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02/12/2021 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

Der Finanzbuchhalter Édouard Alexandre Gras kam in der Besatzungszeit als vorläufiger Verwalter unter anderem in den Galerien André Simon & Cie, Joseph Hessel, Bernheim-Jeune, Wildenstein & Cie, Allen Loebl sowie Seligmann Fils zum Einsatz, um die „Arisierungsverfahren“ durchzuführen.

Ein vorläufiger Verwalter

Édouard Alexandre Gras (1887-1976) war seit 1919 Finanzbuchhalter, beim Berufungsgericht in Paris zugelassener und auf den Pariser Kunstmarkt spezialisierter Rechnungsprüfer. Er wohnte im 12. Arrondissement von Paris, 7 Rue Fabre-d’Églantine, und hatte sein Büro an der Adresse 140 Rue du Faubourg-Saint-Honoré im 8. Arrondissement.1 Léonce Rosenbergs Angaben zufolge war er der private Buchhalter von Paul Cailleux (1884-1964), dem Präsidenten des Syndicat des négociants en objets d’art, tableaux et curiosités [Berufsverband der Kunstobjekte-, Gemälde- und Kuriositätenhändler], der während der deutschen Besatzung hinter verschlossenen Türen die Verwaltungskommissare der Kunstgalerien ernannte.2

Letztere kamen im offiziellen Auftrag des Vichy-Regimes und im Einvernehmen mit den deutschen Besatzern zum Einsatz, und ihre Aufgabe bestand darin, jüdischen Besitz zu verwalten. Ab Dezember 1940 unterstanden sie dem Service de contrôle des administrateurs provisoires (SCAP) [Kontrollabteilung der vorläufigen Verwalter], der im Juni 1941 dem Commissariat général aux questions juives (CGQJ) [Generalkommissariat für Judenfragen] eingegliedert wurde. Der Erlös aus Verkäufen und Geschäftsauflösungen floss in die Caisse des dépôts et consignation [Depositenkasse].

Gras wurde unter anderem mit den Galerien André Simon & Cie, Joseph Hessel, Bernheim-Jeune, Wildenstein & Cie, Allen Loebl sowie Seligmann & Fils beauftragt. Ihm oblag die Aufgabe, diese Galerien zu „arisieren“, das heißt, die Lagerbestände unrentabler Unternehmen aufzulösen oder Personen „arischer“ Abstammung für die Firmenübernahme zu bestimmen.

Die „Arisierung“ der Galerie Jos. Hessel

Gras wurde am 21. Dezember 1940 zum vorläufigen Verwalter ernannt und beaufsichtigte somit den Verkauf des Geschäftsfonds der an der Pariser Adresse 26 Rue La Boétie ansässigen Galerie Joseph Hessel an den im September 1941 in der Avenue de Villiers in Paris wohnenden Henri Joly. Sein Auftrag war am 19. Januar  1943 abgeschlossen.1 Als Gras feststellen musste, dass Joseph sog. Jos. Hessel (1859-1942) sich im Oktober 1941 „mit dem kompletten Lagerbestand“ in unbesetztes Gebiet abgesetzt hatte, versuchte er zuerst, jemanden „arischer“ Abstammung für die Geschäftsübernahme zu finden. Jos. Hessel war in die Villa Sapho in Cannes geflüchtet. Seine Frau Lucy, geb. Reiss, Modell und Geliebte des Malers Édouard Vuillard (1868-1940) sowie Cousine der Galeristen Gaston und Josse Bernheim, verstarb dort am 24. November 1941. Im Mai 1942 entdeckte Gras jedoch in einem bis dahin nicht bekannten Verschlag einen Lagerposten moderner Gemälde. Im Juli konnte das Commissariat général aux questions juives im Hôtel Drouot anhand von drei Verkäufen in beiderseitigem Einverständnis und einer Auktion mit 89 Posten (im Annuaire als „Zwangsverwaltung J.H.“ angegeben) 120.000 F an die Depositenkasse überweisen.2 Der im Herbst 1942 verstorbene Jos. Hessel hatte eine Adoptivtochter: Lucie Grandjean, die 1921 geboren wurde und seit 1940 mit Jacques Arpels verheiratet war. Bis zu ihrem Umzug nach Saint-Paul-de-Vence und dann im Jahre 1944 in die Schweiz wohnte das Paar in der Villa Sapho.3

Die Galerie Bernheim-Jeune

In derselben Zeit verwaltete Gras auch die an der Nummer 83 Rue du Faubourg-Saint-Honoré ansässige Galerie Bernheim-Jeune, seine offizielle Ernennung wurde am 19. Februar 1941 bestätigt. Er leitete das Unternehmen bis zur kompletten Liquidation im November 1941 und nach dem Aufkauf der israelitischen Anteile wurde eine neue Firma mit der geschäftsführenden Gesellschafterin Camille Marie Prosper Borione gegründet. Am 31. Dezember  1940 war der Lagerbestand des Unternehmens auf 1.166.845 F geschätzt worden.

Gras fuhr im Februar 1941 zwei Mal in unbesetztes Gebiet, um die in den Tresoren der Banque de France in Dax und Niort zwischengelagerten Gemälde zu beschlagnahmen, die „am 12. und 17. Februar 1941 von den deutschen Besatzern freigegeben, aber nicht abgeholt worden waren“.1 Da Gras die Genehmigung für den Einzelverkauf erhalten hatte, ließ er am 22. Dezember 1941 einen Teil des Bestands unter der Leitung von Alphonse Bellier, der wiederum von André Schoeller und Jean Metthey assistiert wurde, im Hôtel Drouot versteigern.

Unter der Federführung derselben Auktionatoren fand am 2. März 1942 eine zweite Versteigerung statt, bei der Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Skulpturen im Wesentlichen an drei Kunden veräußert wurden: Schoeller, Metthey und John Van der Klip. Eine dritte Auktion am 9. November 1942 betraf schließlich die Bücher. Die in den Tresoren beschlagnahmten Gemälde wurden ebenfalls im Auktionshaus versteigert.2

Die Galerie Wildenstein

Gras wurde auf Empfehlung von Roger Dequoy am 5. Februar  1941 vom Commissariat général aux questions juives zum kommissarischen Leiter des Unternehmens Wildenstein & Cie ernannt. Den Aussagen des Letzteren zufolge ermöglichte Gras, dass die Gemälde in unbesetztes Gebiet gebracht werden konnten.1 Gras zeigte sich nämlich „sehr verständnisvoll und hat[te] Herrn Dequoy bewusst geholfen, weil er wusste, welche Rolle er tatsächlich“ in der Galerie spielte.2 Am 24. April 1941 beauftragte Gras Hugo Engel, die Lieferung der Sammlungen der Galerie Wildenstein & Cie zu veranlassen, die im Schloss Sourches, dem Sitz der Galerie Wildenstein & Cie, zwischengelagert waren, mit dem Hinweis, dass er dazu eine Liste vorgelegt hätte.3 Er genehmigte die daraufhin im Juni 1941 getätigten Verkäufe von Dequoy an Karl Haberstock, die u.a. zwei Gemälde von Claude Lorrain, zwei Gemälde von Hensius (sic) sowie ein Gemälde von Gustave Courbet betrafen, zu einem Preis von 930.000 F (46.500 RM).4 Da Gras in den Augen der deutschen Besatzer immer stärkeres Misstrauen erregte, wurde er 1942 seines Amtes enthoben und durch  J. Bruyer ersetzt, der daraufhin mit Unterstützung des Deutschen Buwert die Galerie Wildenstein & Cie übernahm.5

Die Galerie André Simon & Cie

Am 6. August 1941 wurde Gras mit der Verwaltung der im 8. Pariser Arrondissement, 29 ter Rue d’Astorg, ansässigen Galerie André Simon & Cie beauftragt. Da diese am 1. Juli 1941 ihren Lagerbestand zugunsten von Louise Alexandrine Godon (1902-1988) veräußert hatte, die seit 1926 mit Michel Leiris (1901-1990) verheiratet und seit den 1920er Jahren in der Galerie tätig war, endete Gras‘ Aufgabe hier am 3. März 1942.1 Die von Daniel-Henry Kahnweiler (1884-1979) zusammen mit seinem Freund und Geschäftspartner André Simon im Jahre 1920 gegründete Galerie André Simon & Cie wurde nun in Galerie Louise Leiris umbenannt. Somit konnte sie in der Besatzungszeit ihre Tätigkeit fortsetzen und so, während die Gestapo nach Kahnweiler suchte, der nach Südwestfrankreich geflüchtet war, den deutschgebürtigen Kunsthändler jüdischer Herkunft vor einer zweiten Beschlagnahmung retten.2

Kleinberger und Seligmann Fils

Gras, der am 11. Dezember 1941 zum Verwalter der Antiquitätenhandlung Allen Loebl ernannt worden war, verkaufte am 4. Mai 1942 zugunsten von Ernest Garin auch dessen Geschäftsfonds sowie die Lagerbestände. Die Galerie Kleinberger wurde die Galerie Ernest Garin, Allen Loebl behielt allerdings dank Hermann Görings Protektion die Leitung inne und setzte seine Geschäftstätigkeiten mit verschiedenen Kunsthändlern aus der ganzen Welt, darunter Wendland, fort. Gras‘ Auftrag ging am 8. März 1943 zu Ende.1 Im Mai 1942 wird ihm die Verwaltung der Galerie der Söhne Seligmann übertragen. Germain (1893-1978) und François-Gérard (1912-1999), die Söhne von Jacques Seligmann (1858-1923), hatten das Archiv der Galerie zerstört, um die Sammlungen zu schützen. Gras erklärte dem Commissariat général aux questions juives, dass sich ein Großteil des Lagerbestands der Galerie Jacques Seligmann inzwischen in den USA, also außer Reichweite, befinde.2

Diese verschiedenen Beispiele liefern den Beweis, dass der vorläufige Verwalter Gras im Grunde genommen für verschiedene Arten von „Arisierungsverfahren“ verantwortlich war. Für gewisse Unternehmen, wie etwa die Louise Leiris überantwortete Galerie Simon, waren die Verfahren schon im Vorfeld arrangiert worden, wogegen er andere nur zum Schein verwaltete, wie etwa die Galerie Wildenstein & Cie, die weiterhin eigentlich Dequoy leitete, oder aber die Galerie Garin, die weiterhin Allen Loebl führte. Andere Firmen wiederum wurden zwangsverwaltet, wie die Galerie Joseph Hessel oder die Galerie Bernheim-Jeune, deren Bestände zugunsten des Vichy-Regimes über den Kunstmarkt in alle Winde zerstreut wurden.

Diese Tätigkeiten des Finanzbuchalters in der Rolle des Geschäftsverwalters in Galerien aus jüdischem Besitz vermitteln  das Bild eines Pragmatikers, der in der Lage war, die ihm gegenüber misstrauischen deutschen Befehlshaber hinters Licht zu führen, andererseits aber seine Aufgaben beflissen und unterwürfig erfüllte und somit zur Umsetzung der antisemitischen Gesetzgebung beitrug.