Die politischen Säuberungen unter den Akteuren des französischen Kunstmarkts nach der Befreiung
Die politische Säuberung war ein „steiniger“1, jedoch kein „wilder Weg“2: Dutzende Texte bildeten die Grundlage dieses Übergangsprozesses, der mit der Verordnung vom 18. August 1943 für die Einrichtung einer Säuberungskommission in Algier begann und mit der Generalamnestie am 6. August 1953 zu Ende ging.
Ziel war die Wiederherstellung des republikanischen Rechts sowie die Verhängung einer Reihe von Sanktionen, die der Schwere der Anklagen entsprachen, ohne dabei die Einheit der Nation und die politische sowie wirtschaftliche Stabilität aufs Spiel zu setzen. De Gaulles Botschaft aus Algier ist eindeutig: Die Liberation, die Befreiung Frankreichs, muss vorbereitet, „die staatliche Justiz wieder hergestellt und diejenigen, die das Vaterland verraten haben, müssen ihrem Vergehen entsprechend verurteilt werden“.3
Ab Frühjahr 1944, als die gewalttätigen Racheakte immer zahlreicher werden, baut das Gouvernement provisoire de la République française [Provisorische Regierung der Französischen Republik] das Gerichts- und Verwaltungswesen immer besser aus, indem es per Verordnung mehrere Gerichtshöfe und Komitees einrichtet: die Gerichtshöfe am 26. Juni 1944, die Zivilgerichtskammern am 28. August, in den Departements die Comités départementaux de confiscation des profits illicites [Komitees für die Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] sowie die Commission nationale interprofessionnelle d’épuration [Nationale berufsübergreifende Säuberungskommission] am 18. Oktober und zuletzt den Haute Cour de justice [Oberster Gerichtshof] am 18. November.
Den Vorkommnissen außerhalb des rechtlichen Rahmens wurde damit zwar kein Einhalt geboten,4 doch der Einsatz der Militärjustiz bot die Möglichkeit, den Rachegelüsten der Bevölkerung vorübergehend eine Gerichtsbarkeit entgegenzusetzen, die zwar nicht perfekt, aber doch sofort wirksam war.5
Begleitend zu diesen wichtigen Verordnungen werden zahllose Sonderkommissionen ins Leben gerufen, um alle staatlichen Verwaltungsorgane sowie alle beruflichen, intellektuellen oder künstlerischen Bereiche zu säubern.
Damit werden also weitreichende juristische Grundlagen für die Säuberung geschaffen (I), der Fall der Akteure des französischen Kunstmarktes (II) jedoch wird in erster Linie von einem wirtschaftlichen Standpunkt aus behandelt.
Der strafrechtliche Aspekt: Gerichtshöfe, Zivilgerichtskammern, Oberster Gerichtshof
Für die Verurteilung einzelner Personen muss ein sich auf Tatbestände beziehendes Vergehen vorliegen, das gesetzlich definiert und zum Zeitpunkt des Geschehens gesetzlich strafbar ist. Bei der Liberation erlangt die französische Bevölkerung die absolute, unteilbare und fortwährende Souveränität, die von einer sich seit 1940 als legitim betrachtenden, nun aus dem Exil zurückgekehrten Regierung vertreten wird.
Allerdings entspricht das allgemeine Rechtswesen nicht unbedingt den Säuberungsbestrebungen der Nachkriegszeit. Die Rechtsprechung der Übergangszeit ist daher geneigt, neue, den auβergewöhnlichen Umständen entsprechende Anschuldigungen aufzulisten.
Der Verrat konnte als gemeinrechtliches Verbrechen geltend gemacht werden, da der am 17. Juni 1940 erfolgte Aufruf zur Einstellung der Kampfhandlungen als Nährboden für jede Art von zukünftigem Verrat diente. Sobald das Regime unter der Führung von Pétain in Verbindung mit der Besatzung durch eine Fremdmacht als Hochverrat angesehen wird, gilt in Kriegszeiten jedwede Beteiligung am besagten Regime als Verschwörung mit dem Feind, worauf die Todesstrafe steht (Artikel 75ff. des französischen Strafgesetzbuchs). Ebenso kann die Gefährdung der Staatssicherheit geltend gemacht und mit Zwangsarbeit bestraft werden (Artikel 79ff).
Die Verurteilung der politisch Verantwortlichen auf höchster Ebene stellt kaum ein juristisches Problem dar, da die Regierung auf eine lange Tradition von politisch Verurteilten zurückblickt, die vor dem Obersten Gerichtshof erschienen waren. Abgesehen von den etwa hundert vom Obersten Gerichtshof verurteilten Personen, wurden aber mehr als 55.000 Personen wegen Verrat vor die im gesamten Staatsgebiet eingesetzten Gerichtshöfe zitiert.1
Nichtsdestotrotz stellt Verrat ein allzu schweres und undifferenziertes Verbrechen dar, da es aussichtslos war, damit die ganze Bandbreite von Verhaltensweisen aus der Besatzungszeit zu fassen. Ein bescheidener Beamter, der beiläufig erwähnt, wie gleichgültig ihm das Schicksal eines Engländers oder eines Widerstandskämpfers ist, kann nicht im selben Maβe wie ein Milizsoldat oder ein eifriger Denunziant verurteilt werden.
Daher wird das Verbrechen der nationalen Unwürdigkeit definiert, dessen moralisierende Note jeden einzelnen Menschen in seinem tiefsten Inneren und in seiner Stellung innerhalb der bürgerlichen Gemeinschaft treffen kann. In dieser „republikanischen Strafe“2 klingen die antiken Grundlagen des Gemeinwesens an. Damit wurde das neue Bild des „Vichy“-Anhängers geschaffen, der sich mit Wort und Tat und damit auch mit seinen Gedanken aus dem Körper der Republik herausgelöst hatte. Ihm gebührt eine beschämende Bestrafung, wie sie die Geschichte Frankreichs ja seit der französischen Revolution immer wieder aufweist. Die „Nationalbeleidigung“ tritt nur an die Stelle der Majestätsbeleidigung. Aus geschichtlichen Gründen umgeht diese Anschuldigung übrigens nur schwerlich das Prinzip des Rückwirkungsverbots der Gesetze: es handle sich nicht um ein neues Verbrechen, sondern um denselben Straftatbestand, der milder sanktioniert wird und somit von der Rückwirkung einer gesetzlich festgelegten Strafe betroffen sein kann.
Diese rechtlich-historische Verrenkung ermöglicht, dass mit der Verordnung vom 26. August 1944 die der nationalen Unwürdigkeit Angeklagten mit der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte bestraft werden, was im Vergleich zu früheren Strafen, wie etwa Deportation, als milde Strafe angesehen wird. In nationale Unwürde zu fallen bedeutet den Verlust und Entzug von Rechten sowie Berufsunfähigkeit und Berufsverbote. Auch Beschlagnahmung von Vermögen und Aufenthaltsverbot können damit einhergehen.
In erster Linie sind die an den Gerichtshöfen eingerichteten Zivilgerichtskammern dafür zuständig, den Tatbestand der nationalen Unwürdigkeit festzustellen, die Gerichtshöfe können aber zusätzlich auch die bürgerlichen Ehrenrechte entziehen. Von insgesamt 69.282 verurteilten Personen werden 46.645 auf Lebenszeit oder befristet zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.3
Diese Zahlen stehen am Ende der gerichtlichen Verfahren, da die groβe Mehrheit der Angelegenheiten schon im Vorfeld durch die bei der Liberation eingerichteten Komitees, und dann von den wieder eingerichteten Instanzen geklärt wird, um die wegen der mehr oder weniger berechtigten, lokal aufkommenden Rachedynamik drohende Überlastung der Gerichte zu vermeiden.
Die wirtschaftliche Säuberung und die Akteure des französischen Kunstmarkts
Der französische Kunstmarkt und seine Akteure sind sowohl in beruflicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht von der Säuberung betroffen. Allerdings hatte der Sektor keine Priorität, was sich auch in der Geschichtsschreibung niederschlägt, die sich in erster Linie für die Verwaltung und die juristischen, intellektuellen und finanziellen Berufssparten interessierte, und zwar sowohl in strafrechtlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht.
Nach und nach nahmen die Historiker Abstand von Henry Roussos Idee, der zufolge „die Kollaboration auf wirtschaftlicher Ebene am intensivsten und allgegenwärtigsten war“, „die Repression hingegen überaus moderat ausgefallen ist“1.
Die wirtschaftliche Säuberung mag uneinheitlich gewesen sein, doch es gab sie, und sie ging mit denselben widersprüchlichen Vorgaben für schnelle und die Öffentlichkeit besänftigende Verfahren einher wie die strafrechtliche Säuberung. Sie wirft die Frage auf, welcher Profit in Kriegszeiten zulässig ist und wie man zwischen den möglich gewordenen und in gutem Glauben gemachten Bereicherungen einerseits und Betrug und Kollaboration andererseits unterscheidet.
Auβerdem haben sämtliche gesellschaftliche Schichten aufgrund des Krieges an Entbehrungen gelitten, die mit der Befreiung des Landes nicht unmittelbar aufhörten, was Profitmacherei sowohl in kleinem als auch in großem Stil noch unerträglicher machte. Überall kommen Zweifel auf, wer unter Zwang und wer aus freien Stücken mit den Deutschen zusammengearbeitet hatte. Sogar die aus der Zwangsarbeit Zurückgekehrten bekommen das Misstrauen der Bevölkerung zu spüren.
Die wirtschaftliche Kollaboration kann übrigens eine Vorstufe zur aktiven Kollaboration darstellen, ist strafbar und wird als nationale Unwürdigkeit und Zusammenarbeit mit dem Feind eingestuft. Das mit der Befreiung wieder in Kraft gesetzte Strafgesetzbuch aus der Vorkriegszeit sah nämlich die Möglichkeit vor, jemanden wirtschaftlicher Beziehungen zum Feind zu beschuldigen, und zwar nicht nur wegen der alleinigen Tatsache dieser Beziehungen, sondern auch wegen der Absicht, mit welcher der Angeklagte diese Beziehungen pflegte.
Für die Durchführung der wirtschaftlichen Säuberung werden drei Institutionen geschaffen: die Comités départementaux de confiscation des profits illicites [CCPI, Komitee für Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] in den Departements, die Comités régionaux interprofessionnels d’épuration [CRIE, Regionale berufsübergreifende Säuberungskommissionen] und die Commission nationale interprofessionnelle d’épuration [CNIE, Nationale berufsübergreifende Säuberungskommission].
Die überwiegend aus Mitgliedern der Finanzverwaltung zusammengesetzten CCPI stehen vor einem echten Dilemma, zwischen der schieren Menge der zu regelnden Angelegenheiten, dem strengen Strafmaß und den tatsächlich erstatteten Beträgen. Die Überlastung führt dazu, dass immer mehr Komitees geschaffen werden und die einfachsten Verfahren dem Finanzamt als Angelegenheiten für Steuernachzahlungen übertragen werden. Trotz dieser Zuständigkeitsübertragungen beläuft sich die Zahl auf 123.000 Vorladungen, auch wenn die tatsächlich eingezogenen Summen und damit das Endergebnis schwer einzuschätzen sind. Da häufig längere Zahlungsfristen gewährt werden und Zahlungspläne erstellt werden, sind abschließende Berechnungen nicht möglich, weil keine durchgehende Dokumentation zur Verfügung steht.2
An spezifischen Orten vorgenommene Untersuchungen verdeutlichen, welch hohe Erwartungen in die CCPI gesetzt werden und welchen Schwierigkeiten diese ausgesetzt sind. Im Departement Gironde kann das CCPI seine Arbeit nicht beginnen, weil keine klaren Anweisungen vorliegen und insbesondere in der Buchhaltung Personalmangel herrscht.3 Auβerdem muss das Komitee seine Arbeit mit jener der Säuberungskommission CRIE koordinieren, die für schuldig befundene Personen aus den Unternehmen entfernen soll, ohne an den wirtschaftlichen Aspekt der Letzteren zu rühren.
Die von hohen Verwaltungsbeamten geleiteten, aber paritätisch mit Arbeitgeber*innen, Arbeiter*innen und Beamt*innen besetzten CRIE können also berufsspezifische Bestrafungen wie Berufsverbote, Ausschlussverfahren und sogar die Aberkennung der bürgerlichen Ehre beantragen, um einen Verweis an die Zivilgerichtskammer zu vermeiden. Die ohnehin schon langwierigen Verfahren ziehen sich wegen der Gepflogenheiten rund um das Berufsgeheimnis zusätzlich in die Länge. Strafen greifen erst ab 1946, als die Dringlichkeit von Säuberungen bereits abgeklungen ist. In dieser kurzen Zeitspanne verunglimpfen die Presse wie auch die Öffentlichkeit diese Institutionen.
Diese für wirtschaftliche Säuberungen geschaffenen Instanzen erweitern zusätzlich das komplexe Rechtsgebilde, in dem zahlreiche Organismen einander begegnen, zusammenarbeiten oder sogar aufeinanderprallen und sich überlagern. Diese Art Säuberungsraster erleichtert keineswegs die Kommunikation, so dass ein und dieselbe Person zugleich als Privatperson von einem Gerichtshof und im Namen ihres Unternehmens von einem CCPI und/oder einer CRIE belangt werden kann.
Die Akteure des französischen Kunstmarkts wurden im Wesentlichen von den CCPI vorgeladen und verurteilt, während die bei den CNIE und dem Gerichtshof des Departement Seine anhängigen Verfahren, abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen, ohne jegliche Verurteilung eingestellt wurden.
Von der RAMA-Datenbank ausgehend haben wir die Fälle von 62 Personen nachverfolgt, die von der Säuberung betroffen und von mehreren Organismen, in den meisten Fällen vom CCPI und vom CNIE, belangt worden waren.
Ein Dutzend von ihnen standen jedoch vor dem Gerichtshof des Departement Seine und drei von ihnen wurden verurteilt: Max Stöcklin, Gustav Rochlitz und Yves Perdoux. Stöcklin ist ein echter Spitzel, der für den Besatzer arbeitet. Entsprechend wird er am 18. Januar 1946 eher für seine Kollaborationstätigkeit als für seine gelegentlichen Ankäufe von Raubkunst wegen Verschwörung mit dem Feind zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt. Rochlitz wiederum stand in enger Verbindung mit dem Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) und erscheint drei Mal vor dem CCPI, das ihn mit der Beschlagnahmung seines gesamten Vermögens und hohen Buβgeldern bestraft. Zusätzlich verurteilt ihn der Gerichtshof zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe. Yves Perdoux schlieβlich hat - teilweise in Verbindung mit Rochlitz – rege mit den deutschen Behörden auf wirtschaftlicher Ebene kollaboriert. Er wird vom Gerichtshof zu einer Geldstrafe und der Aberkennung seiner bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt, während gleichzeitig beim CCPI ein weiteres Verfahren gegen ihn läuft.
Die anderen entkommen aus verschiedenen Gründen einer Verurteilung, ihre Geschichten zeigen jedoch, wie schwierig es ist, einen Zusammenhang zwischen unlauteren Gewinnen in Kriegszeiten und nachweisbarem Verrat oder Verschwörung mit dem Feind zu herzustellen.
Die Verfahren gegen den Galeristen Alfred Maquet wurden sehr bald wegen seinem Einsatz als Widerstandskämpfer eingestellt, aber auch wegen der Tatsache, dass die mit zwei deutschen Besatzern erfolgten geringfügigen Transaktionen mit Kunstraub nichts zu tun hatten. Die Frage nach Zwang und Absicht stand auch bei den die Galerie Brosseron betreffenden Gerichtsbeschlüssen zur Diskussion, welche Werke von jüdischen Bekannten auf deren Bitte hin versteckt und teilweise verkauft hatte - was Grund genug für eine Verurteilung der Galerieinhaber vor dem CCPI, nicht aber vor dem Gerichtshof war, da die Handelsbeziehungen mit den deutschen Besatzern unter Zwang zustande gekommen und nicht absichtlich herbeigeführt worden waren. Das gleiche gilt für andere, in Handelsbeziehungen mit Deutschen verwickelte Akteure, bei denen die Tatsache von Kollaboration nicht nachgewiesen werden kann: Die Anklageverfahren der Galerie Vandermeersch vor der CNIE und vor dem Gerichtshof Seine werden bald eingestellt. Noch eindeutiger ist der Fall von Alfred Maquet, dessen Beziehungen mit dem deutschen Besatzer sehr geringfügig waren, und der ein Jahr lang einen geflohenen Kriegsgefangenen versteckt gehalten hatte, was Grund genug war, die vor dem Gerichtshof und vor der CNIE laufenden Verfahren einzustellen.
André Schoellers Schicksal war genauso kontrastreich. Zwar war er vom CCPI verurteilt worden, die anderen Verfahren vor dem Gerichtshof und der CNIE wurden aber eingestellt. Daher macht sein Fall anschaulich, mit welcher Ambiguität Personen begegnet wurde, die in der Besatzungszeit in den wirtschaftlichen Kreislauf verwickelt waren. Als Mitglied des Syndicat des négociants en tableaux [Kunsthändlergewerkschaft] hat er sowohl Kontakt zu deutschen Institutionen als auch zu Kunstsammlern, bei der Befreiung Frankreichs macht er seinen Einsatz als Widerstandskämpfer geltend. Bestimmte Personen durchschauen ihn jedoch und Jean Dutourd prangert die deutsch-französischen Seilschaften wie auch die Tatsache an, dass „sämtliche Auktionen im Hôtel Drouot unter der Etikette Schoeller-Fabiani stattfanden“.4 Der Fall von Martin Fabiani, der sich während des Krieges auf auβergewöhnliche Weise bereichert hatte, war übrigens ähnlich, da die Strafverfahren gegen ihn eingestellt wurden und er nur vom CCPI verurteilt wurde.
Bestimmten Personen wie dem Antiquitätenhändler Paul Tulino, der nur für kurze Zeit vom Gerichtshof Seine und von der CNIE belangt wurde, kamen die schnelle Abwicklung und der oberflächliche Charakter bestimmter Ermittlungen zugute, während bei späteren Nachforschungen herauskam, dass er an Kunstraubgeschäften beteiligt war. Die beschränkten Arbeitsbedingungen der Säuberungsämter erklären vielleicht, warum noch andere vor dem Gerichtshof laufende Verfahren eingestellt wurden, wie etwa das der Galerie Atri, die sich an mehreren Verkäufen an deutsche Museen und an Walter Hofer, dem wichtigsten Kunsthändler Görings, beteiligt hatte. Roger Dequoy war zwei Mal vom CCPI verurteilt worden, sein vor dem Gerichtshof laufendes Verfahren endete jedoch mit einem Einstellungsbeschluss. Er hatte Kontakt zu sämtlichen Kollaborateuren im Handelsnetzwerk mit den Deutschen, es gelang ihm aber, die Sammlung Wildenstein zurückzuholen, dessen Pariser Galerie er innehatte und deren Beschlagnahmung er somit verhinderte. Im Gegensatz dazu stand René Avogli Trotti immer wieder im engen Kontakt zu Adolf Wüster und den deutschen Museen, weswegen er vor dem CCPI verurteilt wurde. Sein Tod führte jedoch zur Einstellung des vor dem Gerichtshof und der CNIE laufenden Verfahrens. Auch Paul Pétridès wurde vom Gerichtshof freigesprochen und von der CNIE wegen unlauterer Gewinne verurteilt.5
Kein einziges der hier angeführten Verfahren vor der CNIE endete mit einer Verurteilung. Auch in diesen Fällen wurde trotz unlauterer Gewinne nicht der Tatbestand der Kollaboration geltend gemacht. Marie Albin wurde verdächtigt, eine doppelte Buchhaltung geführt zu haben, weswegen sie vom CCPI verurteilt wurde, anschlieβend jedoch milderte der Conseil supérieur de confiscation des profits illicites [CSCPI, Zentralkomitee für Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] das Urteil ab. Sie bekam Unterstützung vom Berichterstatter der CNIE, Michel Martin, der sich dafür stark gemacht hatte, dass in der Besatzungszeit Kunstwerke und Kunstobjekte auf französischem Boden blieben.
Andere wie Étienne Bignou, Pierre Landry, Édouard Leonardi oder Jean-Louis Souffrice werden wegen unlauterer Gewinne verurteilt, von der CNIE jedoch trotz regelmäβigem Kontakt und umfassenden Transaktionen mit Personen und Institutionen in Deutschland freigesprochen. Bei der Verteidigung, die sich auf dieselben Argumente beruft, ist die Intentionalität ausschlaggebend: keine aktive Suche nach deutschen Kunden, zwanghafter Charakter der Transaktionen, Verkäufe zugunsten von Juden in Not, und manchmal keine Schmälerung des französischen Kulturerbes, da es sich um den Verkauf von minderwertigen Kunstwerken oder von Werken aus deutscher Schule handelte. Trotz umfangreicher Transaktionen mit Werken aus damals der antisemitischen Gesetzgebung zufolge als jüdisch betrachteten Sammlungen wird das Verfahren gegen Raphaël Gérard von der CNIE wie auch vor dem CCPI eingestellt, ebenso das gegen die Galerie Charpentier im November 1946. Jean Schmit, der einen Passierschein der deutschen Behörden besaβ, wird nie von der CNIE verurteilt, da er behauptet, vom deutschen Besatzer unter Druck gesetzt worden zu sein.
Auch das Ehepaar Zacharie und Alexandra Birtschansky wurde vor der CNIE und dem CCPI freigesprochen. Als Jude hatte Zacharie Verkäufe an den deutschen Besatzer getätigt, womit er seine Flucht in die freie Zone finanzieren konnte. Die geringen Umsätze und die Tatsache, dass diese Verkäufe seine Privatsammlung betrafen, wirkte sich ebenfalls zu seinen Gunsten aus. Die Verfahren vor der CNIE gegen Alfred Daber, die Galerie Manteau, Paolo Aflallo de Aguilar und André Camoin werden ebenfalls wegen der geringfügigen Transaktionen eingestellt.
Bestimmte Personen machten ihre Beteiligung an Widerstand geltend, wie etwa Garbis Kalebdjian, der eine Menge jüdischen Eigentums versteckt gehalten hatte, oder auch das Haus Jansen, das Personen, die den Pflichtarbeitsdienst (Service de travail obligatoire, STO) verweigerten, geholfen und Objekte aus Privatbesitz versteckt hatte. Das gegen die vom CCPI verurteilte Jeanne Batifaud laufende Verfahren wurde von der CNIE wegen versteckter Kunstwerke und Verkauf von Kunstwerken zugunsten von Juden trotz des engen Spielraums zwischen ernsthafter Unterstützung und kriegsbedingtem Profit eingestellt.
César Mange de Hauke war ebenfalls auf beiden Seiten im Krieg tätig, da er einerseits für seinen in den USA niedergelassenen Arbeitgeber Seligmann arbeitete, indem er dessen Vermögen in Sicherheit brachte, und andererseits Handel mit dem Besatzer trieb. Georges Terrisse gehörte einer Gruppe von Widerstandskämpfern an, die Kunstwerke versteckte und die Auktionen mitverfolgte, gleichzeitig war er aber auch Mitglied der nazifreundlichen französischen Partei Rassemblement national populaire [RNP, Nationaler Zusammenschluss des Volkes]. Dieses ambivalente Profil und die erwiesenen Gefälligkeiten sprechen vor der Zivilgerichtskammer und der CNIE zu seinen Gunsten, auch wenn im Allgemeinen, wie das Archiv der Zivilgerichtskammern zeigt, eine nachgewiesene Mitgliedschaft in einer Kollaborationsbewegung systematisch zur Feststellung der nationalen Unwürdigkeit führt.
Insgesamt wirken die verhängten Sanktionen also nachsichtig, vor allem angesichts der genannten Schwierigkeiten, Geldbuβen einzukassieren und der Möglichkeit, Urteil durch Berufung aufzuheben oder abzumildern. Den Akteuren des französischen Kunstmarktes kam eine Art Abspaltung zugute, derzufolge ihre Gewinne über allen Verdacht der Kollaboration erhaben waren. Ungeachtet der in bestimmten Fällen vorliegenden Widerstandsbeteiligung können sich die Kunsthändler sehr leicht als passive Akteure eines dem Zwang ausgesetzten Systems geltend machen. Der Rückzug aus dem Geschäft war zwar alles andere als üblich, konnte auch als Argument dienen, und wurde von den Komitees als eine Art Sühne oder Unbedenklichkeit anerkannt. Abgesehen von dem rechtmäßig verurteilten finanziellen Aspekt trifft aber diese Art Handel die Kultur und die Identität der der Enteignung zum Opfer gefallenen Personen mitten ins Herz. Und selbst wenn die Kunstwerke nicht aus diesen Enteignungen stammten, so ist der Handel Teil einer weltweiten Instrumentalisierung von Kunst und Kultur seitens eines räuberischen Regimes. Der Handel mit diesen Kunstwerken und die wiederholten Geschäftsbeziehungen mit den Besatzern hätten also im Hinblick auf das für das Vichy-Regime typische Verhalten, für das schließlich der Tatbestand der nationalen Unwürdigkeit geschaffen wurde, analysiert werden können.
Michel Martin, der Berichterstatter der CNIE, hat mit seiner Einschätzung dazu wesentlich beigetragen. Seine Berichte zeugen auch von dem Willen, die Interessen des Berufsstands wie auch die des Marktes und damit das Ansehen bestimmter Akteure zu wahren, die nur gerade so kompromittiert waren, dass sie noch mit der Nachkriegsgesellschaft im Einklang stehend beurteilt wurden. In der Angelegenheit Joseph Leegenhoek betont Michel Martin „das mit Herrn Leegenhoeks Handelstätigkeit einhergehende berufliche Interesse, denn er exportiert für den belgischen und niederländischen Markt, wo er anscheinend besonders gut platziert ist“6. Aufgrund dieser Argumente stellt die CNIE das Verfahren ein, übergibt es jedoch an das CCPI, das ihn zu Beschlagnahmungen und Geldstrafen verurteilt.
Juristisch gesehen durchlief Allen Loebl, der jüdische Eigentümer das Hauses Kleinberger, denselben Weg. Michel Martin, der die auf seine Tätigkeit ausgeübten Zwänge anerkennt, bestätigt gleichzeitig „die Ehrbarkeit eines seit langer Zeit angesehenen Hauses, das auch heute noch mit den französischen Nationalmuseen ausgezeichnete Beziehungen pflegt7“, womit die CNIE das Verfahren einstellen kann.
Abschlieβend kann gesagt werden, dass der Kunstmarkt hinsichtlich der Säuberungen weltweit gesehen keine Ausnahme bildet. Es zeigt sich hier dieselbe Art von Nachsicht, derselbe Wille, Sanktionen eher in steuerlicher als in moralischer oder strafrechtlicher Hinsicht zu verhängen. Der einzige Unterschied liegt vielleicht darin, dass man sich im Kunstmilieu dank der persönlichen Beziehungen untereinander in eindeutigerer Weise gegenseitig schützt als in anderen beruflichen Sparten. Dieser Überblick will zu einer tiefergehenden Studie jedes einzelnen Falls anregen, denn nur eine solche wäre in der Lage, die Farbskala der von der Gesellschaft und der Rechtsprechung bei der Befreiung Frankreichs erlassenen Urteile entsprechend zu nuancieren.
Basisdaten
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