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Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatten sich die Gebrüder Kalebdjian in Paris niedergelassen, von wo aus sie einen bedeutenden, internationalen Antiquitätenhandel ägyptischer und islamischer Altertumskunst aufbauten. Sie waren Lieferanten der größten europäischen und amerikanischen Museen und verfolgten ihre Aktivitäten auch während der deutschen Besatzung.

Von Konstantinopel nach Paris

Die Brüder Ornick (1869-1928), Hagop (1869-?), und Garbis Kalebdjian (1885-1954) zählten zu den wichtigsten Akteuren des Altertumshandels in Paris, der schon lange vor dem Beginn der Besatzung vor allem von Händlern mit armenischen Wurzeln kontrolliert wurde. Obwohl sich von ihnen vermittelte Objekte heute in fast allen großen Museen dieser Welt befinden, ist jedoch bisher kaum etwas über sie bekannt.1 Ursprünglich aus Konstantinopel stammend, wanderten die Brüder Kalebdjian Ende des 19. Jahrhunderts nach Paris aus, wo ihr Onkel Mihran Sivadjian bereits ein Antiquitätengeschäft besaß.2 Während sie in ihrem ersten Geschäft in 17, rue le Peletier zunächst mit alten Medaillen handelten, passten sie sich schnell der Nachfrage an und spezialisierten sich auf ägyptische Altertümer, die einen höheren Gewinn versprachen.3 Zu diesem Zweck eröffneten sie ein Geschäft in Kairo, wo sie auch mit Objekten handelten, die vermutlich aus illegalen Ausgrabungen stammten.4 Nachdem der ägyptische Staat diese Praxis zunehmend einschränkte, kehrten sie wieder nach Paris zurück, wo sie jedoch weiterhin von den Kontakten profitierten, die sie vor Ort geknüpft hatten.

 

Sozialer Aufstieg

So wurden die Brüder Kalebdjian schnell zu einer der wichtigsten Adressen in Paris für ägyptische Kunst, die sie nun in ihrer Galerie auf dem prestigeträchtigen Boulevard 12, rue de la Paix, anboten. Direkt neben dem berühmten Juweliergeschäft Cartier, mit dem sie auch mehrfach zusammenarbeiteten.1 Diese Partnerschaft spiegelt nicht nur das immer stärke Interesse für antike Antiquitäten wider, sondern auch den sozialen Aufstieg der Brüder Kalebdjian, die ursprünglich als Einwanderer nach Paris gekommen waren. Dieser zeigt sich nicht zuletzt auch darin, dass sie zunehmend als Käufer bei den großen Auktionen bestehender Sammlungen auftraten, wie bei der Versteigerung der Sammlung Amélineau im Jahr 1904, der Sammlung Hilton Price im Jahr 1911, der Sammlung MacGregor im Jahr 1922 und der Sammlung Hearst im Jahr 1939.2 Die Brüder Kalebdjian waren dabei oft für den berühmten und ebenfalls aus Armenien stammenden Ölmagnaten Calouste Gulbenkian (1869-1955) tätig, den sie maßgeblich beim Aufbau seiner Kunstsammlung unterstützten.3 Schon vor Beginn der Besatzung hatten sie ihre Galerie in ein luxuriöses Stadthaus in der 52bis, avenue d'Iéna verlegt, das sich in unmittelbarer Nähe von Gulbenkians Villa befand.

 

Verkäufe während der Besatzungszeit

Wie die Nachkriegsuntersuchungen der amerikanischen Kunstoffiziere nahelegen, kauften hier während der Besatzung auch zahlreiche Deutsche Objekte. So taucht der Name Kalebdjian im Abschlussbericht der amerikanischen Kunstoffiziere auf, wobei es hier jedoch zu einer Namensverwechslung gekommen zu sein scheint.1 Denn fälschlicherweise wird darin statt der beiden damaligen Inhaber der Galerie, Hagop und Garbis, eine als Künstlerin tätige Nichte, Irène, als Beschuldigte geführt, obwohl sich für sie keine Tätigkeit im Kunsthandel nachweisen lässt.2 Diese Verwechslung ist jedoch in der Hinsicht aufschlussreich, als dass die Erwerbungen von Altertümern in den Untersuchungen der unmittelbaren Nachkriegszeit nur eine untergeordnete Rolle gespielt haben.

Die Aufnahme der Galerie Kalebdjian in das Register all jener Personen, die vermeintlich in den Kunstdiebstahl in Frankreich während der deutschen Besatzung im Zweiten Weltkrieg involviert waren, basierte dabei jedoch zunächst auf eher vagen Hinweisen. Zum einen auf dem Verhör des deutschen Kunsthändlers Adolf Wüster,3 der angegeben hatte, dass die Galerie Kalebdjian zu seinen wichtigsten Bezugsquellen während der Besatzung gehörte.4 Zum anderen war ihr Name auch mehrfach in den sogenannten Schenkers Papers aufgetaucht. Eine Liste von Ankäufen der deutschen Besatzer, die auf Grundlage der nach der Befreiung von Paris beschlagnahmten Unterlagen der auf den Kunsttransport spezialisierten deutschen Transportfirma Schenker zusammengestellten wurde. Demnach hatte – neben dem deutschen Bildhauer Arno Breker (1900-1991)5 ­– auch der Architekt und Reichsbauminister für Bewaffnung und Munition Albert Speer (1905-1981) Objekte in der Galerie Kalebdjian gekauft.6 In den Schenker Papers sind auch einige Erwerbungen der Berliner Museen erwähnt, zu denen jedoch kaum konkrete Angaben gemacht werden.7

Wie Recherchen im Rahmen des Forschungsprojekts zur systematischen Erforschung der „Erwerbungen der Staatlichen Museen zu Berlin auf dem Pariser Kunstmarkt während der Besatzung 1940-1944“ gezeigt haben, hat dabei alleine der Direktor der Ägyptischen Abteilung, Günther Roeder (1881-1966), während seiner Aufenthalte in Frankreich im Auftrag der Luftwaffe 16 Objekte für fast 440.000 F in der Galerie Kalebdjian gekauft.8 Der Direktor der Islamischen Abteilung, Ernst Kühnel (1882-1964), erwarb hier mindestens weitere 59 Objekte für 340.000 F während der Besatzung, die im Rahmen des Projekts erstmals identifiziert werden konnten. Doch auch andere deutsche Museen tätigten zahlreiche Ankäufe bei den Brüdern Kalebdjian, etwa das Museum für Kunsthandwerk in Frankfurt9 oder die Staatlichen Kunstsammlungen in Kassel.10 Da sich der Großteil dieser Objekte noch heute in den Museen befinden, scheint es umso wichtiger, die genauen Erwerbungsumstände zu rekonstruieren.

Einen der wenigen Ansatzpunkte dafür bieten die Untersuchungen der Commission nationale interprofessionnelle d'épuration [nationale berufsübergreifende Säuberungskommission], vor der sich viele französische Kunsthändler in der unmittelbaren Nachkriegszeit gegen den Vorwurf der Kollaboration mit den Deutschen verteidigen mussten. Im Rahmen dieser Untersuchungen gab der stellvertretend angeklagte Garbis Kalebdjian zu, Objekte im Wert von 1.086.000 F an die deutschen Besatzer verkauft zu haben und fügte eine Liste mit seinen Verkäufen an.11 Trotz der beeindruckenden Länge von fast 32 Seiten muss davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei keinesfalls um die kompletten Verkäufe handelt. Nicht zuletzt, da die zahlreichen Erwerbungen der Staatlichen Museen zu Berlin darauf gänzlich fehlen. 

Kalebdjians Verteidigung

Zugleich gab Kalebdjian zu seiner Verteidigung an, während der Besatzung von den deutschen Behörden bedroht worden zu sein.1 Tatsächlich haben weitere Nachforschungen bestätigt, dass der deutsche Militärbefehlshaber in Frankreich ein Verfahren gegen ihn einleitete, um die Sammlung der Brüder Kalebdjian aufgrund der ägyptischen Staatsbürgerschaft von Garbis als ausländisches Fremdvermögen zu beschlagnahmen.2 Daraufhin intervenierten Beamte des Kunstschutzes mehrfach, um eine drohende Beschlagnahmung abzuwenden. Jedoch nur, um die Ankäufe von deutschen Museen nicht zu gefährden: „Bei deutschen Museen [...] besteht derzeit eine starke Nachfrage nach Antiquitäten, die derzeit fast nur von der Firma K.[alebdjian] befriedigt werden kann. Dazu ist es aber notwendig, dass die Eigentümer ungehindert ihren Geschäften nachgehen können.“3 Die geplante Beschlagnahmung wurde daraufhin aufgegeben, doch wurde stattdessen gegen die Brüder Kalebdjian ein Insolvenzverfahren eröffnet, in dessen Folge sie ihre Verkäufe an die überwiegend deutsche Kundschaft steigern mussten, um die Schließung ihrer Galerie zu verhindern. Das Beispiel zeigt also, dass die Frage des verfolgungsbedingten Entzugs während der Besatzungszeit nicht auf jüdische Kunsthändler und -sammler beschränkt sein muss.

Infolge dieses Insolvenzverfahren mussten die Brüder auch regelmäßig Bilanzen vorlegen.4 Obwohl diese Bilanzen keine Angaben zu einzelnen Objekten enthalten, sind sie eine wertvolle Quelle, um den Altertumshandel während der Besatzung besser zu verstehen. Demnach besaßen die Brüder Kalebdjian zu Beginn der Besatzung 1940 einen großen Teil ihrer Bestände gemeinsam mit anderen Galeristen. Darunter auch den jüdischen Kunsthändlern Bacri Frères5 und Ascher6, die während der Besatzung Opfer von Enteignungen wurden. Die Bedeutung eines besseren Verständnisses des Altertumshandels für die Provenienzforschung beschränkt sich dabei keinesfalls auf die Praxis der gemeinsamen Eigentümerschaft. Wie eine weitere Bilanz aus dem Jahr 1941 zeigt, war der Gesamtwert der auf Kommissionsbasis verkauften Objekte (478.000 F) tatsächlich viel höher als derjenige der auf eigene Rechnung verkauften Objekte (230.000 F). Falls es sich also bei den Erwerbungen der Berliner Museen um solche Kommissionsverkäufe gehandelt hat, könnte dies erklären, warum diese erst gar nicht auf der von Garbis Kalebdjian eingereichten Liste über Verkäufe auftauchen.

Zudem bleibt die Frage offen, für wen sie während der Besatzung auf Kommissionsbasis Objekte verkauften. Die Brüder Kalebdjian weisen in den Nachkriegsuntersuchungen aber ausdrücklich darauf hin, dass sie unzählige Objekte für jüdische Kollegen und Sammler versteckten, von denen einige die deutsche Besatzung nicht überlebten: „Durch Geduld, Besonnenheit und Diplomatie konnten wir die Katastrophe verhindern. Nicht nur für uns, sondern auch für andere. In der Tat hatten uns einige Israeliten ihr Vermögen anvertraut, und unsere Keller waren voll davon. Wir haben etwa 3 bis 4 Millionen Schmuckstücke sowie Möbel und andere Gegenstände versteckt, die folgenden Personen gehörten: den Ehefrauen von Jean und Lucien SAUPHAR, LANG, Jean SALOMON und den Herren François LANG (deportiert und ermordet), ACHARD, Pierre KANN (deportiert und ermordet), ASCHER.“7

Selbst wenn die Anzahl der versteckten Objekte sehr hoch erscheint, muss also davon ausgegangen werden, dass die Brüder Kalebdjian während der Besatzung auch Kunstgegenstände jüdischer Kollegen und Sammler bei sich eingelagert hatten.8 Dies wirft unweigerlich die Frage auf, ob die Brüder Kalebdjian einige dieser Gegenstände auch verkauft haben könnten. Sei es gewesen, um ihren jüdischen Mitbürgern zu helfen.9 In Anbetracht der für den Altertumshandel scheinbar üblichen Praxis des geteilten Eigentums und des Verkaufs auf Kommissionsbasis muss in jedem Falle davon ausgegangen werden, dass der Name, der auf einer Rechnung erscheint, nicht immer der wahre Eigentümer ist – oder zumindest nicht der einzige. Dabei zeigt das Fallbeispiel der Brüder Kalebdjian vor allem, wie wichtig es nicht zuletzt für die Überprüfung des verfolgungsbedingten Entzugs ist, die bisher vollkommen unzureichende Erforschung des Altertumshandels weiter zu vertiefen.