SONDERAUFTRAG Linz (DE)
Als „Sonderauftrag Linz“ wird ein großes, museumspolitisches Projekt Adolf Hitlers bezeichnet, das den Ausbau der Kunstsammlungen des „Großdeutschen Reichs“ mit geraubten, verfolgungsbedingt entzogenen und angekauften Kunstwerken zum Ziel hatte.1
Hans Posse
Anders als der Name vermuten lässt, ging es beim „Sonderauftrag Linz“ nicht nur um den Aufbau der Sammlung für das sogenannte „Führermuseum“,1 welches Hitler für Linz an der Donau plante. Doch stand das „Führermuseum“ im Zentrum des Projekts. Am 30. März 1939 wurde der Kunsthändler Karl Haberstock von der Reichskanzlei mit der Verteilung der nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich beschlagnahmten jüdischen Kunstsammlungen auf die Museen beauftragt.2 Kurz darauf, am 21. Juni 1939, wurde der Direktor der Dresdner Gemäldegalerie, Hans Posse, mit dem Aufbau einer Gemäldesammlung für das „Führermuseum Linz“ betraut.3 Im Juli 1939 ging auch die Verteilung der NS-Raubkunst an Posse über.4
Posse war Hitler direkt unterstellt und kooperierte eng mit ihm sowie mit Martin Bormann bzw. dessen persönlichem Stab. Im ersten Jahr seiner Tätigkeit war er hauptsächlich mit der Erarbeitung von Verteilungslisten für den enteigneten jüdischen Kunstbesitz in der „Ostmark“ beschäftigt.5 Im Sommer 1940 begann er, umfangreiche Ankäufe in den besetzten Westgebieten, insbesondere in den Niederlanden und Frankreich, zu tätigen. Weitere Ankaufsreisen führten ihn nach Italien und in die Schweiz.
Zur Verwaltung, Deponierung, konservatorischen Behandlung und kriegsbedingten Bergung der akquirierten Kunstwerke formierte sich um Posse herum eine informelle Organisation. Deren logistisches Zentrum befand sich in der Gemäldegalerie in Dresden, wo ab 1940 die zentrale Registrierung der in verschiedenen Depots lagernden Kunstwerke von Mitarbeitern der Gemäldegalerie durchgeführt wurden. Am 1. Juni 1941 wurde Posse zudem mit Gottfried Reimer (1911-1987) ein persönlicher Assistent zur Seite gestellt.6
Ende 1941 erkrankte Posse an Krebs, so dass seine Reisetätigkeit im Jahr darauf krankheitsbedingt zurückging. Im Dezember 1942 starb er.
Hermann Voss
Zum März 1943 wurde mit Hermann Voss, dem Direktor der Wiesbadener Gemäldegalerie, Posses Nachfolger sowohl als Direktor der Dresdner Gemäldegalerie als auch als „Sonderbeauftragter” berufen.1 Da Voss das sich nach dem Kriegswinter 1942/43 abzeichnende Ende des Naziregimes im Kalkül hatte, konzentrierte er seine Tätigkeit auf Ankäufe und überließ die Bearbeitung der Kunstraub-Agenden Reimer. Wie Posse verwendete er für seine Korrespondenz das Briefpapier des Direktors der Dresdner Gemäldegalerie, anders als dieser ersetzte er seinen Dresdner Titel „Direktor“ mit dem selbst kreierten Titel „Der Sonderbeauftragte für Linz“. Damit suggerierte er, nur für das „Führermuseum Linz“ zuständig zu sein, lenkte also von seiner Zuständigkeit für die gesamten Raubkunstbestände des NS-Staates ab.2
Fotoalben
Bei der Realisierung von Hitlers Museumsprogramm hatte die Gemäldegalerie Linz („Führermuseum“) Vorrang, die für sie ausgesuchten Bilder wurden als erstes konservatorisch behandelt, fotografiert, inventarisiert und Hitler in insgesamt 31 Fotoalben präsentiert.1 Mit der Bearbeitung der übrigen Bestände wurden weitere Spezialisten beauftragt: für die Waffen- und Münzsammlung der Numismatiker und Direktor des Wiener Kunsthistorischen Museums, Fritz Dworschak (1890-1974), für die historischen Waffen der Direktor der Wiener Waffenkammer, Leopold Ruprecht (1889 - ?). Die Position des Experten für Skulpturen und Kunstgewerbe blieb offen.
Politische Dimension
Lange Zeit prägte die Ankaufstätigkeit der „Sonderbeauftragten“ unser Bild vom „Sonderauftrag Linz“. Dadurch und durch die Fixierung auf das „Führermuseum“ und seine Deutung als irrationales und größenwahnsinniges Unternehmen Hitlers wurde die politische Dimension dieses Projekts unterschätzt. Die „Sonderbeauftragten“ verfügten nicht nur über erhebliche Finanzmittel, sondern auch über das höchste Machtmittel im „Führerstaat“, nämlich im unmittelbaren Auftrag Hitlers zu handeln. Alle Staats- und NS-Dienststellen waren verpflichtet, sie in ihrer Mission zu unterstützen.1 Enge Zusammenarbeit gab es insbesondere mit der Parteikanzlei, der Reichskanzlei, die für die Finanzierung der Ankäufe zuständig war, dem Reichsfinanzministerium, dem Auswärtigen Amt und den deutschen Botschaften in Frankreich, Italien und der Schweiz, mit den Gauleitern in der „Ostmark“ (Österreich) und dem Institut für Denkmalpflege in Wien, mit der Dienststelle Mühlmann in Polen und den Niederlanden, mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg, mit der Militärverwaltung in Frankreich und dem Reichskommissar zur besonderen Verwendung in Den Haag.
Darüber hinaus arbeiteten in der Endphase des Zweiten Weltkrieges, als Deponierungs-, Bergungs- und Registrierungsarbeiten erhebliche personelle Kräfte banden, mindestens 40 Vollzeit-Mitarbeiter für den „Sonderauftrag Linz“, überwiegend aus dem Museumsbereich und der staatlichen Denkmalpflege. Viele Arbeiten wurden zudem ausgelagert, etwa an private Transportfirmen und freiberufliche Fotografen. Außerdem unterstützten zahlreiche Kunsthändler, Kunstexperten und Kunstagenten Hitler und die „Sonderbeauftragten“ bei ihren Ankäufen und erzielten damit erhebliche Verkaufs- bzw. Provisionsgewinne.