Aller au contenu principal
Lien copié
Le lien a été copié dans votre presse-papier

Während der deutschen Besatzung unterhält der Pariser Kunsthändler Raphaël Gérard engen Kontakt zu deutschen Händlern und Vertretern der Besatzungsmacht. So erzielt er große Umsätze durch Verkäufe an zahlreiche deutsche Kunden. Dabei handelt er wissentlich auch mit Raubkunst.

Die Besatzer als Kunden

Raphaël Gérard, der am 4. März 1886 in Colombes (Seine) geboren wurde, jedoch die belgische Staatsbürgerschaft besaß, stammte aus einer Kunsthändlerfamilie.1 1911 eröffnete er in der 2, rue la Boétie im 8. Arrondissement von Paris seine eigene Kunsthandlung, die ab 1932 in der 4, avenue de Messine ansässig war.2 Die Galerie Raphaël Gérard war auf Malerei des 19. Jahrhunderts spezialisiert, vertrieb aber auch zeitgenössische Werke und, in seltenen Fällen alte Meister. Zu den Mitarbeitern, die Raphaël Gérard in seiner Galerie beschäftigte, zählte sein jüngerer Bruder Christian.3

Bereits kurze Zeit nach Beginn der Besatzung bemühte sich Raphaël Gérard, deutsche Kunden auf seine Kunsthandlung aufmerksam zu machen. Im Dezember 1940 schaltete er eine Anzeige in der Zeitschrift „Der deutsche Wegleiter. Wohin in Paris?“, deren Zielgruppe die deutschen Besatzungstruppen in der französischen Hauptstadt waren.4 Schon bald gingen die Geschäfte so gut, dass Karl Heinz Bremer (1911-1942), der stellvertretende Direktor des Deutschen Instituts, Gérard im April 1941 eine Ausnahmegenehmigung zum Führen eines Motorrads mit Anhänger erteilte, um den Transport von Kunstwerken zu übernehmen, die an Deutsche verkauft werden sollten.5 Die Gewinne, die Gérard während der Besatzung mit seiner Galerie erzielte, blieben nicht unbemerkt: Im Oktober 1944 denunzierte eine Mme Fontaine den Kunsthändler mit Verweis auf „des millions qu’ils n’avaient [sic] pas avant la guerre“ [Millionen, die sie [sic] nicht vor dem Krieg hatten].6 Nach Kriegsende hatte sich Gérard für seine Geschäfte in der Kriegszeit vor dem Comité de confiscation des profits illicites [Komitee für die Enteignung unlauterer Gewinne] der Commission nationale interprofessionnelle d’épuration [Nationale berufsübergreifende Säuberungskommission] und der Cour de justice du département de la Seine [Gerichtshof des Departement Seine] zu rechtfertigen.7

Umgang mit Raubkunst

Zu den Vorgängen, die Gérard im Laufe der Verfahren vorgeworfen wurden, zählte sein Ankauf der Sammlung des jüdischen Arztes Prosper-Émile Weil (1873-1963).1 Weils kommissarischer Verwalter Jean-François Lefranc organisierte den Verkauf der auf Werke des 19. Jahrhunderts spezialisierten Kollektion und beauftragte ein Gutachten bei dem Experten André Schoeller. Nach der Besichtigung der Werke Weils in den Räumlichkeiten von Schoeller in der 13, rue de Téhéran im September 1943, entschloss sich Gérard zu deren nahezu vollständigem Ankauf für die Summe von 2 428 100 F.2 Lediglich drei der insgesamt knapp 90 Gemälde von Künstlern wie Bonnard, Vuillard und Signac konnte der Kunsthändler nicht erwerben, da diese für das Musée du Louvre reserviert waren.3 Zum Zeitpunkt des Kaufes und auch wenn ihm der Name des Sammlers nicht bekannt war, war Gérard klar, dass es sich um konfiszierte Werke aus jüdischem Besitz handelte. Nach Ende der Besatzung bemühte sich Gérard um eine Rückgabe der Werke an Prosper-Émile Weil, woraufhin der Sammler auf weitere Ansprüche verzichtete.4

Ebenfalls in das Jahr 1943 fiel Gérards Beteiligung am Verkauf eines Werks von Francisco de Goya.5 Es handelte sich um ein ganzfiguriges Portrait des spanischen Kaufmanns und Politikers Manuel García de la Prada, das bei der Versteigerung der jüdischen Sammlung Jaffé im Juli 1943 in Nizza nicht als Werk von Goya, sondern als Gemälde eines unbekannten spanischen Malers angeboten wurde. Nachdem der Kunsthändler Jean Dutey (1897-1954) das Portrait mit Beteiligung von Roger Dequoy für 76 500 F ersteigert hatte und sich im Anschluss durch ein Gutachten von August Liebmann Mayer (1885-1944) die Zuschreibung an Goya zertifizieren ließ, verkaufte er es für 3 000 000 F an Gérard.6 Dieser veräußerte das Gemälde mit 500 000 F7 Gewinn an den Chemnitzer Galeristen Wilhelm Grosshennig, der es für die Sammlung des Führermuseums in Linz erwarb. Gérard teilte den Gewinn mit Dutey, der die Rechnung an Grosshennig ausstellte.

Neben Werken aus den Sammlungen Jaffé und Weil handelte Gérard auch mit Arbeiten aus der Sammlung von Paul Rosenberg (1881-1959).8 Zu diesen zählte das Gemälde Effet de neige von Camille Pissarro, von dem Gérard betonte, es im Jahr 1944 nicht freiwillig, sondern nur unter Druck zum Preis von 170 000 Frs von der Deutschen Botschaft angekauft zu haben.9 Zuvor hatten die Deutschen entdeckt, dass Gérard in seiner Galerie Kunstwerke in Kommission verkaufte, die er nicht in seiner Steuererklärung deklarierte – und die noch dazu zum Teil von jüdischen Sammlern wie Jacques Lindon (1909-2001) stammten. Nach der Befreiung gab Gérard das Pissarro-Gemälde an Rosenberg zurück.

Deutsche Kontakte

Der Vorfall soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gérard prinzipiell sehr gute Beziehungen zur Deutschen Botschaft unterhielt. Bereits Anfang September 1940, d. h. keine drei Monate nach Beginn der Besatzung, verkaufte er ihr neben Gemälden von Cézanne, Monet und Boudin das als MNR geführte Porträt der Colonna Romano von Renoir.1 Insbesondere zu dem ab Juni 1942 als Kunstreferent an der Botschaft angestellten Adolf Wüster hielt der Kunsthändler engen Kontakt: Die Art Looting Investigation Unit (ALIU) des amerikanischen Geheimdienstes bezeichnete Gérard 1946 als „wichtigste Bezugsquelle für WUESTER und andere deutsche Käufer“.2 Zu den ‚anderen deutschen Käufern‘ zählten Museen, mit denen er über Wüster in Kontakt kam (u. a. Folkwang Museum Essen, Kaiser Wilhelm Museum Krefeld, Städtisches Museum Wuppertal-Elberfeld)3, Privatsammler (u. a. Baldur von Schirach) und Kunsthändler, die mit dem nationalsozialistischem Regime kollaborierten (u. a. Hildebrand Gurlitt und Maria Gillhausen; zu Maria Almas-Dietrich und Hans W. Lange vgl. die MNR-Werke La Seine à Vétheuil von Monet und L’église Saint-Jacques à Dieppe von Pissarro).4 In Österreich verkaufte Gérard heute als MNR inventarisierte Werke von Sisley, Utrillo und Guillaumin an den Galeristen Friedrich Welz, von dem aus sie an die Salzburger Landesgalerie gingen.5

Nach dem Ende der Besatzung

Da Gérards Buchführung ungenau war und er nicht alle Verkäufe verzeichnete, gelang es ihm, viele Geschäfte sehr diskret abzuwickeln, wodurch viele Käufer heute unbekannt sind.1 Der nach dem Krieg für Gérards Galerie berechnete Umsatz von 9 246 150 F2 für Geschäfte mit Deutschen während der Besatzung dürfte daher in Wahrheit höher liegen. Die als Gewinn errechnete Summe von 517 000 F bildete die Grundlage zur Errechnung des auf 2 067 000 F festgesetzten Strafgelds, zu dem Gérard am 1. August 1945 durch das Comité de confiscation des profits illicites verurteilt wurde und zu dem noch ein Strafgeld von rund 1 500 000 Frs für den Export von Kunstwerken ohne Ausfuhrgenehmigung hinzu kam.3 Die Commission nationale interprofessionnelle d’épuration stellte das Verfahren gegen Gérard hingegen ein.4 Maßgeblichen Einfluss auf diese Entscheidung hatten zwei sehr positive Beurteilungsschreiben von Michel Martin,5 die in auffälligem Gegensatz zu früheren Aussagen des Louvre-Mitarbeiters stehen, in denen er sich explizit dafür aussprach, Gérard zur Verantwortung zu ziehen.6

Nach der Okkupation gab Raphaël Gérard seine Kunstgalerie offiziell auf und arbeitete, wie der Kunsthändler Jean Lenthal zu berichten wusste, fortan in der Autobranche.7 Inoffiziell blieben Verbindungen zu deutschen Käufern, die der Galerist während der Besatzung etabliert hatte, jedoch bestehen. Zu nennen ist der Kontakt zu dem nach Kriegsende in Düsseldorf ansässigen Hildebrand Gurlitt.8 Die Verbindung wurde sogar nach dem Tod von Gurlitt im Jahr 1956 und dem von Gérard 1963 von den Nachfahren der beiden Kunsthändler aufrechterhalten. Anlass war hier die bisher nicht in allen Einzelheiten zu klärende Lagerung von rund 70 Kunstwerken Gurlitts, die er vermutlich von Gérard erworben hatte, bis ca. 1965 bei Gérards Familie in Paris.9 Dass sich solche Gemälde wie das Porträt Sitzende Frau von Henri Matisse darunter befanden, welches 2015 als erstes Werk aus dem Schwabinger Kunstfund restituiert und an die Erben von Paul Rosenberg übergeben wurde,  bestätigt Gérards Verwicklung in den Handel mit Raubkunst.