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02/12/2021 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

Der Kunsthistoriker Michel Martin hat während des Zweiten Weltkrieges in der Gemäldeabteilung des Louvre und bei der Säuberung des französischen Kunstmarkts zum Zeitpunkt der Liberation eine große Rolle gespielt.

Michel Martin und die Ausfuhrgenehmigungen

Michel Marie Joseph Martin kommt am 4. Januar 1905 im 14. Arrondissement in Paris 10, Rue Mignet zur Welt. Er ist der jüngste der drei Söhne von Léonie geb. Claudon (1874-1947) und Paul Martin (1868-1957), Englisch- und Französischlehrer. Michel Martin verbringt seine Kindheit in Dresden, wo sein Vater seit 1906, oder sogar schon vorher, Privatlehrer am sächsischen Königshof ist. Die Erziehung der Hofprinzen1 kommt auch dem Sohn zugute und so lernt dieser sehr früh die deutsche Sprache und Kultur kennen. In den 1910er Jahren ist Paul Martin ein angesehener Dozent in Dresden, dessen Vorträge von der intellektuellen und künstlerischen Elite sehr geschätzt werden.

Nach einem ersten Universitätsabschluss in den Fächern Geschichte und Geografie schreibt sich Michel Martin zu einem nicht bekannten Datum an der École du Louvre ein, wo er dann ein Diplom für Kunst und Archäologie erhält. Kurze Zeit später macht er überdies einen Universitätsabschluss in Jura. Mehrere Jahre lang studiert er als Schüler von Henri Focillon (1881-1943) an der Sorbonne. Der Autor des Buches „Vie des formes“ [Das Leben der Formen] erwähnt dessen „umgehenden und brillanten Erfolg bei Prüfungen und Auswahlverfahren“ und hält ihn für „einen der vorzüglichsten Studenten, die er je unterrichtet hat.“2 Das Staatsexamen in Geschichte und Geografie im Jahr 1931 stellt den Höhepunkt einer von Beginn an erfolggekrönten Laufbahn dar. Noch im selben Jahr wird der junge Historiker als Reserveleutnant in die Kolonialinfanterie eingezogen;3 im Jahre 1935 erhält er für seine Tätigkeit als Reservist eine Medaille für freiwilligen Militärdienst.

Martin heiratet in seiner Studienzeit Jeanne Lelgoualch (1904-1995), und zwar am 22. September 1929 in Tréboul (im bretonischen Departement Finistère). Das Ehepaar hat einen Sohn, Yves Martin (1930-1985). Bis zu seinem Tod verbringt Martin die seiner Arbeit gewidmete Zeit zwischen Paris und der Bretagne.

Während des Krieges gehört Martin zu den in den französischen Nationalmuseen beschäftigten Personen, die damit beauftragt sind, den Export der auf dem französischen Kunstmarkt erworbenen Werke nach Deutschland zu gut wie möglich zu bremsen. Ab 1942 ist er Sonderbeauftragter in der Gemäldeabteilung des Louvre, wo er sich im Einvernehmen mit dem damaligen Direktor der französischen Nationalmuseen, Jacques Jaujard (1895-1967), eingehend bemüht, die Ausstellung der per Gesetz vom 23. Juni 1941 geforderten Ausfuhrgenehmigungen hinauszuzögern. Rose Valland berichtet in ihren Memoiren von diesen Verzögerungstaktiken:

„Eine von der Gemäldeabteilung beauftragte Person, Michel Martin, stand für diese Kontrolle ununterbrochen mit der Zollbehörde in Verbindung. Er machte sich jedoch keine großen Illusionen, wurde der Grenzübertritt verweigert, so fand sich meist ein anderer Weg für den Transport nach Deutschland.“4

Eines von zahlreichen Beispielen stellt der Fall des Kunsthändlers Raphaël Gérard dar, der dem Haus Kruger in Berlin mehrere Werke schicken ließ, für die er zuvor Ausfuhrgenehmigungen beantragt hatte, von denen eine abgelehnt worden war. In genau diesem Fall gelang es Raphaël Gérard jedoch, das Werk auf illegale Weise über die Grenze zu schleusen. In einem im Mai 1943 an den Kunsthändler adressierten Brief schreibt nämlich Martin: „Wir haben für das Gemälde von Detaille keine Ausfuhrerlaubnis erteilt und […] bedauern, dass dieses Gemälde auf illegalem Weg und gegen unseren Willen das französische Staatsgebiet verlassen kann.“5 Die von Martin bearbeiteten Ausfuhrgenehmigungen werden recht oft von Personen eingereicht, die heute für zahlreiche, während der Besatzungszeit in Frankreich getätigte Geschäfte bekannt sind, wie zum Beispiel der niederländische Kunsthändler Theo Hermsen (1905-1944), der Maler Cornelius Postma (1903-1977), aber auch Dr. Hildebrand Gurlitt (1895-1956) und Hans Herbst (1915-1942), die beide für das Museum in Linz Ankäufe tätigten.6

Parallel dazu scheint Michel Martin auch die Gemäldeabteilung zu betreuen, wenn die Konservatoren abwesend sind, sowie die Depots außerhalb von Paris zu überwachen, wo die Sammlungen aus dem Louvre zwischengelagert sind.

Ein Gutachter im Dienste der Wiedererlangung von Kunstbesitz

Im April 1944, als sich das Ende des Krieges abzuzeichnen beginnt, dankt ihm Jacques Jaujard für seinen Einsatz und äußert dabei den Wunsch, ihn sehr bald „enger mit unserem Haus verbunden“ zu sehen, „wo wir Sie als Führungskraft ganz besonders willkommen heißen würden.“1 Per Erlass vom 29. September 1944 wird Martin im Übrigen zum Gutachter der kürzlich gegründeten Commission de récupération artistique [(CRA), Kommission für die Wiedererlangung von Kunstbesitz] ernannt, die den Zweck hat, entzogenes Kulturgut ausfindig zu machen und rückzuführen.

Am Tag nach seiner Ernennung wundert sich Martin in einem an Jaujard adressierten Brief, dass die Militär- und Polizeibehörden „Ermittlungen und Verfahren gegen Kunsthändler, Gutachter und Mittelsmänner einleiten“,2 ohne die französischen Nationalmuseen miteinzubeziehen. Er weist einerseits auf diese schlecht informierten oder schlecht qualifizierten Beamten hin und andererseits auf die Tatsache, dass:

„diese Verfahren anscheinend ausschließlich gegen jene Personen gerichtet sind, die ganz offen mit den Deutschen zusammengearbeitet haben, wobei doch bekannt ist, dass die wichtigsten Käufer, Verkäufer und Kundenfänger […] unter der Hand und nicht unter ihrem richtigen Namen tätig waren. Wir sind in der Lage, Beweise für ihre Kollaboration vorzulegen. Es sollte also vermieden werden, dass diese Nutznießer im Hintergrund bleiben und nur Mitarbeiter belästigt werden.“3

Martin betont auch, dass diese Mittelsmänner als Spitzel von großem Nutzen sind, denn sie könnten „sagen, wohin die gesuchten Werke geschickt wurden und in wessen Besitz sie sind.“4 Es sei seiner Meinung nach daher wichtig, „die Angehörigen der französischen Nationalmuseen von den laufenden Verfahren nicht auszuschließen; ganz im Gegenteil, es liegt auf der Hand, dass umgehend eine für die französischen Nationalmuseen nützliche Verbindung hergestellt werden sollte.“5 Abschließend erinnert er daran, dass er als Reserve-Oberleutnant des 2. Generalstabsbüros „für die Kontrolle und Nachforschungen im Dienste der französischen Nationalmuseen unverzüglich einsatzbereit“6 sei, um an der Suche nach den nach Deutschland verbrachten Kunstwerken teilzunehmen, wobei es „sinnvoller wäre, wenn diese unmittelbar in Paris beginnen.“7

Eine bei der Säuberung des Kunstmarkts einflussreiche Persönlichkeit

Die Säuberung des Kunstmarkts, mit der die Commission nationale interprofessionnelle d'épuration (CNIE) [Nationale berufsübergreifende Säuberungskommission] beauftragt wird, setzt unmittelbar nach der Befreiung Frankreichs ein. Der innerhalb dieser Kommission zum Vertreter der Éducation nationale [Bildungsministerium] gewählte Martin kümmert sich von 1946 bis 1949 um die den Antiquitäten- und Kunstobjektehandel betreffenden Fälle. Der genaue Zeitpunkt, an dem er diese Tätigkeit beendete, ist unbekannt. Im März 1949 wird er jedoch noch vom Berater des Kassationsgerichtshofs und Regierungskommissar innerhalb der CNIE im Rahmen eines permanenten Dienstauftrags zum Berichterstatter der Commission ‚pour les affaires d’antiquaires‘ [Kommission für Antiquitätenfragen] ernannt“.1 Es wird präzisiert, dass er im Rahmen dieses Auftrags „entsprechend Artikel 16 des Erlasses [vom 29. März 1945] ermächtigt ist, sich von den öffentlichen Behörden und Privatunternehmen alle für die Wahrheitsfindung notwendigen Dokumente aushändigen zu lassen. Sofern notwendig, kann er von einem Kriminalbeamten unterstützt werden.“2

Martin überprüft somit alle von der CNIE zwischen 1944 und 1949 namentlich gegen Kunsthändler eröffneten Verfahren und ermittelt über die Handelstätigkeit der Betroffenen während der deutschen Besatzung. Als perfekt Deutsch sprechender Kunsthistoriker und Delegierter der Kunstbehörde verfügt er über die notwendigen Kompetenzen und Kapazitäten, die Schwere der Vergehen richtig einzuschätzen. In den für den Kunstmarkt relevanten Archivbeständen der CNIE fällt auf, dass Martin fortlaufend Mitteilungen an den Präsidenten der Kommission schickt. Der Sonderbeauftragte notiert dabei auf ein oder zwei Blättern in zackiger Schrift seine Schlussfolgerungen. Seine Meinung, der sich die Kommissionsmitglieder fast systematisch anschließen, beeinflusst weitgehend das jeweilige Verfahren3.

Oft macht Martin den Vorschlag, ein Verfahren einzustellen, wobei die Gründe dafür unterschiedlich sein können: „sehr guter Ruf“,  „hat die Unternehmungen des Feindes nicht unterstützt“,  „hat, soweit uns bekannt ist, eine sehr lobenswerte Haltung zum Ausdruck gebracht“ (Akte Étienne Bignou4); „hat Frankreich gegenüber immer eine eindeutig freundliche Haltung eingenommen“, „hat mit den französischen Behörden während der deutschen Besatzung äußerst gute Beziehungen gepflegt“ (Akte Alvaro Barreiro5); „konnte nachweisen, dass er 1940 bei den Nachforschungen der deutschen Besatzer die wichtigsten Waren im Geschäftslager geheim gehalten hat“ (Akte Jansen6); „einwandfreier Ruf“, „die polizeilichen Ermittlungen lieferten keinen Beweis für geheime Absprachen […] mit den deutschen Besatzern“ (Akte André Schoeller7) ; „tätigte nur geringfügige Verkaufstätigkeiten zu Bedingungen, die nicht als strafbar anzusehen sind“ (Akte Vandermeersch8).

In gewissen anderen Fällen, insbesondere, wenn der Regierungskommissar des Cour de justice de la Seine [Gerichtshofs des Departement Seine] die Person für schuldig erklärt, stellt Martin den Antrag, den Beschuldigten zum Zwecke einer Strafe vor die CNIE zu laden. Diesen Antrag stellt er u.a. bei den Ermittlungen zum Pariser Kunsthändler Henri Aumaître, dessen Handelstätigkeiten „eindeutig widerrechtlich sind“ und „bei denen er mit seiner Haltung keinerlei Absicht zeigt, dem Erhalt des künstlerischen Erbes des Landes nicht schaden zu wollen“.9 Die zahlreichen Mitteilungen Martins zu den Kunstmarktgeschäften während des Krieges  werfen damit ein Licht auf die Art und Weise, in der die CNIE die Fälle bearbeitete. Trotz der großen Bedeutung dieser Mission für die Kunstbehörde scheint der Sonderbeauftragte nicht die Absicht gehabt zu haben, die Beamten miteinzubeziehen, obwohl Jacques Jaujard ihn dazu aufgefordert hatte.

Die Karriere als Lehrer nach dem Krieg

Nach Beendigung seines Auftrags bei der CNIE und bis zu seinem Tod widmet sich Michel Martin voll und ganz seiner Laufbahn als Professor. Neben den Lehrstühlen an der École supérieure de commerce de Paris [heute ESCP Business School] (1943-1967) und an der École nationale de radiotechnique et d’électricité appliquée in Clichy (ENREA, 1943-1961), die er seit der Mitte des Krieges innehat, kommt bald noch seine Anstellung als Dozent am Institut d’études politiques de Paris [IEP, Institut für Politikstudien] (1945-1971) und als Gymnasiallehrer im Lycée Condorcet (1945-1968). Seine Tätigkeiten außerhalb des Unterrichts sind übrigens sehr zahlreich: er hält sowohl Vorträge an der École du Louvre (1942-?), an der École supérieure de guerre [~ Höhere Kriegsschule], an der École d’état-major [~  Militärschule] und im Centre d’études étrangères (1945-1965), wobei er gleichzeitig Jurymitglied bei den Prüfungen am IEP, an der ESCP (1945-1968) und bei der Journée européenne des écoles [Europatag der Schulen] ist, dessen internationales Komitee 1954 geschaffen wird. Zwischen 1945 und 1950 ist er Prüfer beim Concours national de la France d’outre-mer [~ Staatsexamen der Französischen Überseegebiete] sowie Vorstandsmitglied der Cours professionnels du commerce extérieur [~ Weiterbildung im Außenhandel] und Jurymitglied beim Brevet professionnel du commerce extérieur [~ Meisterprüfung für Außenhandel].

Martins zahlreiche zivile und militärische Auszeichnungen sind ein Beweis für seine disziplinübergreifenden Tätigkeiten: Croix de Guerre [französisches Kriegsverdienstkreuz] 1939-19401 (1940), Chevalier de l’Étoile noire [Orden vom Schwarzen Stern]2 (1952), Commandeur du Mérite militaire [Nationaler Verdienstorden Frankreichs]3 (1954), Officier de la Légion d’honneur [Offizier der Ehrenlegion]4 (1963), Chevalier des Arts et des Lettres [Orden der Künste und der Literatur]5 (1965), Officier du Mérite agricole [Französischer Verdienstorden für Landwirtschaft]6 (1967), Commandeur des Palmes académiques [Verdienstorden im französischen Bildungswesen]7 (1972).

Zu Beginn der 2000er Jahre wenden sich die französischen Nationalmuseen erneut an Martin, und zwar mit der Bitte, mit seinen Kriegserinnerungen als Zeuge aufzutreten, als die Museen beim Skandal rund um die im MNR [Rückführungsbestand der staatlichen Museen Frankreichs] eingetragenen Werke dazu aufgefordert werden, zu den immer noch in den französischen Museen prekär aufbewahrten Werken Stellung zu nehmen.8

Michel Martin starb am 8. Mai 2003 im Alter von 98 Jahren in seiner Pariser Wohnung. In seinem Bekanntenkreis bleibt er als anspruchsvolle und autoritäre Persönlichkeit mit weitreichenden künstlerischen, verwaltungsrechtlichen und juristischen Kenntnissen in Erinnerung.