Jean-Paul Duthey. Mit letzterem tauscht Rochlitz ein Porträt von Goya aus der Sammlung John Jaffé. Hildebrand Gurlitt, Einkäufer für die Museen in Dresden und Hamburg zählt zu seinen Kunden7 und weitere Geschäfte laufen mit dem Künstler Philippe Lucien Adrion, der dafür bekannt war, mit der Pariser Propagandastaffel zusammenzuarbeiten. Rochlitz hat darüber hinaus über die Kunsthistoriker Josef Mühlmann und Eduard Plietzsch Verbindungen zur Dienststelle Mühlmann.8 Eng verbunden war er auch mit dem in Luzern lebenden ungarischen Staatsbürger Graf Alexander von Frey, der aus der Schweiz ebenfalls mit Lohse Tauschaktionen von Kunst durchführte.
Ab 1941 erwirkt Lohse für Rochlitz einen Passierschein des Reichsmarschalls, der es ihm ermöglicht uneingeschränkt zwischen den Zonen zu zirkulieren. Im Gegenzug reserviert Rochlitz Göring das Vorkaufsrecht auf alle Werke, die er in der freien Zone kauft. Rochlitz soll zwischen 1941 und 1943 fast zehnmal von Paris an die Côte d’Azur gereist sein, wo er beispielsweise Werke von Thierry kauft, einem Kunsthändler, der in Paris und Nizza aktiv ist. Er nimmt auch wieder Kontakt mit Wiesner auf, einem unter deutschen Käufern an der Côte d‘Azur9 „sehr bekannten“ tschechischen Vermittler, den Rochlitz schon vor dem Krieg kannte. In Nizza trifft er auch vereinzelt auf geflüchtete Kunsthändler, wie den jüdischen Ungarn Sandor Donáth, den Spanier Paolo Aflallo de Aguilar oder den Deutschen Ward Holzapfel.10 Seine künstlerischen Sondierungsreisen bringen ihn bis nach Montpellier, und Rochlitz korrespondiert häufig mit Haberstock, um ihn über seine Entdeckungen zu informieren.11
Nachdem Rochlitz 1944 zum Oberst der Kommandantur von Nizza ernannt wird, setzt er sich in der Region auch für seine jüdischen Kollegen ein, um deren Schicksal er sich nach eigenen Angaben sorgte: Durch seine Beziehungen zu Bruno Lohse war er offenbar über die für den Sommer 1944 geplanten Massenverhaftungen französischer Juden informiert.12 Rochlitz, wie auch Wendland, ist mit der Ehefrau des Kunsthistorikers August Liebmann Mayer (1885-1944) befreundet. Dieser ist zunächst nach Nizza geflohen und später, während des Kriegs, lebte er in Monte Carlo, bevor er verhaftet und deportiert wurde.13 Mehrfach überbringt Rochlitz ihm Briefe seiner Frau, die in Paris geblieben war. August Liebmann Mayer stellt Rochlitz 1942 den mit ihm befreundeten Kunstkenner Jean Dutey vor, dessen Geschäftssitz sich in 9, Rue Crevaux in Paris befindet.14 Nach dem Krieg wird Jean Dutey im gegen Rochlitz angestrengten Prozess dessen „deutlich antinationalsozialistische“15 Einstellung bezeugen.
Die Beziehungen zum ERR
Die konfiszierten Bilder, die Rochlitz vom ERR erwirbt, verkauft er an andere Händler auf dem Kunstmarkt in Frankreich, zeitweise mithilfe der Zusammenarbeit mit der Pariser Filiale der Transportfirma Kühne & Nagel. Andere Verkäufe gehen direkt in die Schweiz und nach Deutschland.1 Er ist sich über die Herkunft der von ihm eingetauschten Werke völlig bewusst. Darüber hinaus sagt er nach dem Krieg aus, dass „den Händlern der Ursprung der Bilder, die ich ihnen verkaufte, bekannt war. Genau wie das ganze restliche Paris, dass sich mit Malerei auskannte, wussten sie, dass es sich um beschlagnahmte und geraubte Bilder handelte.“2
Mit dem Verkauf an NS-Funktionäre und hohe Amtsträger wollte sich Rochlitz auch als führender Akteur in deutschen Kunstkreisen der französischen Hauptstadt positionieren, die er in seiner Residenz in der Rue de Rivoli „prächtig“3 bewirtete. Die Ergebnisse dieser Strategie ließen nicht auf sich warten und bereits am 16. März 1941 bezeugt ihm Kurt von Behr (1890-1945), verantwortlich für die französische Abteilung des ERR, seine großartige Arbeit für den Einsatzstab und den Reichsmarschall. Er ordnet an, dass ihm alles zur Verfügung gestellt werden solle, um seine Tätigkeit so weit wie möglich zu erleichtern.4
Als er nach dem Krieg von den Alliierten vernommen wird, versucht Rochlitz, seine Beteiligung herunterzuspielen, indem er erklärt, er habe sich nur widerwillig am Handel mit geraubten Bildern beteiligt. Er stellt sich außerdem als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus dar, der die französische Staatsbürgerschaft angestrebt habe. Um sich aus der Verantwortung zu ziehen, berichtet Rochlitz außerdem, dass Bruno Lohse und Robert Scholz „sehr oft in fast hysterischer Art von der ‚entarteten‘ Natur der modernen französischen Werke“5 sprachen, die auf keinen Fall nach Deutschland gebracht werden könnten und deshalb eher verbrannt werden sollten, als ihren Besitzern zurückgegeben zu werden. Rochlitz führt hier an, dass er durch sein Handeln die moderne Kunst „gerettet“ habe. Er sagt aus, dass er immer davon ausgegangen sei, dass „er eines Tages eine Möglichkeit finden würde, sich mit den legitimen Besitzern in Verbindung zu setzen um ihnen die Werke zurück zu geben.“6
Diesen Behauptungen wurde jedoch von Lohse und Scholz deutlich widersprochen, die in ihren Vernehmungen nach dem Krieg beide aussagten, dass Rochlitz aus eigenem Antrieb gearbeitet und sich um die Zusammenarbeit mit dem ERR bemüht habe. Dieser Handel ermöglichte ihm spektakuläre Gewinne, da die Tauschgeschäfte mit den Kunstwerke hinsichtlich des internationalen Kunstmarkts, zumeist zu seinem Vorteil erfolgten. Mehrmals habe er im Verhältnis zehn Gemälde im Tausch für ein einziges erhalten, von denen jedes einzelne bereits mehr Wert gehabt habe, als das Objekt, von dem er sich dafür trennte.
Zu den Werken, die so in seinen Besitz gelangten, war eine ganze Reihe Meisterwerke der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts. Deren Wert habe sich in Friedenszeiten verzehnfacht, dagegen hätten die sogenannten „Alten Meister“ mit fragwürdigem Wert, aber bei den Nazis stark nachgefragt. Als regelmäßiger Besucher des Jeu de Paume suchte sich Rochlitz persönlich die modernen Kunstwerke als Tauschwert aus. Diese wurden teilweise direkt in seine Wohnung oder sein Büro geliefert.7
Da er auf diese Art seine Kenntnisse des Kunstmarkts französischer Kunst und die Begehrlichkeiten und Ideologien der Nazis gegeneinander ausgespielt habe, um schonungslos zu Geld zu kommen, wird Gustav Rochlitz nach der Befreiung als einer der „umtriebigsten und skrupellosesten Kunstagenten der Nazis“8 von den Alliierten angesehen.
Die Prozesse der Nachkriegszeit
Während der Besatzungszeit profitiert Gustav Rochlitz in erheblichem Maße persönlich und materiell von den Plünderungen durch den ERR: Eines seiner Bankkonten weist bei seiner Eröffnung im April 1940 ein Guthaben von 80.000 F auf. Im darauffolgenden Jahr beträgt die Summe 661.000 F, 1943 sind es 4.056.000 F. Über vier Jahre wird der Gewinn durch das Comité de confiscation des profits illicites [Komitee für die Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] auf 5.685.000 F geschätzt. Darüber hinaus stellt das Comité fest, dass :
„alle Zeugenaussagen von Menschen, die mit Rochlitz in Kontakt waren, […] sich darin einig [sind], dass der Deutsche bestens vernetzt war, um bedeutende Geschäfte mit zahlreichen Kunsthändlern und Kunstliebhabern westlich des Rheins abzuschließen. Außerdem hat er sich die Erleichterungen und den Schutz, die ihm nach den Ereignissen im Juni 1940 sowohl von den deutschen Besatzungsmächten, als auch der Regierung Vichys zugesichert wurden, zu nutzen gemacht. Sein Lebensstil deutet darauf hin, dass er über sehr viel Geld verfügte. Beispielsweise [gibt er] kurz nach seiner Rückkehr [retour de l’exode] die drei oder vier Räume seiner Wohnung in der 222, rue de Rivoli auf, um sie nur noch für seine Geschäftstätigkeit zu nutzen und mietet ein Haus [hôtel particulier] mit sieben Räumen in Passy, 15, rue Vineuse für 16.000 F Miete an, um es nach seinem Geschmack mit entsprechenden Möbeln, Nippes und Antiquitäten einzurichten und zu dekorieren. Angesichts des Verkaufspreises dieser Objekte, kann man die Ausgaben leicht auf 1.000.000 F schätzen.“1
Unter Berücksichtigung der günstigen Umstände, unter welchen die Transaktionen durchgeführt werden, hat Rochlitz nie Gewinn von weniger als 50 Prozent des Nettowerts der Ankäufe gemacht. Das sind zwischen 1941 und 1944 2.342.500 F2 netto. Diese Summe ist beträchtlich vergleicht man sie mit den Einnahmen, die Rochlitz vor dem Krieg deklariert hat: „[I]ch kann Ihnen keinen konkreten Umsatz nennen, aber ich hatte zwischen 30 [sic] und 40.000 F Gewinn im Jahr. Ich verkaufte vor allem Gemälde, die ich erworben hatte.“3
Neben den beachtlichen finanziellen Vorteilen, erhofft sich Rochlitz durch den Umgang mit hoch platzierten Persönlichkeiten der nationalsozialistischen Hierarchie auch, dem deutschen Militärdienst zu entgehen. Rochlitz geht davon aus, dass die Akkreditierungen Görings zu diesem Zweck dienen können und bittet darum auch Hermann Voss, den Sonderbeauftragten für das geplante Führermuseum in Linz,4 im März 1944 ihm eine Bescheinigung über seine Händlertätigkeit für die deutschen Repräsentanten auszustellen. Aus diesem Grund haben die Alliierten, die Rochlitz 1945 verhören „den Eindruck eines schwachen und feigen Individuums. Mehrere Quellen, die angegeben haben er sei morphiumabhängig, haben sich als korrekt herausgestellt. Politisch hat Rochlitz keine authentischen Überzeugungen. Er agierte jedes Mal in eigenem Interesse, als Opportunist ohne Skrupel.“5
Letztlich haben die von Göring und Voss unterschriebenen Bescheinigungen nicht den erhofften Effekt eine Ausnahme zu bewirken und Rochlitz wird am 14. Juli 1944 aufgefordert seinen Militärdienst in Paris anzutreten. Er durchläuft ein zweiwöchiges Training im Sicherungs-Regiment 1 (Militärformation des Deutschen Volkssturms für die Verteidigung von Paris), bevor er am 16. August 1944 eine ärztliche Ausmusterung erhält. Nachdem er alle Kunstwerke, die sich noch in seiner Wohnung in der rue Vineuse befanden, in die Schweiz geschickt hatte, verlässt er am 20. August 1944 Paris. Er geht nach Hohenschwangau, wo sich bereits seine Frau und seine Tochter befinden, einem Ort an der bayerisch-österreichischen Grenze, dessen Schloss als Lager des ERR genutzt wurde. Ein Großteil seiner Erwerbungen befinden sich nun in Deutschland, aufgeteilt zwischen Hohenschwangau (Füssen), Aufhofen (Egling, Bayern), Mühlhofen6 und Ravensburg7 (am Bodensee in Baden-Württemberg), Lörrach,8 Freiburg, bei Schaffer & Co. und im Schloss Adolfsburg9 (in Oberhundem in Nordrhein-Westfalen). Von Füssen aus reist Rochlitz nach Baden-Baden und Freiburg, um seine Geschäfte zu organisieren. Seit Juni 1943 hatte er nämlich für sich und seine Familie in der Wilhelmstraße 5 in Baden-Baden eine Wohnung von Frau Jordan gemietet, die er auch als Lagerort für Kunstwerke nutzte.
In diesem Zusammenhang ist auf die zahlreichen Depots hinzuwseisen, die Gustav Rochlitz in Frankreich, der Schweiz und Deutschland für die Lagerung seiner Gemälde nutzt. Während des Krieges teilt er sich sogar ein Lager in Oberammergau (Oberbayern) mit Maria Almas-Dietrich, von wo er irrtümlicherweise eine mittelalterliche Plastik mitnimmt, die Almas-Dietrich gehört.10 Diese Skulptur gehörte ursprünglich zur Sammlung von Harry Fuld (1879 – 1932) und Dietrich hatte sie bei Hans W. Lange beim Verkauf der Sammlung Fuld zwischen dem 27. Und 29. Januar 1943 erworben.11 Nach dem Krieg wurde die Skulptur nach Frankreich restituiert und befindet sich noch heute als MNR (Musées Nationaux Récupération) im Louvre.12 Die Vielzahl dieser Lager verdeutlicht die Art und Weise in der Rochlitz die in Frankreich erworbenen Werke verteilt und wieder verkauft, dank eines Netzwerks von lokalen Akteuren, die meistens wenig bekannt sind. Die Verteilung seiner Sammlung auf verschiedene Lager ermöglichte es ihm ohne Zweifel nach dem Krieg die Spuren der Werke zu verwischen und die Existenz einiger Lager zu verheimlichen: Aus diesem Grund müssen die im Bericht der Art Looting Investigation Unit (ALIU) enthaltenen Informationen kritisch gelesen werden. Einige Werke, die von Rochlitz als während des Transfers über Baden-Baden verloren gegangen deklariert wurden, sind zum Beispiel nach der Entdeckung des Lagers in Lörrach 1949 wieder aufgetaucht.13
Direkt nach der Befreiung wurde die Wohnung in der 222, rue de Rivoli, wo sich noch einige Gemälde und eine große Menge an Rahmen befanden, versiegelt.14 Gustav Rochlitz flieht im August 1944 nach Deutschland wo er am 13 Dezember festgenommen wird. Zwischen dem 15. Juli und dem 1. August 194515 wird er in einem speziellen Befragungszentrum in Österreich durch die amerikanische Armee verhört. Während er in Deutschland inhaftiert ist, fasst das 2. Comité de confiscation des profits illicites des Département Seine drei Beschlüsse zu seinem Fall: Es ordnet die Sicherstellung seines Eigentums an16 und legt mehrere finanzielle Nachforderungen und Bußgelder fest, jede mit der gesetzlich festgelegten Höchstsumme. Insgesamt beträgt die Summe der Nachforderungen und Strafzahlungen 13.420.000 F.17 Zwischen Ende 1945 und Anfang 1946 wird Rochlitz an die französischen Behörden übergeben und mit anderen Kollaborateuren im sogenannten „centre de séjour surveillé“, einem Internierungslager in Sorgues, im Département Vaucluse festgehalten. Nach einer Anhörung durch den Ermittlungsrichter Marcel Frapier am 6. Januar 1946 in Paris verbringt er die Zeit bis zu seiner Anklage und während des Prozesses im Gefängnis von Fresnes. Am 28. März 1947 wird er durch das Gericht des Département Seine zu drei Jahren Haft, einem Bußgeld von 60.000 F, zur Einziehung aller Güter wegen wirtschaftlicher Kollaboration und zu lebenslanger „indignité nationale“ [nationaler Schande] verurteilt. Diese „nationale Schande“ schließt ihn von zahlreichen staatsbürgerlichen Rechten in Frankreich aus.18 Somit ist er einer der ganz wenigen Deutschen, die vom Cour de Justice de la Seine [dem Sondergerichtshof der Seine] verurteilt wurden. Ab 1946 wird er durch die ALIU der Office of Strategic Services (OSS) auf der Liste der „Red Flag Names“ aufgeführt. Seine Tauschaktivitäten mit dem ERR werden in den Prozessen von Nürnberg als Beispiel für die Reichweite und die verschiedenen Formen von Kunstraub zitiert.19 Mit dem Ruf einer der „bekanntermaßen unehrlichsten Kunsthändler“20 gewesen zu sein, der sich mit dem ERR einließ, gehört Rochlitz zu den, durch französischen Gerichte am härtesten bestraften Personen.
Er wird am 10. Juli 1948 aus dem Gefängnis von Fresnes entlassen.21 Einige seiner Besitzgüter, sowie die, die seiner Frau gehörten, wurden bereits bei öffentlichen Versteigerungen ab dem 29. November 194622 durch die Direction générale de l’enregistrement des Domaines [Direktion der Verwaltung von Immobilien und Besitzgütern durch die öffentliche Hand] als Privatgüter des Feindes verkauft.23
Vier Jahre später, mit Dekret vom 22. November 1950 erlässt ihm der französische Präsident der Republik die Strafe der „indignité nationale“ und die Beschlagnahmung seines Eigentums wird aufgehoben. Rochlitz bemüht sich daraufhin seine Besitzgüter zurückzubekommen und beantragt am 20. Januar 1956 die Aufhebung der Beschlüsse des Comité de confiscation des profits illicites des Département Seine.24 Obwohl sein Antrag als rechtlich zulässig beurteilt wird, wird dieser abgelehnt und die Zahlungsverpflichtung der finanziellen Strafen bestätigt.25
In der Zwischenzeit wurden alle oder Teile seiner sichergestellten Kunstwerke aus seiner Sammlung den MNR zugeordnet.26
Am 19. Januar 1953 wird eine SARL Etablissments Rochlitz [GmbH auf den Namen von Rochlitz] unter der Adresse 108, boulevard du Montparnasse in Paris im Handelsregister eingetragen.27 Rochlitz’ Tochter, Sylvia Rochlitz fungiert als Geschäftsführerin und bringt eine Summe von 300.000 F mit ins Geschäft, während ihr Vater ein Kapital von 200.000 F in Form von Gemälden beisteuert.28 Die Existenz dieser Gesellschaft lässt vermuten, dass Gustav Rochlitz nach seiner Verurteilung den Kunsthandel in Frankreich wieder aufgenommen hat. Die genaue Liste der Werke, die in das Gesellschaftskapital eingebracht wurden, ist bis heute unbekannt. Später setzte er seine Tätigkeit als Kunsthändler wieder in Deutschland, in Füssen und Köln fort, bis er 1972 im Alter von 83 Jahren verstarb.29