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20/05/2022 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

Die an der Nummer 57 der Rue de la Boétie gelegene Galerie Wildenstein & Cie war am Vorabend des Zweiten Weltkriegs eine der prestigeträchtigsten Kunsthandlungen in Paris. Die seit ihrer Gründung auf den Verkauf von Gemälden aus dem 18. und 19. Jh. spezialisierte Galerie hatte in der Zwischenkriegszeit zusätzlich auch moderne Kunst ins Programm genommen. Während der deutschen Besatzung wurde sie einem „Arisierungsprozess“ unterzogen und die Verkäufe fanden unter Federführung von Roger Dequoy statt, dem Georges Wildenstein die Leitung seines Geschäfts übertragen hatte.

Geschichte

In den 1870er Jahren begann der Elsässer Kunsthändler jüdischer Herkunft, Nathan Wildenstein (1851-1934), mit Kunstwerken zu handeln. Im Jahr 1905 eröffnete die Galerie Wildenstein & Cie an der Pariser Adresse 21 Rue La Boétie und zog später in derselben Straße zur Nummer 57 um, von der aus es einen Durchgang zur 140 Rue du Faubourg-Saint-Honoré gab. Nathan Wildenstein heiratete Laure Lévy (1856-1937). Zusammen mit seinen Geschäftspartnern Ernest (1913-1973) und René Gimpel (1881-1945) gründete Wildenstein 1902 eine Galerie in New York an der Fifth Avenue, die anschließend zur 19 East 64th Street1 umzog. Außerdem gründete Wildenstein & Cie 1925 eine Galerie in London in der New Bond Street, die in den 1930er Jahren von Roger Dequoy (1892-1953) geleitet wurde. Nathans Sohn Georges Wildenstein (1892-1963) trat 1910 in die Firma ein und wurde beim Tod seines Vaters 1934 Direktor der Galerie. 1913 heiratete er Jeanne Lévy, mit der er zwei Kinder hatte, Daniel, geb. 1917 und Miriam, geb. 1920.2 Er leitete die Wochenzeitschrift Beaux-Arts und die Monatszeitschrift La Gazette des beaux-arts, die beide 1930 gegründet wurden.

In der Zwischenkriegszeit spezialisierte sich die Galerie auf den Verkauf von Kunst des 18. und 19. Jh.. Im Gegensatz zu seinem Vater interessierte sich Georges Wildenstein auch für Werke moderner Maler wie Pablo Picasso, Claude Monet und Pierre Bonnard. Im Jahr 1923 ging er eine Geschäftspartnerschaft mit Paul Rosenberg (1881-1959) ein, um den US-amerikanischen Kunstmarkt zu erobern, die Bestand hatte, bis die beiden sich aus privaten Gründen trennten. Die Galerie Wildenstein & Cie war darüber hinaus vor der Krise des Jahres 1929 von der Moskauer Regierung mit dem Abverkauf der Werke aus dem Museum der Eremitage beauftragt, was zu finanziellen Schwierigkeiten führte, aus denen das Geschäft erst um 1937 wieder in schwarze Zahlen zurückfand.

Am Vorabend des Krieges war die Galerie im Großen und Ganzen erst seit wenigen Jahren aus der Depression herausgekommen. Kurz zuvor hatte es einen Skandal gegeben, als sie, weil Georges Wildenstein gut mit André Breton und Salvador Dalí3 bekannt war, die surrealistischen Maler aufgenommen hatte. Sie stand an der Spitze eines Netzwerks von Kunsthändlern, das sich von Europa aus bis in die USA erstreckte, mit einem Stammhaus in Paris und Filialen in London und New York. Zu ihren Kunden gehörten mehrere deutsche Händler.

Die Beschlagnahmung der Sammlungen

Im Juni 1940 wurde der Familie Wildenstein infolge der Niederlage Frankreichs und der Einführung antisemitischer Maßnahmen die französische Staatsbürgerschaft entzogen. Am 15. Juli 1940 autorisierte ein deutscher Erlass zum „Schutz von Kunstwerken im besetzten Gebiet Frankreichs“ den deutschen Besatzer, die Kunstwerke „in Sicherheit“ zu bringen. Die Beschlagnahmungen der Sammlungen Seligmann, Wildenstein, Kann, Rosenberg und Bernheim fanden im Rahmen dieser Maßnahmen und unter Federführung des deutschen Botschafters Otto Abetz statt.

Im August 1940 wurden so rund 40 Gemälde von Wildenstein & Cie aus dem Schloss von Moire im Departement Sarthe entfernt, das den französischen Nationalmuseen als Depot gedient hatte. Zur selben Zeit wurden im Schloss von Marienthal in Igny, das der Familie Wildenstein gehörte, Möbel, Gemälde und Tapisserien beschlagnahmt. Zu den in Moire und Igny insgesamt etwa 50 beschlagnahmten Gemälden und Kunstwerken gehörten Gemälde von François Lemoyne, Hubert Robert, Jean-Honoré Fragonard und François Boucher, die bei deutschen Sammlern überaus beliebt waren.1

Im Oktober 1940 wurde der Tresorraum der Banque de France, in dem Buchmalereien und Handschriften lagen, von den Deutschen geöffnet und die Güter wurden konfisziert. Der Inhalt des Tresors ist aus einem von den deutschen Behörden erstellten Inventar bekannt: 106 Gemälde von Meistern wie Boucher, Jean Siméon Chardin, Fragonard, Antoine Watteau, 50 Zeichnungen von Jean-Auguste Ingres, Claude Lorrain, Gustave Moreau, Nicolas Poussin, und 200 Buchmalereiarbeiten aus dem 13. und 14. Jh.. Der Gesamtwert wurde 1942 auf 30 Millionen Franc geschätzt.2 Das Konto bei der Banque de France wurde auf den Namen der Firma Wildenstein & Cie geführt, später schickte das Devisenschutzkommando einen Entschädigungsscheck über 965.000 F.

Bereits im Mai 1940 hatte Georges Wildenstein Paris verlassen, in der Hoffnung, erst nach Spanien und von dort aus nach Amerika zu gelangen – erfolglos. Ende Juli 1940 ließ er sich in Aix-en-Provence nieder, wo er sechs Monate lang mit seiner Familie lebte, bevor er in die USA übersiedelte, wo er sich ab Januar 1941 aufhielt. Er versuchte, einen Teil der Lagerbestände seiner Galerie nach New York bringen zu lassen, doch das Schiff wurde von der deutschen Kriegsmarine abgefangen und die Kisten wurden unter dem Druck der Briten, die jegliche Ausfuhr nach Amerika verweigerten, in Bordeaux zwischengelagert.3

Des Weiteren waren rund 80 Gemälde im Schloss von Sourches eingelagert worden und befanden sich dort seit Anfang des Krieges, da sie den ersten Beschlagnahmungen entkommen waren. Ein Teil der Sammlung von Marcel Kapferer (1872-1966), dessen Tochter Martine (1920-2018) 1939 gerade Daniel Wildenstein (1917-2001), Georges Sohn, geheiratet hatte, wurde dort ebenfalls aufbewahrt.4

Das Verhältnis zu Haberstock

In dem Wunsch, Werke für das von Hitler in Linz geplante Museum zu erwerben, reiste der deutsche Kunsthändler Karl Haberstock im November 1940 in Begleitung von Dequoy für vier oder fünf Tage nach Aix-en-Provence, um dort Georges Wildenstein zu treffen.1

Die Beziehungen zu Haberstock hatten eine lange Vorgeschichte, denn  Wildenstein und Haberstock besaßen gemeinsam Gemälde und Wildenstein hielt sich durch ihn über den deutschen Kunsthandel unter den Nazis auf dem Laufenden. Im Februar 1939 erwähnt der Briefwechsel zwischen Wildenstein und Haberstock die in Luzern geplante Auktion: sogenannte „entartete Kunst“ sollte hier unter den Hammer kommen, um den Eindruck zu vermeiden, sie würde verramscht, und um Geld für das Regime zu bekommen. Ein Gauguin-Gemälde aus dem Kölner Museum wurde parallel dazu im Februar 1939 in New York verkauft. Den Erlös sandte Wildenstein aus der Londoner Filiale an Haberstock, da dieser hälftige Anteile an dem Werk hielt. Es handelte sich um das Bild Cavaliers sur la plage [~ Reiter am Strand], das aus dem Wallraf-Richartz Museum in Köln von den Nazis entfernt worden war und das Wildenstein & Cie an den US-amerikanischen Schauspieler Edward G. Robinson verkaufte.2

Haberstocks Aussage zufolge bot er Georges Wildenstein bei ihrem Treffen in Aix-en-Provence ein Geschäft an: Haberstock würde klassische Malerei kaufen und im Austausch könnte Wildenstein moderne Malerei in die USA exportieren. Sie sollen auch über die Möglichkeit gesprochen haben, wieder an die in Bordeaux festsitzenden Werke und die in den Depots versteckten jüdischen Sammlungen zu gelangen, wobei Haberstock Wildenstein  dazu anregte, seine Kollegen, die Kunsthändler jüdischer Herkunft zu denunzieren.3 Daniel Wildenstein sagte aus, sein Vater Georges habe „alles komplett abgelehnt“ und so kam es vonseiten der Galerie Wildenstein & Cie zu keiner Übereinkunft mit Haberstock.4

Als er in die USA aufbrach, hinterließ Georges Wildenstein das Archiv der Galerie Wildenstein & Cie an der Adresse 57 Rue La Boétie:

„In den Schubladen im ersten Stock lagen die geheimsten Firmenpapiere. Erstaunliche Dinge. Was wir Collections nennen. Das sind ausführliche, ständig auf dem neuesten Stand gehaltene Karteikarten zu Privatsammlungen. Mein Großvater hatte dieses Archiv im 19. Jahrhundert angelegt. Sobald er bei einem Sammler war, machte er sich Notizen über die Werke und führte Buch darüber. Mein Vater machte weiter damit: diese Informationen sind absolut unerlässlich für einen Catalogue raisonné. Das Ganze war alphabetisch nach Künstlern geordnet, in großen Umschlägen. Es gab eine Beschreibung des Gemäldes. Ein Foto, sofern das Bild reproduziert worden war. Die Herkunft. Die Provenienz. Der letzte Besitzer und seine Adresse! Ein Drama, wenn das den Deutschen in die Finger geriet…“5

Die Sekretärin, Mademoiselle Griveau, nahm diese Unterlagen mit und bewahrte sie den Krieg über auf. Daniel Wildenstein meinte, „Dequoy wusste nichts von der Existenz der Collections“.  Ihm hatte Georges Wildenstein gerade in Aix-en-Provence die Geschäftsführung übertragen.

Verkäufe an Haberstock

Obwohl die in Sourches versteckten Sammlungen am 15. Mai durch den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) eingezogen werden sollten, gelang es Haberstock am 13. Mai 1941, der Einheit zuvorzukommen und die Sammlung Wildenstein aus dem Schloss zu schleusen. Sie wurde Dequoy am 14. Mai durch Vermittlung von Hugo Engel und des Barons Gerhard von Pöllnitz in der Galerie Wildenstein & Cie, 57 Rue La Boétie, übergeben.1 Somit verfügte Dequoy über einen beträchtlichen Lagerbestand von Gemälden der Galerie Wildenstein & Cie, in deren Namen er weiterhin Geschäfte tätigen konnte: ein Lagerbestand, zu dem sowohl die in der Pariser Galerie hinterlassenen wie auch die aus Sourches, Bordeaux und aus dem Tresor der Banque de France geholten Sammlungen gehörten.2

Haberstock erhielt nun von Dequoy mehrere Gemälde zum Preis von 930.000 F, die im Anschluss zugunsten des Museums in Linz weiterverkauft wurden.3 Eine auf den Namen der Galerie Wildenstein & Cie (Paris) ausgestellte Rechnung von Juni 1941 führt auch den Betrag in Reichsmark an: 46.500 RM.4 Das Los umfasste zwei Gemälde von Claude Lorrain, Bataille sur un pont [~ Schlacht auf einer Brücke] und Nymphe et satyre dansant [~ Landschaft mit tanzenden Satyren und Nymphen], ein Gemälde von Gustave Courbet, Le réveil [~ Das Erwachen], eines von Jan Fyt, Retour de chasse [~ Rückkehr von der Jagd], zwei von Heinsius, Madame Victoire [~ Madame Victoire] und Madame Adélaïde [~ Marie Adelaide von Frankreich], sowie ein dekoratives Werk der französischen Schule des 18. Jh..

Fyts Gemälde und das Dekorationsbild aus dem 18. Jh. waren eben erst aus Sourches zurückgeholt worden.5 Das Gemälde von Courbet wurde im Anschluss Teil eines Tauschgeschäfts mit der Galerie Fischer in Luzern, von der Haberstock im Gegenzug einen „Bordono und einen Tintoretto“ bekommt. Das Werk tauchte 1949 im Kunstmuseum Bern wieder auf.6 Das Gemälde von Fyt behielt Haberstock selbst. Die anderen waren für das von Hitler geplante Museum  in Linz vorgesehen. Am 1. Juli 1941 schrieb Dequoy an den für diese Operation verantwortlichen, mit Haberstock gut bekannten Baron von Pöllnitz: „Vergessen Sie nicht, dass mein Haus auch Ihr Haus ist.“7

Am 26. November 1941 erwirbt Haberstock abermals Gemälde aus den Lagerbeständen der Galerie Wildenstein & Cie, diesmal von der Galerie Dequoy & Cie, zu einem Gesamtpreis von 1.500.000 F, darunter insbesondere ein Werk von Poussin für die Linzer Sammlung.8 Haberstock führte auch den Betrag in Reichsmark an: 47.000 RM, die er  für Hans Posse ausgelegt haben muss.9 Der im Juni 1941 abgeschlossene Verkauf des Poussin-Gemäldes brachte Dequoy nach eigener Aussage eine Provision von 100.000 F ein.10

In der Folge kaufte Hitlers Händler am 5. Januar 1942 zwei damals Jacob Utrecht und heute der Lucas Cranach-Schule zugeschriebene Holztafelgemälde sowie ein Paulus Brill zugeschriebenes Werk für insgesamt 32.500 RM.11 Die beiden Werke Adam und Eva sind noch heute Teil des wiedererlangten Kunstbesitzes bei den französischen Nationalmuseen „Musées nationaux récupération“ (MNR), denn sie wurden zwar von Dequoy verkauft, doch es ist nicht gesichert, dass sie aus der Sammlung Wildenstein stammen.12 Dequoy hätte dieses Ensemble während der Besatzungszeit auch von anderen Kunsthändlern erwerben können.13

Im Mai 1942 verkaufte Roger Dequoy im Namen der Galerie Wildenstein & Cie zwei Rembrandt-Gemälde – ein Titus-Porträt und eine Landschaft – aus der Sammlung des Weinhändlers und früheren Kunden des Hauses Wildenstein, Étienne Nicolas, für 55 Millionen Franc an Haberstock. Am 24. April 1942 erhielt er eine Provision von 1.800.000 F für seine Beteiligung an diesem Verkauf.14 Dequoy teilte diesen Betrag auf unter „Herrn Engel (500.000 F), dem 1942 oder 1943 deportierten Herrn Bronner (400.000 F), dem vermissten Herrn Walter (400.000 F) sowie der Firma Wildenstein & Cie (500.000 F)“.15 In einem Brief vom 10. März 1942 an Haberstock erklärt er, bei dem Verkauf der Rembrandt-Gemälde als Vermittler fungiert zu haben: „Sie wissen, unter welchen Schwierigkeiten ich diese Werke für Sie und die Reichsmuseen wiedererlangt habe.“16

Im August 1942 versuchte Dequoy außerdem, für Haberstock Gemälde aus der Sammlung Schloss zu erhalten, die einen ausgezeichneten Ruf besaß und deren Bilder der Niederländer Schule Begehrlichkeiten sowohl des Louvre als auch des ERR auf sich zog. Am 24. August 1942 schrieb er an Haberstock: „Ich kümmere mich gegenwärtig um die Angelegenheit SCHLOSS und werde einen der Erben in Grenoble treffen.“17 Kurze Zeit später wurde die Sammlung Schloss nach einer Denunziation durch Jean-François Lefranc durch den ERR eingezogen, wobei zuvor einige Werke vom Louvre angekauft worden waren.18

Verkäufe an andere Kunsthändler in Deutschland und der Schweiz

Weitere Gemälde wurden von Dequoy verkauft und nach Deutschland und in die Schweiz ausgeführt, ohne dass mit Sicherheit behauptet werden könnte, dass sie aus der Sammlung Wildenstein & Cie (Paris) stammten oder während der Besatzungszeit zwischen 1940 und 1944 auf dem Kunstmarkt gekauft worden seien.

So stellte Dequoy im September 1941 nach der Absage eines ersten, im Juli angebotenen Geschäfts Maria Almas-Dietrich ein Los von drei Gemälden zum Gesamtpreis von 995.000 F in Rechnung: ein Gemälde von Vigée Le Brun (25.750 RM), ein erst Jacob van Utrecht und dann nach seiner Schätzung (6.000 RM) der David-Schule zugeschriebenes Gemälde mit einer Darstellung von Adam und Eva sowie das François Boucher zugeschriebene Gemälde La Fontaine [~ Der Liebesbrunnen] (18.000 RM).1 Auf der Rechnung ist angegeben, dass das Vigée Le Brun zugeschriebene Gemälde die Prinzessin von Carignan darstellte, die beiden Tafelbilder mit Adam und Eva aus der bei Pelletier in Paris versteigerten Sammlung der Comtesse de Béhague stammten und dass La Fontaine zusammen mit dem entsprechenden Kupferstich verkauft wurde.2

Der Auktionskatalog zur Sammlung Pelletier vom 3. Dezember 1930 enthält zwar zwei Tafelbilder Adam und Eve, die von der Comtesse de Béhague gekauft wurden,3 doch ihre Zuschreibung ist eine andere, denn der Katalog führt den Maler Hans Memling an. Des Weiteren entsprechen die Maße nicht denen der beiden Tafelbilder Adam und Ève, die heute in den MNR-Beständen bewahrt werden und damals Haberstock von Dequoy verkauft wurden.4 Da es eine ganze Reihe von Tafelbildern und Gemälden mit Darstellungen zu diesem Thema gibt, handelt es sich in Wirklichkeit um unterschiedliche Bildpaare, die über die Galerie Wildenstein verkauft wurden.

Dequoy stritt später ab, die Holztafelbilder von Adam und Eva an Almas-Dietrich verkauft zu haben und erklärte bei einer seiner Befragungen nach dem Krieg: „Wahrscheinlich habe ich zu diesem Zeitpunkt zugestimmt, Mandl einen Gefallen zu erweisen, der für die Operation zuständig war.“ Und zu den anderen Gemälden, dem von Vigée Le Brun und La Fontaine, fügte er hinzu: „Ich weise darauf hin, dass all diese Gemälde aus der Sammlung Wildenstein stammten.“5 Viktor Mandl (1889-1952) war ein aus Russland gebürtiger Händler tschechoslowakischer Staatsangehörigkeit, der zuvor in Berlin ein Geschäft geführt hatte, aus Prag kam, in Paris im Exil lebte und dessen Name im Zusammenhang mit mehreren Geschäften mit deutschen Händler*innen und insbesondere mit Maria Almas-Dietrich auftaucht.6

Im Bericht des Comité de confiscation des profits illicites [Komitee für die Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] im Pariser Stadtarchiv wird nur eine einzige Transaktion für Walter Andreas Hofer, und zwar die eines Gemäldes von A. Mors (sic) für 300.000 F angeführt.7 Dabei gibt es mehr davon und es ist denkbar, dass der Bericht des Komitees zu Unrecht Hans Wendland – dem er nahestand – als Käufer erwähnt, obwohl es sich tatsächlich um Hofer handelte. So kaufte Hofer am 14. März 1942 Lemoynes Bild Baigneuse et sa suivante [~ Die Badende und ihre Zofe] von Dequoy.8 Den Ermittlungen der Commission nationale interprofessionnelle d’épuration [Nationale berufsübergreifende Säuberungskommission] zufolge fand 1943 ein Verkauf von drei Gemälden an Hermann Göring statt, die Hofer anbot und die er sich bei Dequoy besorgt hatte: „Porträt eines Mannes aus der Schule von Antonio Moro aus dem Jahr 1571 (300.000 F), eine betende Heilige von Colyn de Coter (400.000 F) und Femmes au bain [~ Frauen im Bade] von Lemoyne (125.000 F).“9

Während der Besatzungszeit erstreckten sich die Vertriebswege der Galerie Wildenstein & Cie (Paris) zudem bis in die Schweiz. Die Ermittlungen des Comité de confiscation des profits illicites konnten Ankäufe durch Hans Wendland nachweisen: ein Gemälde des Maître de la Madeleine, ein Gemälde von Lemoyne, ein Courbet, ein Di Nardo, ein Murillo, ein Van Ostade und sechs moderne Zeichnungen.10 Der Galerie Fischer soll Dequoy zudem einen Manet für 200.000 F verkauft haben. Charles Montag war unterdessen ein wertvoller Mittelsmann, um die Verbindungen mit den Sammlern in der Schweiz wieder aufleben zu lassen, da er Bührle wie auch Fischer bei ihren Besuchen bei Dequoy als Berater diente.11

Die „vorgetäuschte Arisierung“ der Galerie

Diese von Dequoy durchgeführten Verkäufe waren in der gesamten Kriegszeit aufgrund der doppeldeutigen Situation der Galerie an der Adresse 57 Rue La Boétie möglich.1 Dequoy hatte nämlich die Firma Dequoy & Cie an derselben Adresse wie die Galerie Wildenstein & Cie gegründet, in der Hoffnung, Anteile daran erwerben zu können. Doch das „Arisierungsverfahren“ wurde nie offiziell abgeschlossen.

Mehrfach versuchte Dequoy auf den „Arisierungsprozess“ der Galerie Wildenstein & Cie (Paris) einzuwirken, indem er insbesondere die Ernennung des kommissarischen Leiters Édouard Gras befürwortete.2 Die beiden Herren regelten durch Absprachen die Überführung von Gemälden in die nicht besetzte Zone Frankreichs und die Rückholung von in Sourches eingelagerten Bildern, da die laufende offizielle „Arisierung“ der Galerie die Rückkehr der Sammlungen an die Adresse 57 Rue La Boétie gestattete.3 Ebenso erstellten sie gemeinsam eine defizitäre Geschäftsbilanz für Wildenstein & Cie (Paris), die sich zum Teil dadurch erklärte, dass das Stammhaus Verlustverkäufe an die angelsächsische und die US-amerikanische Filiale tätigte, da Frankreich eine Fundgrube für Kunstwerke war, die Mehrzahl der Käufer jedoch jenseits des Atlantiks zu finden waren.4 Aus Gründen des wachsenden Misstrauens der deutschen Besatzer wurde Gras allerdings seiner Funktion 1942 enthoben und durch den französischen kommissarischen Leiter Herrn J. Bruyer ersetzt, dem der „Deutsche Herr Buwert“ zur Seite stand.5

Der Anwalt der Familie Wildenstein, Raymond Rosenmark, führt in einem Brief an Georges Wildenstein aus:

„Bereits seit 1941 hatte Herr Dequoy auf meinen Rat hin versucht, Ihr Geschäft arisieren zu lassen, um der Liquidation zu entgehen, die ja das eigentliche Ziel der Aufgabe des kommissarischen Leiters war. Zu diesem Zweck wurden mehrere  Rechtsakten erstellt, die die Abtretung der Ihnen gehörenden Anteile zum Inhalt hatten. […] Aller Anstrengungen so namhafter Juristen zum Trotz ist es nie gelungen, von den Deutschen die Bestätigung der Akte zur Arisierung Ihres Geschäfts zu erhalten. Am Ende erklärte sich der kommissarische Leiter Herr Bruyer damit einverstanden, dass für die Deutschen eine eigene Firma gegründet wird, mit dem Ziel, Ihren kompletten Geschäftsfonds unter Verkaufszusage anzumieten. Dieser Mietkauf, der eine Beschlagnahme bedeutete, wurde am 7. Januar 1947 per Erlass aufgehoben.“6

Am 17. Juli wurde tatsächlich eine notariell beglaubigte Verkaufsurkunde für den Aufkauf der Firma Wildenstein & Cie zum Preis von 300.000 F durch die Firma Dequoy & Cie erstellt. Sie wurde am 29. Januar 1942 offiziell von den Deutschen abgelehnt, die zur gleichen Zeit Édouard Gras durch einen anderen vorläufigen Verwalter unter deutscher Aufsicht ersetzten.7

Ein zweites Vorhaben, den Geschäftsfonds zum Preis von 600.000 F an Dequoy & Cie zu verkaufen, wurde in Betracht gezogen, aber, wie ein gewisser Côme Fabre betont, ebenfalls nicht realisiert, da der Leiter des Service de contrôle des administrateurs provisoires [Kontrollabteilung der vorläufigen Verwalter] sich am 3. Februar 1943 beschwerte, „dass [es ihm] bis heute nicht gelungen ist, die Arisierung auch nur eines einzigen relevanten Geschäfts für Kunstobjekte und Antiquitäten abzuschließen“.8 Aus diesem Grund spricht Fabre von „vorgetäuschter Arisierung“, denn obwohl die Pariser Galerie Wildenstein & Cie offiziell in Händen eines kommissarischen Leiters war, der die Bestände liquidieren oder einen Käufer für das Geschäft finden sollte, war doch Dequoy derjenige, der weiterhin die Geschäfte führte und versuchte, die Geschäftsanteile zu übernehmen.9 Dies bezeugen die an Almas-Dietrich und Haberstock adressierten Rechnungen, die er mit Zustimmung des kommissarischen Leiters eigenhändig unterzeichnete.

Georges Wildenstein, der sich in New York aufhielt, hat vermutlich zumindest zu Beginn des Krieges Informationen durch seinen ehemaligen Mitarbeiter erhalten, aber die Kommunikation war schwierig. Dequoy gab doch an, er sei „bis zum 6. November 1942 recht häufig in die Provence gefahren. Diese Reisen unternahm ich, um die Verbindung zu Herrn Wildenstein aufrecht zu erhalten, der seit Dezember in Amerika war. Von Marseille aus konnte ich ihm ja telegrafieren oder schreiben.“10  Georges Wildenstein wiederum schrieb an Dequoy, wozu Daniel Wildenstein erläutert: „Papa erhielt alle drei Monate einen Antwortbrief… Dequoy benutzte einen Schmuggler in den Pyrenäen, der seine Post in San Sebastian aufgab.“11 In diesem Briefwechsel sprach Dequoy von Haberstock unter dem Tarnnamen Oscar, weil er wusste, dass die Post überwacht wurde.12 Man darf davon ausgehen, dass Georges Wildenstein spätestens ab 1943 keine Kontrolle mehr über die Pariser Geschäftsangelegenheiten hatte und Dequoy vollkommen autonom agierte.

Im März 1943 erfuhr Dequoy, dass der Militärbefehlshaber sich weigerte, den Verkauf zu bestätigen. Die Deutschen gründeten nun die „Galerie des Beaux-Arts“ mit dem Ziel, ein deutsch-französisches Kunstinstitut zu schaffen, das den Bestand der Firma Wildenstein, ihre Geschäftsräume samt Einrichtung und Spezialbibliothek, übernehmen würde. Parallel dazu vermietete eine von einem gewissen „Dr. Kreuter“ gegründete Kredit- und Investitionsfirma die gesamten Häuser an der 57 Rue La Boétie und der 140 Rue du Faubourg-Saint-Honoré zu einem Mietpreis von 100.000 F, die Miete des Geschäftsfonds der Firma Wildenstein betrug 1.200 F, unter Verkaufszusage der Lagerbestände, Gemälde, Möbel und Kunstgegenstände, auf Grundlage der gütlichen Schätzung durch einen Gutachter. Die Einnahmen aus diesem Vertrag wurden zumindest teilweise an die neu gegründete Firma namens „Galerie des Beaux-Arts“ überwiesen. In Ausführung dieser Vereinbarung verkaufte daher der kommissarische Leiter Bruyer am 25. Februar 1944 die Bibliothek für 600.000 F an Kreuter, der am 8. Juli 1944 auch Käufer von 200 Gegenständen aus dem Bestand, Möbeln, Gemälden, Kunstgegenständen und Drucken für insgesamt 1.603.000 F, und am 10. Juli 1944 von weiteren 67 Gegenständen zu einem Preis von 500.000 F wurde. Am 7. August 1944 kaufte Kreuter erneut 37 Objekte zum Preis von 399.702 F und beglich mit einem Scheck über 26.967 F einen Zuschlag auf seine früheren Käufe.13

In der Woche, in der Paris befreit wurde, bemächtigte Dequoy sich des Geschäftsfonds, vertrieb den kommissarischen Leiter und nahm die an Kreuter verkauften Bücher und Kunstgegenstände sowie die beiden am 7. August ausgestellten Schecks wieder an sich. Er erwirkte zudem Bruyers offizielle Kündigung sowie die Rückgabe der Güter und der eingenommenen Beträge.

Die Nachkriegszeit

Am Ende des Krieges beantragte Georges Wildenstein die Stornierung aller während der Besatzungszeit abgewickelten Verkäufe und nahm seine Pariser Galerie und seine  Kunstzeitschriften wieder in Besitz. Er unternahm Behördengänge bei der Commission de récupération artistique [Kommission für die Wiedererlangung von Kunstbesitz], um die beschlagnahmte oder verkaufte Sammlung zurückzuerlangen.

Unter den Gemälden im Besitz der Commission de récupération artistique befanden sich die in den Schlössern von Moire und Igny geraubten sowie die im Tresor der Banque de France beschlagnahmten Sammlungen und 30 an Deutsche verkaufte Gemälde, von denen „17 durch den kommissarischen Leiter Buwert verkauft wurden, den obersten kommissarischen Leiter, den die Deutschen ernannt hatten, um den französischen kommissarischen Leiter zu überwachen.“1 Die Commission de récupération artistique, die damals Michel Florisoone als Verwaltungsleiter und Albert Henraux als Direktor unterstand, setzte sich dafür ein, den Fall der in Igny und Moire geraubten Sammlungen von dem der unter Zwang verkauften und später von den Deutschen mit einem deutlich niedrigeren Preis bezahlten Sammlungen – wie es für die Sammlungen im Tresor der Banque de France der Fall war –, und dem Fall der von den Deutschen frei gekauften Sammlungen, die nicht sofort zurückgegeben werden konnten, zu unterscheiden.2

Am 15. Oktober 1947 reichte die Firma Wildenstein eine Restitutionsklage beim Ministère de l’Éducation nationale [französisches Bildungsministerium], der Commission de récupération artistique und dem Office des biens et intérêts privés [Büro für private Vermögenswerte und Ersatzansprüche] ein. Im April 1949 wurde ihr per Gericht stattgegeben, die zwischen 1941 und 1944 von den kommissarischen Leitern durchgeführten Verkäufe für ungültig erklärt und die ausnahmslose Rückgabe sämtlicher damals von der Commission de récupération bewahrten Gemälde und Gegenstände angeordnet.3

Einige der von Dequoy verkauften und nach Deutschland und in die Schweiz ausgeführten Gemälde, die nach Frankreich rückgeführt wurden, sind bis heute aufgrund ihrer ungesicherten Provenienz noch Teil der MNR. Dequoy wurde für diese geschäftlichen Transaktionen weder steuerlich noch strafrechtlich belangt, da er der Leiter der Firma Wildenstein (Paris) und somit ihr Bevollmächtigter war. Offiziell trug der kommissarische Leiter die Verantwortung. Allerdings musste sich Dequoy vor dem Comité de confiscation des profits illicites wegen seiner damals bekannten persönlichen Einnahmen aus den Verkäufen verantworten.4

Auch die steuerrechtliche Verfolgung der Firma Wildenstein & Cie wurde bald eingestellt, aufgrund der Verfolgung, die die Familie Wildenstein während des Zweiten Weltkriegs erlitten hatte, und wegen des Kunstraubs der in der Galerie und in verschiedenen Anwesen, in Depots und im Tresor der Banque de France eingelagerten Sammlungen, von denen manche nie wiedergefunden wurden. Die Verluste wurden höher geschätzt als die aus den Verkäufen an deutsche Kunden erzielten Gewinne, und das Motiv der Beschlagnahmung verschwand mit der Stornierung sämtlicher Verkäufe durch das Tribunal civil du département de la Seine [Ziviler Gerichtshof des Departement Seine].5