WÜSTER Nadine (DE)
Die russischstämmige Ehefrau des deutschen Kunsthändlers und -vermittlers Adolf Wüster, der ab 1942 als Kunstreferent und Konsul in der Deutschen Botschaft Paris arbeitete, stand mit dessen Kundinnen und Kunden in Kontakt und unterstützte ihn bei seinen Geschäften in einem bislang unbekannten und nicht zu unterschätzenden Umfang.
Herkunft
Nadine Wüster ist als Akteurin des französischen Kunstmarktes während der deutschen Besatzung bisher nicht erfasst worden1. Über die Ausbildung der am 18. November 1901 im damals russischen Sewastopol geborenen Nadjescha, genannt Nadine, Gavrichenko, Tochter von Tatiana geb. Sablin und Alexander Gavrichenko,2 ist bisher nichts bekannt; ebenso wenig bekannt ist, wann die Familie Gavrichenko nach Paris zog. Dass Nadine Gavrichenko aus einer wohlhabenden Familie stammte, lässt sich zunächst anhand der nobleren Adresse der Familie im 7. Arrondissement vermuten. Einen weiteren Hinweis gibt einer der Trauzeugen des späteren Ehepaars Wüster: Nikolai Sablin, ein Verwandter Nadines mütterlicherseits, wird im Heiratsregistereintrag als Ritter der Ehrenlegion (Chevalier de la Légion d’Honneur) aufgeführt.3 Hierbei handelte es sich mutmaßlich um den Marineoffizier Nikolai Pavlovich Sablin, der als zeitweiliger Kapitän in der Kaiserlich Russischen Marine auch der Zarenfamilie nahestand.4
In erster Ehe war Nadine Gavrichenko mit einem Schweden verheiratet,5 aus dieser Partnerschaft stammte eine Tochter.6 Spätestens 1924 lernten sich Adolf Wüster und Nadine Gavrichenko mutmaßlich in München kennen; in den Kunstwerken Adolf Wüsters, der zu diesem Zeitpunkt noch vorrangig als Kunstmaler arbeitete,7 taucht sie in den folgenden Jahren immer wieder als Modell auf.8 Ab Dezember 1924 lebten sie zunehmend gemeinsam in Frankreich, zunächst in der Pariser Familienwohnung der Gavrichenkos, zeitweilig in Barbizon und in Montrouge bei Paris.9 Im Juli 1930 heiratete das Paar im 15. Arrondissement von Paris und lebte bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges in der Rue Belloni Nr. 4, heute Rue d’Arsonval.10
In diesen Jahren entwickelte sich Adolf Wüster zunehmend zum marchand amateur [~Amateurhändler] und es entstanden Kontakte zu Kunsthändlern, -experten und Sammlern wie René Graf Avogli-Trotti, André Schoeller, dem Duc de Trévise (1883-1946), Gustav Rochlitz und Richard Götz (1874-1954).11 So war es wohl auch die Heirat mit Nadine Gavrichenko, die Adolf Wüster in den Kontakt mit einflussreicheren gesellschaftlichen Kreisen brachte und von denen er in seinem Professionswandel vom Künstler zum Kunstexperten und Sammler in den 1920er und 1930er Jahren profitierte.12 Außerdem verfügte Nadine Wüster über eigenen Kunstbesitz, den sie mit in ihre zweite Ehe gebracht hatte.13
Eigenständiges Mitwirken an den Geschäften ihres Mannes
Im November 1940 kehrte das Ehepaar Wüster, nachdem es im Zuge des Kriegsausbruchs Frankreich verlassen und in Wuppertal und München gelebt hatte, nach Paris zurück. Bis Juni 1942 entwickelte sich Adolf Wüster zu einem zentralen Vermittler für deutsche Museen und HändlerInnen auf dem französischen Kunstmarkt.1 In ausgewählten Quellen wird allerdings deutlich, dass Nadine Wüster in der Vermittlung von Kunstwerken an deutsche Museen einen aktiven Part einnahm und selbst in engem Kontakt mit den KäuferInnen stand. Darunter sind Hans Wilhelm Hupp aus Düsseldorf, Hans Joachim Apffelstaedt für die Rheinprovinz und Franz Rademacher für Bonn zu nennen.2 Vor allem zum Krefelder Museumsdirektor Friedrich Muthmann, der sie in einem Brief an Adolf Wüster als „Notre Dame des Beaux-Arts“3 bezeichnet, bestand ein vertrautes persönliches Verhältnis.4
Im Februar 1942 etwa machte sie „wertvolle Erwerbung[en]“5 von sechs emaillierten Platten rheinischer Reliquienschreine des 13. Jahrhunderts, die sie dem Bonner Landesmuseum übergab. Und auch als Hans Joachim Apffelstaedt plante, ein holländisches Gemälde des 17. Jahrhunderts als Geschenk für Albert Speer zu erwerben, beriet er sich zunächst mit ihr.6 Sie suchte französische Kunsthandlungen auf, um offene Rechnungen der deutschen KäuferInnen zu begleichen,7 sie forderte fehlende Dokumente und Fotografien ein,8 reservierte Kunstwerke bis zum Besuch der deutschen InteressentInnen oder besprach Lagerung und Transport von Werken mit der Firma Schenker.9
Bei den frequentierten französischen HändlerInnen handelte es sich nachweislich um André Schoeller und Raphaël Gérard,10 Martin Fabiani,11 Étienne Donath, die Brüder Kalebdjian, Alice Manteau, A. Vandermeersch,12 Simon Benatov,13 und N. Tabbagh.14 Zwei Beispiele zeigen, dass nicht nur die deutschen Museen von Nadine Wüsters Diensten profitierten: So verkaufte sie eine Sepiazeichnung von Théodore Géricault an den Direktor der Deutschen Bank in Mannheim, Philipp Frank,15 und beantragte im Januar 1944 eine Exportlizenz für ein Werk, das an Maria Almas-Dietrich nach München gesendet werden sollte.16
Insbesondere ab dem Übergang Adolf Wüsters in ein festes Angestelltenverhältnis beim Auswärtigen Amt und der Deutschen Botschaft in Paris und der Ernennung zum Konsul im Juni 1942 trat Nadine Wüster mit ihrer Tätigkeit deutlicher in den Vordergrund. Während ihr Ehemann offiziell keine unabhängigen Geschäfte mehr durchführte, übernahm sie in Zusammenarbeit mit dem italienischen Kunsthändler und Freund des Ehepaares Wüster, René Graf Avogli-Trotti, die Vermittlungstätigkeit.17 Gleichzeitig erhielt Nadine Wüster einen Dienststellenausweis der Deutschen Botschaft in Paris.18
Da anzunehmen ist, dass das Ehepaar Wüster die Vermittlung von Kunstwerken als gemeinsame Tätigkeit betrachtete,19 gilt die Vermutung, dass Nadine Wüster mit einer Großzahl von AkteurInnen in Kontakt stand, die sich für ihren Ehemann nachweisen lassen. Obwohl Nadine Wüster zunächst lediglich als Akteurin des Kunstmarktes in Paris zu begreifen ist, fallen hierunter auch AkteurInnen des NS-Kunstraubes spwoe anderes NS-Personal. So sagte beispielsweise Bruno Lohse gegenüber den Alliierten aus, er sei mit dem Ehepaar Wüster gut befreundet gewesen,20 gleiches gilt für den General und Kommandanten der 21. Panzerdivision Edgar Feuchtinger (1894-1960), der das Ehepaar in Paris kennengelernt hatte und im Herbst 1944 zeitweilig in seinem Gut in Habighorst aufnahm.21
Obwohl aus zahlreichen Korrespondenzen deutlich hervorgeht, dass Nadine Wüsters Arbeit der ihres Mannes gleichwertig war, muss die Frage gestellt werden, wie sehr sie dabei als eigenständige Kunstvermittlerin betrachtet wurde oder lediglich als „Frau Adolf Wüster.“22 Die Selbstverständlichkeit und Eigenständigkeit, mit der Nadine Wüster die Abwicklung der Vermittlungsarbeit weiterführte und selbst Werke erwarb, zeugt von einer starken Position, die sich nicht als die einer lediglich Aufträge ausführenden ,Ehefrau von‘ darstellen lässt. Ihre Bedeutung in der Zusammenarbeit mit ihrem Mann sollte nicht unterschätzt werden. Der Krefelder Museumsdirektor Muthmann richtete Adolf Wüster im Juli 1942 aus, der Oberbürgermeister der Stadt sei „sehr begierig, Sie und Ihre verehrte Gattin einmal hier zu haben, weil man Ihnen Beiden sehr grossen [sic] Sympathien entgegenbringt und genau weiss, wie sehr man Ihnen für das Zustandekommen der Galerie verpflichtet ist.“23
Der im August 1945 ausgesprochenen Empfehlung der Monuments, Fine Arts and Archives Section, „auch seine [Adolf Wüsters] Frau zu befragen, da sie über praktisch alle seine Geschäfte informiert ist„24 wurde jedoch nicht gefolgt.
Nach 1945
Nach Kriegsende lebten Nadine und Adolf Wüster in der Münchener Martiusstraße, von wo aus der ehemalige Konsul sein Geschäft als „Kunstexperte“ weiterführte.1 In welcher Form Nadine Wüster in diesen Jahren am Geschäft ihres Mannes partizipierte, ist nicht bekannt. Nach dem Tod Adolf Wüsters im Februar 1972 zog Nadine Wüster im Juni des Jahres zu ihrer Tochter nach Barbizon.2 Dass sie noch im Dezember 1974 zwei Werke von Hans Jaenisch in der Modernen Galerie Otto Stangl, die sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu der Münchener Wohnung befand, einlieferte,3 lässt sich nur bedingt als aktiver Kontakt zum deutschen Kunstmarkt auslegen.
Basisdaten
Personne / personne