DEQUOY Roger (DE)
Während der Besatzungszeit hatte Roger Dequoy die Leitung der Pariser Galerie Wildenstein & Cie übernommen, deren Eigentümer Georges Wildenstein ins US-amerikanische Exil gegangen war. Das „Arisierungsverfahren“ wurde zwar offiziell Édouard Gras überantwortet, es war jedoch bei Kriegsende immer noch nicht abgeschlossen war.
Die Übernahme der Galerie Wildenstein & Cie (Paris)
Roger Dequoy wurde am 10. Oktober 1893 in Tours geboren. Als Antiquitätenhändler führte er von 1921 bis 1927 ein eigenes Geschäft im Faubourg Saint-Honoré in Paris, später dann, bis 1933, an der Adresse 21 Rue La Boétie.1 1926 heiratete er Alice Marie Moll (1891-1969). Um 1932 begab er sich nach London, um die geschäftlichen Interessen des Unternehmens Wildenstein & Cie zu vertreten. Nach der Weltwirtschaftskrise 1929 legt Daniel Wildenstein Zeugnis davon ab:
„Mein Vater hatte festgestellt, dass die Geschäfte in England nicht ganz so schlecht liefen. Wir hatten in London eine Niederlassung, die dahinvegetierte […] Mein Vater hat sie wieder auf Vordermann gebracht und Roger Dequoy angestellt. Dequoy war ein für jene Zeit typischer Franzose. Er machte einen auf Maurice Chevalier, nur mit Schnurrbart. Er war groß, recht fröhlich und vor allem sehr zuvorkommend. Er war sehr charmant mit seinen knapp vierzig Jahren… Als Händler hatte er einen fürchterlichen Ruf, und zwar zu Recht… den Ruf eines Fälschers.“2
Diesen Ruf hatte er mit der Herstellung von Kopien und Fälschungen erlangt. Dennoch stand der Fachmann für französische Kunst des 18. Jh. an der Spitze eines Handelsnetzwerks, zu dem mehrere ausländische Kunden wie Karl Haberstock und Emil Bührle (1890-1956) zählten, die er schon aus der Zeit vor dem Krieg kannte.
1939 begab sich Dequoy nach New York und kehrte 1940, am Ende des Sommers, wieder nach Frankreich zurück um sich in Paris niederzulassen, zu eben dem Zeitpunkt, als Georges Wildenstein (1892-1963) gerade versuchte, über die unbesetzte Zone Frankreichs nach Amerika auszuwandern. Dequoy arbeitete als Handelsvertreter und Gemäldegutachter.3 Am Ende des Jahres 1940 übernahm er, wie aus dem Archiv der Polizeipräfektur in Paris hervorgeht, als Handlungsbevollmächtigter die Leitung der Galerie Wildenstein & Cie an der Adresse 57 Rue La Boétie.4 Nach Aussagen des Sohnes von Georges Wildensteins, Daniel Wildenstein, soll er nur als Geschäftsführer, „das heißt ohne Bevollmächtigung von Herrn Wildenstein und auf eigene Verantwortung“ gearbeitet haben.5
Georges Wildenstein war wegen seiner jüdischen Abstammung in die USA geflüchtet und lebte im Januar 1941 in New York, nachdem er Dequoy seine Galerie und sein Vermögen anvertraut hatte. In der Galerie hatte es bereits im Sommer 1940 Beschlagnahmungen durch die deutschen Besatzer gegeben.6 Den Aussagen der Galerieangestellten entsprechend jedoch handhabte Dequoy die Aufgabe auf sehr geschickte Weise, weil er dafür sorgte, dass die Beschäftigten der Firma Wildenstein & Cie (Paris) ihre Arbeitsstelle behielten und gleichzeitig dazu beitrug, „die Gebäude, die Bibliothek, die Kunstobjekte und die Gemälde vor einer [grösseren] Plünderung durch die Deutschen zu schützen.“7 Insbesondere ergriff er die Initiative, ungesehen Gemälde und Zeichnungen aus einem Tresor der Banque de France zu holen und zu verstecken, kurz bevor die deutschen Behörden diesen Banktresor beschlagnahmten.8
Am 2. November 1940 beantragte er infolge einer Verordnung des Handelsgerichts, dass ein sogenannter Herr Germain als Vertreter von Georges Wildenstein und als vorläufiger Verwalter der Firma eingesetzt wurde. Im Dezember darauf bat er die Auktionatoren Michaud und Rheims um eine Lagerinventur. Auf Dequoys Ansuchen hin ernannte das Commissariat général aux questions juives [Generalkomissiariat für Judenfragen] Édouard Gras am 5. Februar 1941 zum Geschäftsführer von Wildenstein & Cie (Paris). Während Gras der offizielle Vertreter der Galerie war, besorgte Dequoy die Abwicklung des Tagesgeschäfts.9
Karl Haberstocks Intervention
Dequoy bemühte sich sehr, die von den deutschen Besatzern beschlagnahmten Sammlungen der Galerie Wildenstein & Cie (Paris) wiederzuerlangen. Sechs Kisten hatte die deutsche Kriegsmarine in Bordeaux während der großen Fluchtbewegung in Frankreich beschlagnahmt. Durch das Einschreiten des österreichischen Händlers Hugo Engel und des deutschen Händlers Haberstock bekam Dequoy drei dieser Kisten mit Gemälden zurück, die dann bei Freunden versteckt wurden. Haberstock traf seine Wahl in den wieder erlangten Sammlungen und verlangte als Gegenleistung Claude Lorrains Gemälde Bataille sur le pont [~ Schlacht auf der Brücke] und Nymphes et Satyres [~ Landschaft mit tanzenden Satyren und Nymphen] sowie Gustave Courbets Le réveil [~ Das Erwachen] zum Gesamtpreis von 500.000 F.1
Als der Direktor der französischen Nationalmuseen Jacques Jaujard (1895-1967) Dequoy am 17. April 1941 darüber informierte, dass die im Depot in Sourches befindlichen Gemälde aus jüdischem Besitz von den deutschen Besatzungsbehörden voraussichtlich beschlagnahmt werden würden, wandte sich Letzterer erneut an Engel, damit die gesamte Sammlung Wildenstein sowie die Sammlung Kapferer, insgesamt 80 Gemälde, nach Paris gebracht wurden, wie aus einem Bericht von Michel Martin, des Missionsbeauftragten der Gemäldeabteilung des Louvre hervorgeht, der für die Überwachung der nach Deutschland ausgeführten Kunstwerke zuständig war.2 Am 1. Juli 1941 dankte Dequoy dem Baron Gerhard von Pöllnitz, einem Freund von Haberstock, der in dieser Sache interveniert war, für den erwiesenen, großartigen Dienst und bot ihm bei dieser Gelegenheit die Gastfreundschaft in seinem eigenen Haus an.3
Anfang April 1941 wurde das Geschäftslokal der Firma Wildenstein & Cie (Paris) vom RNP zwangsbesetzt [Rassemblement National Populaire, deutsch: Nationaler Zusammenschluss des Volkes, von Marcel Déat (1894-1955) angeführte faschistische, kollaborierende Partei], und am 18. April autorisierte dann die Polizeipräfektur die Räumung des Lokals. Von den aus Sourches zurückgeholten Objekten kehrten nicht alle in die Pariser Galerie zurück, einige wurden in verschiedenen, von Dequoy angemieteten Räumlichkeiten zwischengelagert und nachts mit Hilfe der Firmenangestellten sowie Gras, dem kurz zuvor ernannten, vorläufigen Verwalter der Firma Wildenstein & Cie (Paris), bei Privatleuten versteckt.4 Für dieses zweite Einschreiten erhielt Haberstock das Gemälde Après la chasse [~ Jagdbeute] von Jan Fyt (1611-1661), eine Bacchanale aus der französischen Schule, Madame Victoire [~ Madame Victoire] und Madame Adélaïde [~ Marie Adelaide von Frankreich] von Heinsius, Dequoys Aussagen entsprechend zu einem Gesamtpreis von 360.000 F.5
Der Verkauf der Boucher zugeschriebenen Gemälde
Nach der Befreiung wurde Dequoy zwei Mal vor das 3. Comité de confiscation des profits illicites [Komitee für Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] geladen, das erste Mal am 13. Februar 1946, dann am 16. November 1948 als Mitangeklagter von Jean-Paul Louis Dutey (1897-1954).1
Der Bericht der ersten Vorladung vor das Comité de confiscation des profits illicites erwähnt Verkäufe an Haberstock, Maria Almas-Dietrich, Walter Andreas Hofer, Hans Wendland und Theodor Fischer zu einem Gesamtwert von 2.535.000 F.2 Haberstock hatte die Firma Wildenstein in Schutz genommen,3 Dequoy jedoch unter Druck gesetzt, um bestimmte Gemälde an die deutschen Besatzer zu veräußern.4 Haberstock war im Übrigen ein Freund von Georges Wildenstein und „besaß mit ihm zusammen schon lange vor dem Krieg Gemälde “.5 Diese Verkäufe wurden Dequoy daher nicht vorgeworfen. Für die Gewinne dieser Transaktionen, welche der Firma Wildenstein & Cie zugutekamen, konnte er trotz der einkassierten Provisionen nicht persönlich belangt werden.6 Die von Dequoy im Namen der Firma Wildenstein & Cie durchgeführten Kaufgeschäfte standen im Mittelpunkt, als die Firma vor das Komitee geladen wurde.7
Allerdings hatte Dequoy den deutschen Besatzern in eigenem Namen zwei Gemälde von François Boucher (1703-1770) verkauft, und dabei von dem Ansehen und dem guten Ruf der Firma Wildenstein & Cie profitiert, die ihm eine wohlhabende Kundschaft garantierte. Das bei seiner Vorladung angesprochene erste Gemälde, La Lumière du monde [~ Die Geburt Christi], hatte er 1943 bei G. Destrem8 zum Preis von 1.215.000 F erworben, und zwar aus eigener Tasche, da die Wildensteins abwesend waren, und weil er vorhatte, wie Dequoy es selbst ausdrückte, es nach dem Krieg in den Geschäftsfonds der Galerie einzubringen.9 Es hatte zur Sammlung von Henri Destrem (1878-1941) gehört und war dessen Bruder, dem Rechtsanwalt Raymond Destrem (1880-1947) übergeben worden, als Henri starb. Das Gemälde war in der Galerie Martin Fabiani ausgestellt.10
Dequoy und Fabiani kannten sich seit 1941, als Fabiani zu ihm gekommen war, um einen von Georges Wildenstein ausgestellten Gutschein einzukassieren. Letzteren hatte Fabiani in Spanien zur Zeit der großen Fluchtbewegung aus Frankreich kennengelernt, als dieser spanisches Geld benötigte.11 Weil Dequoy befürchtete, die deutschen Besatzer würden die Galerie Wildenstein in Besitz nehmen, entfernte er das Bild von Boucher aus der Galerie in der Rue La Boétie, sowie acht weitere, kleinere Gemälde. Fabiani versteckte diese in einem Tresor, das großformatige Bild von Boucher blieb jedoch in seiner Galerie.12 Dequoys Aussagen entsprechend sollte es dort gegen seinen Willen im Februar 1944 zu einem Preis von 1.500.000 F an deutsche Kunden verkauft worden sein.13 Der Nettogewinn aus diesem Verkauf belief sich somit auf 285.000 F.
Der Bericht zu Hitlers Sonderauftrag Linz erwähnt seinerseits ein Gemälde von Boucher mit dem Titel L’Épiphanie [~ Erscheinung Christi], das Dietrich bei Georges Destrem, Dequoy und Fabiani zu einem mit 140.000 oder 180.000 RM veranschlagten Preis erworben hat, sowie gleichzeitig zwei andere Werke von Giovanni Paolo Panini (1691-1765) um 30.000 RM, die jedoch ein früheres Verkaufsdatum tragen, nämlich 1943.14 Dies entspricht dem Datum, an dem Destrem, Dequoy und Fabiani das Gemälde gekauft haben. Das Münchner Collecting Point-Archiv erwähnt gleichfalls Georges Destrem als denjenigen, der am 8. März 1944 durch Vermittlung von Fabiani ein Gemälde von Boucher an Dietrich verkauft habe, L’Adoration des Mages [~ Die Anbetung der Heiligen Drei Könige], einem alternativen Titel für La Lumière du monde [~ Die Geburt Christi], und „Straßenszenen“ von Panini, die zum Preis von 180.000 bzw. 30.000 RM für die Sammlung des in Linz geplanten Museums vorgesehen waren.15
Das zweite Boucher zugeschriebene Gemälde, La Fontaine [~ Liebesbrunnen], das Dequoy 1940 bei René Avogli-Trotti zum Preis von 200.000 F erworben hatte, wurde im Juli 1941 Frau Dietrich zum Preis von 250.000 F angeboten, als es in der Galerie Wildenstein ausgestellt war.16 Dietrichs Kauf ist auf den 18. September 1941 datiert, nachdem eine erste, im Juli vorgesehene Transaktion nicht zustande gekommen war, weil Ernst Buchner, Hermann Voss und Hans Posse davon ausgingen, dass gewisse Gemälde Fälschungen bzw. für Hitlers Museum ungeeignet seien.17 Bouchers Gemälde wurde dennoch im Mai 1942 für 38.000 RM für das Museum in Linz erworben und nach dem Krieg zurück nach Frankreich restituiert.18 Dequoy bestätigte am 16. September 1941, für diesen Verkauf eine Umsatzprovision von 90.000 F bzw. 4.500 RM erhalten zu haben.19 In Wirklichkeit handelte es sich um ein Los von drei Gemälden, die Dequoy zu einem Preis von 995.000 F anbot: ein Gemälde von Le Brun (25.750 RM), ein Gemälde, das Adam und Eva darstellt und aufgrund der Schätzung (6.000 RM) der David-Schule zugeschrieben wurde, und das Gemälde La Fontaine (18.000 RM).20 Der Nettogewinn des verkauften Gemäldes von Boucher belief sich auf 50.000 F.
Die beiden, 1944 verkauften Gemälde von Boucher, La Lumière du monde und La Fontaine, sind die beiden einzigen, die nachgewiesenermaßen auf Dequoys persönliche Rechnung gingen, weshalb Dequoy zu einer Konfiszierung in der Höhe von 335.000 F und zu einer Geldstrafe von 50 000 F verurteilt wurde.21 Infolgedessen wurde ihm nur der Nettoverkaufsgewinn zur Last gelegt: 285.000 F für das erstgenannte Gemälde von Boucher und 50.000 F für das zweitgenannte. Das Komitee berief sich auf den „sporadischen“ Charakter des als unlauteren Verkauf verurteilten Vorfalls sowie auf Dequoys offensichtliches Bestreben, die Sammlung und Interessen der Firma Wildenstein & Cie in Schutz zu nehmen, nicht ohne zu vergessen, dass der angegebene Profit eventuell in Wirklichkeit höher war.22
Der Verkauf eines Goya zugeschriebenen Gemäldes aus der Sammlung Jaffé
Die zweite Vorladung vor das 3. Comité de confiscation des profits illicites am 16. November 1948 beruhte auf den in Kooperation mit Jean-Paul Louis Dutey (1897-1954) und René Laniel (1900-1964) getätigten Transaktionen. Im Laufe des Sommers 1943 hatte Dequoy auf gemeinsame Rechnung mit dem Antiquitätenhändler Dutey und seinem Schwager René Laniel „ein Goya zugeschriebenes, großes Standbild eines Mannes“ bei einer Auktion in Nizza erworben.1 Im Juni 1944 wurde das Gemälde an „einen Deutschen, Herrn Grosshenning“2 weiterverkauft. Es handelte sich um das um 1811 von Goya gemalte Standesporträt des Don Manuel García de la Prada, das Raphaël Gérard (1886-1967) an Wilhelm Grosshennig (1893-1983) verkauft hat.3 Letzterer leitete seit 1930 die Galerie Gerstenberger in Chemnitz.4 Dieses Werk war in der Linzer Sammlung unter der Inventarnummer 3546 vermerkt worden, wurde dann zum Münchner Central Collecting Point und 1946 nach Paris zurückgebracht.5
Das Werk gehörte dem irischen Bankier jüdischer Herkunft John Jaffé (1843-1934), später seiner Witwe Anna Jaffé (1890-1942). Nach Annas Tod wurde die Sammlung Jaffé am 12. und 13. Juli 1943 im Hotel Savoy in Nizza versteigert.6 Dem Archiv in Washington zufolge erwarben Dequoy und Fabiani „das von Goya gemalte Porträt eines Mannes“ zum Preis von 70.000 F, boten es dann dem Louvre für 6.000.000 F an, der jedoch ablehnte, sodass es von Grosshennig zum Preis von 5.200.000 F gekauft wurde und Dutey und Dequoy sich dann den Nettogewinn teilen konnten.7 Ob Fabiani am Kauf beteiligt war, ist allerdings nicht nachgewiesen, auch wenn er zu jener Zeit tatsächlich mit Dequoy geschäftlich zu tun hatte. Wie Gérard angab, belief sich Dequoys Anteil auf 76.500 F und, nachdem es der deutsch-jüdische Experte August Liebmann Mayer in Monte-Carlo geschätzt hatte, kaufte er bei ihm in Paris das Bild von Goya für 3.000.000 F, um es mit einem Gewinn von 500.000 F an die Galerie Gerstenberger weiterzuverkaufen, die im Juni 1944 die Ausfuhrgenehmigung erhielt und dann das Bild an den „Sonderauftrag Linz“ weiterverkaufte.8
Wahrscheinlich ist es tatsächlich Dutey zu verdanken, dass Gérard das Gemälde erwerben konnte, worüber Dequoy in einem Schreiben vom 17. August 1943 seinen Ärger kundtat. Dieser hatte gehofft, einen besseren Preis zu erzielen und verwies auf das vom Kunsthändler bei gemeinschaftlichen Erwerbungen eingegangene Risiko:
„Mein lieber Jean [Dutey],
Ich lese gerade Deinen Brief, in dem Du mir mitteilst, dass unser Gemälde verkauft wurde, ich bin sehr verwundert, dass Du es verkauft hast, ohne mich zu fragen, stimmt, ich habe bei Raphaël von 3.000 gesprochen; ich bitte Dich nicht zu vergessen, dass ich zu Euch in Anwesenheit Deines Schwagers [René Laniel] nach unserem Besuch auf der Straße gesagt habe: ‚Der Preis, den ich gerade genannt habe, ist nur ein fiktiver, um ihm nicht den wahren Wert des Gemäldes zu verraten‘. Na denn!! Du hast es verkauft, das lässt sich nicht rückgängig machen; wir haben aber ein sehr schlechtes Geschäft gemacht, Dir war der Wert dieser Sache nie bewusst und Deine Ungeduld kostet uns eine Menge.“9
Da das Gemälde Anfang August 1943 an Gérard verkauft worden war und Dequoy seiner Aussage entsprechend an dem fast ein Jahr später stattfindenden Verkauf an die deutsche Galerie nicht beteiligt war,10 schloss das Comité de confiscation des profits illicites, dass der bei dieser Transaktion an Dequoy abgefallene Gewinn nicht „einem infolge einer unlauteren Transaktion erzielten Gewinn“ entsprach, sondern als der von Dutey „zurückgekaufte Anteil am Eigentum des Gemäldes“11 in der Höhe eines Drittels des Verkaufspreises zu betrachten sei.12 Entsprechend dem von der Commission nationale interprofessionnelle d’épuration [Nationale berufsübergreifende Säuberungskommission] vorgelegten Bericht zu Dequoy wurde der Nettogewinn zwischen Laniel, Dutey und Dequoy aufgeteilt.13 Dequoy wurde also in dieser Angelegenheit nicht für unlautere Geschäftstätigkeiten verurteilt, denn ihm wurde lediglich die Rolle des Vermittlers beim Verkauf eines Goya zugeschriebenen Gemäldes an einen französischen Kunsthändler zugeschrieben.
Tauschgeschäft mit dem ERR: Dequoy und Fabiani
Die Verhöre von Bruno Lohse (1911-2007), stellvertretender Leiter des Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) und Görings Stellvertreter in Paris, werfen ein neues Licht auf die von Dequoy zusammen mit Fabiani in Paris getätigten Geschäfte, bei denen sie am Ende des Krieges Gemälde nach Deutschland verkauften. Im Januar 1944 einigten sich Lohse, Dequoy und Fabiani darauf, 60 vom ERR beschlagnahmte, moderne Kunstwerke gegen sieben Gemälde aus dem 18. Jh. zu tauschen, die für das Museum in Linz bestimmt waren: eine Robert/Boucher zugeschriebene Landschaft, vier Werke von Guardi und zwei Werke von Panini.1
Die sieben Werke Alter Meister wurden auf 2.000.000 F geschätzt und die modernen Kunstwerke auf 20.000.000 F, wobei die Gewinne gleichmäßig zwischen den Kunsthändlern aufgeteilt werden sollten. Die vom ERR beschlagnahmten Gemälde wurden zwischen dem 23. und 26. Januar 1944 an der Adresse 140 Rue du Faubourg-Saint-Honoré zu Händen Monsieur Dequoy abgeliefert, wo es einen Durchgang zur ehemaligen Galerie Wildenstein 57 Rue La Boétie gab.2 Der Vertrag wurde allerdings nicht eingehalten, einerseits wegen des unter seinen Kollegen herrschenden Misstrauens, andererseits, wie Lohse aussagte, wegen Robert Scholz (1902-1981), der aus Berlin kam, und der schon 1941 eine Liste von beschlagnahmten Werken aufgestellt hatte, damit sie der ERR dann auf dem Kunstmarkt tauschen konnte. Lohse leugnete Scholz gegenüber die laufenden Verhandlungen mit Dequoy und Fabiani.
Lohse sagt weiters aus, dass der Kunsthistoriker Erhard Göpel (1906-1966) das Tauschgeschäft für das geplante Museum in Linz letzten Endes zu einem Abschluss bringen wollte und deshalb Adolf Wüster (1888-1972) um ein Gutachten der vom ERR beschlagnahmten Werke ersucht hätte, die dieser auf weniger als 20.000.000 schätzte. Lohse behauptete, dass Dequoy und Fabiani zehn Werke im Tausch gegen die gelieferten modernen Werke angeboten hätten und neun davon letztendlich für die Linzer Sammlung angekauft worden seien.3 Der den Sonderauftrag Linz betreffende Bericht erwähnt tatsächlich, dass dank Göpels Vermittlung neun Werke in die Sammlungen eingegangen sind, darunter zwei Gemälde von Panini und eines von Robert, das angegebene Datum – 1943 – ist allerdings ein früheres.4
Unter den von Fabiani und Dequoy bei diesem Tausch angebotenen Werken hatte allein das Robert/Boucher zugeschriebene Gemälde, Ruines d’un temple [~ Tempelruinen], einen Wert von 3.500.000 F (175.000 RM) und wurde Lohses Angaben zufolge im Januar 1944 zu eben diesem Preis an Hans W. Lange (1904-1945), den Direktor eines Berliner Auktionshauses verkauft. Lohse hatte Lange auf den Wert des Gemäldes aufmerksam gemacht, das dieser dann an den Sonderauftrag Linz weiterverkaufte.5 Dem das Museum betreffenden Bericht zufolge sei es allerdings dank der Vermittlung von Almas-Dietrich in die Sammlungen von Linz eingegangen, nachdem sie es im August 1943 Professor Voss (via Paris) verkauft hatte, und zwar unter dem Titel Paysage classique avec soldats romains et une femme avec un enfant devant les ruines d’un temple (149 × 165,5 cm)“ [~ Typische Landschaft mit römischen Soldaten und Frau mit Kind vor Tempelruinen].6 Zudem sei darauf hingewiesen, dass Almas-Dietrich im Juli 1943 bei Viktor Mandl ein Gemälde von Hubert Robert (1733-1808) mit dem Titel Ruines romaines (153 × 140 cm) [~ Römische Ruinen] zum Preis von 500.000 F erworben hatte und es dann für 5.000 RM nach Linz verkaufte.7
Lohse erklärte, nicht sicher zu sein, zu welchem Datum Lange Hubert Roberts Gemälde erworben habe, und vermutete, dass das Gemälde Dequoy gehörte, obwohl es sich bei Fabiani befand.8 Eine andere Quellenangabe liefert Nachweise über bei Fabiani abgewickelte Kaufgeschäfte: ein von H.W. Lange erworbener Hubert Robert, ein Boucher, vier Guardi und zwei Panini, erworben von Almas-Dietrich, und zwei Großformate von Hubert Robert ohne Datum und Größenangabe, erworben von Reichsminister Speer.9 Lohse behauptete, mit Dequoy selbst kein einziges Mal ein Geschäft gemacht zu haben und er traf, genau wie Hofer, seine Absprachen mit Fabiani, der bei den deutschen Besatzern und deutschen Kunsthändlern dafür bekannt war, dass er Dequoys Interessen vertrat.10
Weitere Ermittlungen der Roberts Commission erwähnen, dass nach dem gescheiterten Tauschgeschäft die modernen Gemälde zwischen dem 11. und 18. Februar 1944 in den Jeu de Paume zurückgebracht wurden:
„Die beiden Pariser Kunsthändler wären allerdings sofort bereit gewesen, Werke aus beschlagnahmtem, israelitischem Besitz als Bezahlung anzunehmen. Am 13. März 1944 verließ ein in einer etwa 2 × 1,5 Meter großen Kiste eingepacktes Gemälde die Galerie Fabiani in Richtung Führerbau in München. Es ist überaus wahrscheinlich, dass es sich um das Gemälde von Hubert und Boucher handelte, das ursprünglich getauscht hätte werden sollen. Dieses Gemälde verließ den französischen Boden ohne irgendwelchen Antrag für eine Exportgenehmigung.“11
Nach der Analyse dieser unterschiedlichen Quellen bleiben mehrere Fragen offen. Das großformatige Gemälde, das die Galerie Fabiani Anfang März 1944 verlassen hatte, konnte ebensogut ein anderes Gemälde gewesen sein, zum Beispiel Bouchers La Lumière du monde, und nicht das Robert/Boucher zugeschriebene Les ruines d’un temple, da das bei Fabiani ausgestellte La Lumière du monde in der gleichen Zeit, nämlich im Februar 1944, Dequoy zufolge gegen seinen Willen, an Almas-Dietrich verkauft wurde. Der Bericht zu den Linzer Sammlungen erwähnt neben dem Verkauf das Jahr 1943.
Das Robert/Boucher zugeschriebene Gemälde Ruines d’un temple wiederum wurde für das Museum in Linz angekauft. Den Quellen entsprechend geht es dank der Vermittlung von Almas-Dietrich am 11. August 1943 in die Sammlung des von Hitler geplanten Museums ein. Sie soll es, wie Lohse angab, im Januar 1944 bei Viktor Mandl und/oder Hans W. Lange im Rahmen des zwischen dem ERR und Dequoy-Fabiani geplanten Tauschgeschäftes erworben haben. Für das von Lohse vereinbarte Tauschgeschäft, das im Januar 1944 mit den bei Dequoy abgelieferten, beschlagnahmten Gemälden abgeschlossen war, waren im Laufe des Jahres 1943 wahrscheinlich wochenlange Verhandlungen notwendig gewesen.
Deshalb kann davon ausgegangen werden, dass Fabiani und Dequoy im Sommer 1943 Almas-Dietrich eine die Gemälde von Boucher, Guardi und Panini betreffende Transaktion angeboten haben, da die Komplizenschaft der beiden Kunsthändler nachgewiesen ist und sie selbst diese eingestanden haben. Almas-Dietrich hat übrigens im August 1943 Viktor Mandl über diesen Kauf informiert, und Dequoy gestand, diesem Kunsthändler mehrere Male einen Gefallen erwiesen und auch bei anderen Kaufgeschäften mit Dietrich den Vermittler gespielt zu haben.12 Außerdem ist die Transaktion zwischen Almas-Dietrich und Mandl vielleicht nie zustande gekommen. Die von Almas-Dietrich angegebenen Daten scheinen nicht vertrauenswürdig. Mandl bezeugte nämlich nach dem Krieg: „Ich weiß, dass sie sich mehrere Male meines Namens bedient hat […] die erhaltenen Beträge erlaubten es ihr, in Paris Einkäufe zu erledigen.“13
Angesichts der Schätzwerte und der Höhe der von Almas-Dietrich geforderten Summe hätte die Transaktion, vorausgesetzt sie hat stattgefunden, storniert und neu verhandelt werden können, wie Dequoy es für andere, nach dem Gutachten an Almas-Dietrich verkaufte Gemälde getan hatte, da der Verkauf letzten Endes nicht zustande kam.14 Wie es seit 1941 üblich geworden war, hätte Bruno Lohse als Vertreter des ERR möglicherweise in den darauffolgenden Monaten ein Tauschgeschäft in die Wege leiten können, um jedweder Bezahlung aus dem Wege zu gehen, und dieses hätte im Januar 1944 abgeschlossen werden können, um Gemälde, die Dequoy bei Fabiani versteckte hatte, für das von Hitler geplante Museum zu erwerben.15
Das Tauschgeschäft mit den beschlagnahmten modernen Werken und den Gemälden von Guardi, Panini und Robert/Boucher war zwar bei seinem ersten Versuch gescheitert, doch bestimmte, von Dequoy bei Fabiani versteckte Gemälde wurden Ende Februar/Anfang März 1944 sehr wohl an die Vertreter des Sonderauftrags Linz verkauft, insbesondere Ruines d’un temple und La Lumière du monde.
Abschließende Bemerkungen
Die in Frankreich verbliebenen Sammlungen der Firma Wildenstein & Cie wurden während der Besatzungszeit zum Teil von Dequoy zurückgeholt und vermarktet, wobei er sich mit dem Verkauf und dem Export nach Deutschland und in die Schweiz persönlich bereicherte. Dafür wurde er bei der Befreiung Frankreichs vom Comité de confiscation des profits illicites verurteilt. Der Kunsthändler erwarb auf dem Kunstmarkt, insbesondere in Nizza, auch Werke aus jüdischen Sammlungen und bemühte sich, mit Hilfe von Fabiani Tauschgeschäfte mit dem ERR in die Wege zu leiten.
Während der Besatzungszeit arbeitete er eng mit in Frankreich ansässigen Kunsthändlern und Kunstmaklern wie Fabiani, Gérard, Destrem, Dutey, Avogli-Trotti, Mandl, mit deutschen Kunsthändlern wie Haberstock, Wüster und Almas-Dietrich, die auf dem französischen Kunstmarkt verkehrten, sowie mit Schweizer Kunsthändlern und Sammlern wie Hofer, Montag, Bührle und Fischer zusammen. Indirekt hatte er auch Kontakt zu Vertretern des ERR, insbesondere zu Bruno Lohse.
Im November 1944 versuchte Dequoy erfolglos, sich nach London zu begeben, sein Visumsantrag wurde umgehend abgelehnt.1 Als er aus finanziellen und juristischen Gründen gerichtlich belangt wurde, bekam er Unterstützung von der Familie Wildenstein sowie deren Rechtsanwalt Raymond Rosenmark. Daniel Wildenstein rief es in Erinnerung:
„Bei der Befreiung Frankreichs kümmerte sich Maître Rosenmark um Roger Dequoy. Was drohte ihm? Nehmen wir an, drei Jahre Berufsverbot. Gefängnis, nein. Die Gefängnisse waren damals überfüllt. Später stellte mein Vater natürlich alle geschäftlichen Beziehungen mit ihm ein. Trotzdem kam er regelmäßig zu uns nach Hause. Alle drei Tage schaute er bei uns vorbei.“2
Die Staatsanwaltschaft des Cour de justice de la Seine [Gerichtshof des Departement Seine] stellte das Verfahren gegen Dequoy am 8. November 1946 ein und die Commission nationale interprofessionnelle d’épuration sprach ihn im März 1947 offiziell vom Vorwurf der Kollaboration frei.3 Im Januar 1947 verurteilte ihn das Comité de confiscation des profits illicites zu einer Konfiszierung in der Höhe von 335.000 F und zu einer Geldstrafe von 50.000 F. Er verstarb am 29. Mai 1953 im Alter von 59 Jahren in seiner Wohnung, 146 Rue de Courcelles im 17. Pariser Arrondissement.
Basisdaten
Personne / personne