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05/05/2022 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

Georges Destrem war ein auf Kunstwerke spezialisierter Zwischenhändler, der während der Besatzungszeit in Transaktionen mit Roger Dequoy und Martin Fabiani verwickelt war.

Georges Destrem – ein Offizier der Kaiserlich Russischen Armee

Georges Mawrikjewitsch Destrem kam am 11. Februar  1884 in der 200 Kilometer südwestlich von Moskau gelegenen Stadt Kaluga zu Welt.1 Sein im französischen Fanjeaux (Departement Aude) geborener Urgroßvater war der Bauingenieur Maurice Destrem (1788-1855). Er hatte sich im 19. Jahrhundert in Sankt Petersburg niedergelassen, wo er unter dem Namen Moris Gugowitsch eingebürgert wurde und eine Familie gründete. Maurice Destrem hatte drei Kinder: Wladimir (1819-1867), Dimitri (1818 oder 1821-1871) und Sophia. Dimitri Destrem hatte sieben Kinder, darunter Maurice (1851-1904), Georges Destrems Vater.2

Georges Destrem studierte an der Konstantin-Artillerieschule in Sankt Petersburg. Als Offizier der Kaiserlich Russischen Armee wird er im Jahre 1909 Leutnant im 1. Reiter-Artillerieregiment; im Ersten Weltkrieg dient er eine Zeit lang in Frankreich. Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde er noch im gleichen Jahr, nämlich am 12. Dezember 1919, als ehemaliger Offizier in Beschezk zusammen mit seiner Frau Nadjeschda Wjatscheslawowna Trubnikowa verhaftet. Nach Moskau überführt kommt er dort ins Gefängnis, wird aber dann wohl entlassen.3 Nadjeschda Wjatscheslawowna von Bradke4 war vor ihrer Ehe mit Georges Destrem zweimal verheiratet gewesen. Aus ihrer ersten Ehe mit Fedor Fedorowitsch Palitsin hatte sie einen Sohn, Sergeij (1906-1978).5

Nach seiner Freilassung scheint Georges Destrem Russland Anfang der 1920er Jahre verlassen und sich in Paris niedergelassen zu haben, der Zeitpunkt ist aber unbekannt. Eine niederländische Website nennt mehrere Visumanträge von Georges und „Nadine“ (sic) Destrem zwischen 1924 und 1926  für Reisen von Paris in die Sowjetunion.6 Am 12. Juli  1938 ist er der Trauzeuge von Boris Galitzin (1880-1947), als dieser Olga Dimitrijewna Galitzin (1896-1994) in der russischen Kirche in der Rue Daru im achten Pariser Arrondissement heiratet, was auf seine Präsenz in Frankreich hinweist und darauf, dass er vermutlich in der Pariser russischen Gemeinde integriert war.7

Georges Destrem hatte vier Brüder: Dimitri (1885-1937), Andreij Alexeij (1891-1942), Nicolas (1897-1937), Iwan (1902-1937). Zwei von ihnen widerfuhr ein tragisches Schicksal bei der „Entkulakisierung“: repressive Maßnahmen, bei denen mehrere Hunderttausend Personen hingerichtet wurden. Der in Kaluga geborene Nicolas wurde am 26. August 1937 vom NKWD verurteilt, am 30. August verhaftet und am 13. September desselben Jahres hingerichtet; er wurde im Friedhof Sandarmoch in Karelien begraben und am 22. April 1989 vom karelischen Staatsanwalt rehabilitiert.8 Der gleichfalls in Kaluga geborene und in Leningrad lebende Iwan wurde am 2. November 1937 verhaftet; er wurde vom NKWD verurteilt und am 10. Dezember 1937 hingerichtet.9 Dimitri, ein dritter Bruder, der 1885 in Kaluga zur Welt gekommen war und im ukrainischen Kamjanez-Podilskyj lebte, wurde am 5. September  1929 verhaftet, am 6. März 1930 zu zehn Jahren Gefangenschaft verurteilt und dann noch am 16. März ins Ukhta-Pechora Lager überführt. Er starb im Gefängnis am 24. August 1937.10

Ein Kunstmakler

Über Georges Destrems Tätigkeit auf dem französischen Kunstmarkt ist nach wie vor sehr wenig und nur aus vereinzelten Informationsquellen bekannt. Die in der Zeit der deutschen Besatzung durchgeführten Handelsabschlüsse stehen alle mit Roger Dequoy in Zusammenhang.

In den Jahren nach 1930 tätigt Destrem seine ersten geschäftlichen Transaktionen in Frankreich. 1937 wandte er sich an die Verwaltung der französischen Nationalmuseen, um ein Gemälde Alter Meister begutachten zu lassen. Seine Adresse lautete zu diesem Zeitpunkt 154 Boulevard Haussmann.1 In den von der Roberts Commission durchgeführten Ermittlungen ist dieselbe Adresse angegeben. Auch sein Schwiegersohn Sergeij Palitzin wohnte dort. Er wurde am 19. August  1906 in Sankt Petersburg geboren und erhielt 1931 die französische Staatsbürgerschaft.2 Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war er Hauptgefreiter der französischen Armee. 1940 geriet er in deutsche Kriegsgefangenschaft und wurde ins Lager Ziegenhain bei Bonn überführt.3

Während der deutschen Besatzung war Destrem beim Verkauf von zwei Rembrandt-Gemälden aus dem Besitz des Weinhändlers Étienne Nicolas beteiligt, die Dequoy 1942 an Karl Haberstock verkaufte, nämlich ein Titus-Porträt und eine Landschaft.4 Für die beiden für das geplante Linzer Museum bestimmten Gemälde mit einem Verkaufspreis von 60.000.000 F kassierte Georges Destrem eine Maklergebühr von 100.000 F ein. Dequoy handelte im Auftrag der Galerie Wildenstein & Cie (Paris) und erhielt seinerseits eine Provision von 1.800.000 F, also 3 % des Verkaufspreises.5 Dequoy behauptete, für Destrem vermittelt zu haben, der ein Vertrauensmann von Nicolas war und den Wert dieser Gemälde kannte. Nicolas gab an, dass der „ Kunstmakler“ Georges Destrem „ihm vor dem Krieg den Titus verschafft hatte“.6 Wildenstein & Cie (Paris) gab an, dass dieser Titus zur Zeit der Weltwirtschaftskrise 1929 verkauft wurde. 1935 erwähnte Auguste Marguillier im Mercure de France diesen Ankauf „eines anderen Titus, der vor kurzem in die Sammlung E. Nicolas eingegangen“ sei.7

Diese Transaktion mit Haberstock, der Nicolas auf Dränge von Destrem zugestimmt hatte, hatte letzterer  in die Wege geleitet, weil er damit eigentlich die Freilassung seines Schwiegersohns erwirken wollte.8 Am 23. Oktober 1942 dankte er Haberstock in einem Schreiben für dessen Mitwirkung.9 Als Haberstock sich etwas später bei Dequoy nach der Sammlung Schloss erkundigte, schrieb Destrem am 22. Dezember 1942 erneut an Haberstock, um ihm mitzuteilen, dass ein ihm bekannter Rechtsanwalt ihn darauf hingewiesen hätte, dass die Erben Schloss über einen Verkauf nachdächten.10 Da zu diesem Zeitpunkt Glückwunschschreiben die Regel waren, fügte Destrem hinzu: „Mein größter Wunsch wäre es, 1943 meinen Schwiegersohn wiederzusehen“. Aufgrund der direkten Transaktionen mit Haberstock gilt Destrem  in den  Archiven der US-amerikanischen Kommission als einer von Dequoys Komplizen.11

Anschließend war Destrem am Verkauf eines Gemäldes von Boucher mit dem Titel La Lumière du monde [~ Das Licht der Welt] beteiligt, das Raymond Destrem, dem Bruder des 1941 verstorbenen Sammlers Henri Destrem gehörte.12 Das Gemälde erwarb Maria Almas-Dietrich im Februar 1944 zu einem Preis von 140.000 RM. Genannt wird dabei der Name Georges Destrem, wobei sein Vorname mit einem Fragezeichen gekennzeichnet ist. Das Gemälde wurde am 24. März 1944 für 180.000 RM für das Linzer Museumsprojekt weiterverkauft.13 Dequoy erklärte, dass er das Gemälde im Jahre 1943 von Raymond Destrem (Henris Bruder) zu einem Preis von 1.215.000 F erworben hatte, es bei Fabiani ausgestellt und gegen seinen Willen für 1.500.000 F an Deutsche verkauft wurde.14

Es ist durchaus plausibel, dass Georges Destrem seine entfernt verwandten Cousins Destrem mit Dequoy bekannt gemacht hatte. Georges scheint übrigens sehr wohl mit Raymond Destrems Familie verwandt zu sein, da dessen Sohn, Dominique Destrem, Notar und Vorsitzender der Association des commandos de France [Fallschirmjägerverband], in seinen Memoiren einen gemeinsamen Vorfahren, Hugues Destrem (1754-1804), erwähnte.15 Überdies stammen noch weitere Vorfahren von Henri und Raymond Destrem aus Fanjeaux oder haben dort gelebt. In derselben Stadt ist der nach Moskau ausgewanderte Maurice Destrem geboren, der dann den russischen Zweig der Familie Destrem gegründet hat.

Letztendlich ist noch ein Werk mit einem römischen Torbogen im Guardi-Stil zu erwähnen (ein mit Aquarelle und Gouache gehöhter Kupferstich?), das Maria Almas-Dietrich angeblich in der „Kunsthandlung Destrem, Paris“ erworben und dann selbst für den Sonderauftrag Linz weiterverkauft haben soll.16 Da das Gemälde im April 1945 aus dem Führerbau gestohlen wurde, ist sein Verbleib bis heute unbekannt. Dasselbe trifft auf einen Piranesi zugeschriebenen, mit Aquarell und Gouache gehöhten Stich mit Blick durch das Herculanum-Stadttor am Eingang von Pompei zu.17 Man kann davon ausgehen, dass die Bezeichnung „Kunsthandlung“ eher Georges als Henris Erben betrifft.

Aus den Aufzeichnungen der russischstämmigen Sammlerin Madame de Basily geht hervor, dass sie Werke aus der Sammlung des italienischen Diplomaten Valentino Andreoletti und der von Vladimir A. Artzimowitsch erwarb, und zwar durch Vermittlung der Zwischenhändler („art brokers“) Pawel A. Michailow (1962 in Paris verstorben) und Georgij (Georges) M. Destrem (1959 [sic] in Paris verstorben), „a shadowy figure who may have been associated with the Wildenstein Gallery in Paris“ [Eine zwielichtige Gestalt, die möglicherweise mit der Wildenstein-Galerie in Paris zusammengearbeitet hat].18

Diese spärlichen Auskünfte weisen also eher darauf hin, dass Georges Destrem mehr als nur „Strohmann“ für Fabiani oder Dequoy war, wie gewisse US-amerikanische Archive zu verstehen geben. Es handelt sich sehr wohl um einen Gelegenheitshändler, der in der deutschen Besatzungszeit mit der Galerie Wildenstein & Cie (Paris) zusammenarbeitet, um die Freilassung seines Schwiegersohnes zu bewerkstelligen.