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KUNSTHANDLUNG JULIUS BÖHLER, München (DE)

Die traditionsreiche Münchner Kunsthandlung Julius Böhler unterhält bereits lange vor dem Zweiten Weltkrieg enge Geschäftsbeziehungen nach Frankreich. Dennoch finden sich nur wenige Spuren von Aktivitäten während der Besatzung. Diese zeugen jedoch vom komplexen Netzwerk Böhlers und der strategischen Zusammenarbeit mit deutschen Museen.

Eine international agierende Kunsthändlerdynastie

Die Münchner Kunsthandlung Julius Böhler war in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine der größten Kunsthandlungen des deutschsprachigen Raums mit internationaler Ausstrahlung. Gegründet wurde sie 1880 von Julius Böhler (1860-1934), der in nur kurzer Zeit hohes Ansehen bei SammlerInnen und Museen gewann und zum erfolgreichen Kunsthändler aufstieg. Die Stellung seines Hauses als eine der besten Adressen Stellung als eine der besten Adressen des Münchner Kunsthandels mit Ware auf Museumsniveau zeigte sich auch im Erwerb eines Anwesens in der Briennerstraße 12, wo er sich ein repräsentatives und prächtiges Geschäftshaus im italienischen Palazzostil mit zwanzig Ausstellungsräumen errichten ließ.1

Seine Söhne Julius Wilhelm Böhler (1883-1966) und Otto Alfons Böhler (1887-1950) stiegen 1906 bzw. 1910 als Teilhaber ins Geschäft ein. Letzterer gründete zusammen mit dem aus Köln stammenden Kunsthändler Fritz Steinmeyer (1880-1959) die Kunsthandlung Böhler und Steinmeyer in New York, die vor allem Kommissionsware aus München anbot. 1919 übersiedelte Julius Wilhelm Böhler, der bis 1954 Gesellschafter des Münchner Hauses blieb, nach Luzern, wo er mit Fritz Steinmeyer die Kunsthandel AG Luzern ins Leben rief. Anfang 1928 bauten sie zudem – unter Beteiligung des Zirkusmagnaten und Millionärs John Ringling (1866-1936) – ihren Handelsradius nach New York mit der Firma Böhler & Steinmeyer Inc. aus. Die Firma, an der die Kunsthandel AG Luzern und das Kunsthaus Julius Böhler in München beteiligt waren, hatte allerdings nur bis 1933 Bestand. Auch in Berlin versuchten sie Fuß zu fassen, mit nur kurzem Erfolg. Das Münchner Stammhaus führte ab 1928 der Sohn von Julius Wilhelm, Julius Harry Böhler (1907-1979), zusammen mit seinem Onkel Otto Alfons und dem Kunsthistoriker Hans Sauermann (1885-1960). Dieser war 1916 in das Unternehmen eingetreten und von 1922 bis 1956 Geschäftsteilhaber. Fritz Steinmeyer war seit 1926 als stiller Gesellschafter an der Firma beteiligt. Der Firmengründer Julius Böhler schied 1930 als Gesellschafter aus.2

Von 1936 bis 1938 war die Firma Böhler stille Teilhaberin des Kunstversteigerungshauses Weinmüller, wo sie mit 50 Prozent am Gewinn beteiligt war. Böhler selbst hielt zwischen 1936 und 1938 vier Versteigerungen ab (Sammlung Margarete Oppenheim, Berliner Museen, Sammlung Theodor Stroefer, Sammlung Georg Schuster).3 Als „arisch“ geführtes Geschäft konnte die Kunsthandlung auch während der NS-Zeit weiter Handel betreiben. Sie diente sich dem System nicht an – im Übrigen war keiner der beteiligten Gesellschafter Böhlers Mitglied der NSDAP4 – , nutzte aber durchaus sich bietende Gelegenheiten, um mit attraktiven Objekten zu handeln. So profitierte sie fraglos von der Verfolgung und Enteignung jüdischer HändlerInnen und SammlerInnen.

Netzwerke in Frankreich vor der Besatzung

Die Kunsthandlung Böhler hatte sich im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts ein gut funktionierendes Netzwerk in Europa sowie in den USA aufgebaut und agierte als international gefragte Instanz auf dem Kunstmarkt, so auch in Frankreich. In Paris kaufte sie immer wieder auf Auktionen, etwa bei Commissaire-Priseur [Auktionator] F. Lair-Dubreuil im Jahr 1909,1 bei der Galerie Georges Petit 19112 oder bei Commissaire-Priseur Henri Baudoin 1925.3 Vor allem Drouot wurde immer wieder für den Zeitraum von 1905 bis 1926 auf den Karteikarten notiert, ohne genauer zu benennen, welcher Auktionator aktiv war.4

Blickt man auf die Kunsthändler in Frankreich, so fallen als wichtige Handelspartner Godefroy Brauer (1857-1923), Händler in Nizza und Paris, für den Zeitraum von 1904 bis 1922 und die Galerie Hamburger Frères mit ihren Filialen in Paris und Amsterdam für den Zeitraum von 1909 bis 1927 auf, aber auch die Galerie Neumans für den Zeitraum von 1909 bis 1928 oder die Galerie Kleinberger für den Zeitraum 1906 bis 1934. Auch die weitverzweigte Händlerdynastie Heilbronner sowie die Händlerfamilie Bäuml zählten zu wichtigen Kontakten der Kunsthandlung Böhler in Frankreich. Böhler verkaufte auch Ware nach Paris, so etwa 1925 an die Galerie J. & S. Goldschmidt, Paris,5 insbesondere im Jahr 1921 mehrfach an „Casares, Paris“ oder nur „Casares, Paris“ sowie an zahlreiche Privatpersonen, die heute vielfach nicht mehr zu identifizieren sind, da die Mitarbeiter von Böhler sehr häufig nur die Nachnamen, nicht aber die Vornamen auf den Karteikarten notierten.

Schlechte Voraussetzungen

Trotz dieser guten Ausgangslage baute die Kunsthandlung Böhler ihre Netzwerke während der Besatzungszeit in Frankreich erstaunlicherweise nicht weiter aus und profitierte somit nur wenig von ihren Handelsbeziehungen der Vorkriegszeit. Entscheidend dürfte vor allem die Tatsache gewesen sein, dass sie offenbar nicht an die nötigen Genehmigungen kam, um in Paris geschäftlich tätig werden zu können. In einem Schreiben an die Galerie Bäuml vom Dezember 1940 erfährt man, dass sie „in Paris kein Guthaben zur Verfügung haben“,1 im April des darauffolgenden Jahres liest man in einem Brief ebenfalls an Bäuml: „Auch dort zu kaufen ist für uns schwer, weil nicht jedermann eine Zahlungsgenehmigung erhält.“2 Die Devisenbestimmungen waren streng geregelt und die administrativen Hürden änderten sich laufend. Spontaneinkäufe waren für Böhler nicht möglich.3 Hinzu kommt, dass – im Gegensatz zu vielen deutschen Kunsthändlern – die drei Geschäftsführer der Kunsthandlung Böhler nicht persönlich nach Paris reisten. Otto Alfons Böhler konzentrierte sich auf Geschäfte in Deutschland, Julius Harry Böhler war durch seinen Wehrdienst nur begrenzt reisefähig und Hans Sauermann war zwar viel auf Reisen, vor allem in Italien, aber auch in den Niederlanden oder Österreich, doch Frankreich mied er.4

Ein kompliziertes Tauschgeschäft

Ein zufälliger Fund im Karteiensystem der Kunsthandlung Böhler deckte aber dennoch ein überraschend komplexes Handelsgeflecht in München, Karlsruhe, Straßburg und Paris auf.1 Böhler hatte im Dezember 1943 ein Landschaftsgemälde von Claude Lorrain, eine Ruinenlandschaft von Francesco Guardi sowie ein Frauenportrait eines Meisters in der Nachfolge von Paris Bordone im Tausch mit der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe erworben. Das Gegenstück konnte als Beschneidung Christi eines Regensburger oder Salzburger Meisters in der Sammlung der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe identifiziert werden.2 Doch erstaunlicherweise waren die drei Bilder zu keinem Zeitpunkt Teil der dortigen Sammlung gewesen. Der Betrag von 80.000 RM ging nämlich nicht direkt an die Kunsthandlung Böhler nach München. Stattdessen stellte der Karlsruher Direktor Kurt Martin, der als Generalbevollmächtigter für die Museen im Elsass und in Baden zugleich auch Leiter des Straßburger Museums war, 1.600.000 F in Paris bereit, so dass Böhler dort Einkäufe tätigen konnte. Im März 1942 hielt der Juniorchef, Julius Harry Böhler, die genauen Konditionen fest:

„Die Bezahlung erfolgt nicht in bar, sondern in der Form, dass Sie uns den Gegenwert in franz. Franken (1,600.000.- Ffcs) in Paris zu unserer freien Verfügung bereitstellen. Für diesen Betrag können wir nach unserer freien Wahl in Frankreich Kunstgegenstände erwerben, die wir pro Forma jedoch für das Strassburger Museum kaufen und diesem möglichst billig in Rechnung stellen lassen.“3

Martin möge die Abwicklung des Geschäfts übernehmen. Dieser ließ daraufhin wissen, dass er das Geld an Dr. Hans Wendland nach Paris überwiesen habe, der den Betrag für Böhler zur Verfügung halte. Er nannte auch Wendlands Pariser Partner, den Industriellen Achille Boitel, der dessen Geschäfte während seiner Abwesenheit erledigte.4 Da keine eigene Reise zustande kam, wandte sich die Münchner Kunsthandlung schließlich über ein halbes Jahr später an den Kollegen Karl Haberstock, mit dem bereits seit 1936 eine enge Geschäftsbeziehung bestand.5

Doch erst im Juli 1943 – fast eineinhalb Jahre nach Anbahnung des Tauschgeschäfts – wurde erstmals das Gemälde von Lorrain erwähnt, nachdem einen Monat zuvor bereits eine Gouache von Guardi erworben wurde. Im August 1943 erhielt Martin in einem Telegramm die genaue Order, den Lorrain in der Galerie Ernest Garin zu kaufen.6 Fünf Tage später kam auch die Kauf-Order für das dritte Gemälde, das Frauenportrait von Bordone. Vermittelnd war hier Haberstock tätig geworden: das Bild stehe bei der Galerie Hugo Engel zur Abholung bereit. Damit kommen zwei weitere Kunsthandlungen ins Spiel: Garin, ehemals Kleinberger & Co., und die Galerie des aus Wien nach Paris emigrierten jüdischen Kunsthändlers Hugo Engel. Für Garin arbeitete Ali [oder Allen] Loebl, ein jüdischer Kunsthändler österreichisch-ungarischer Herkunft, der bereits vor der 1942 erfolgten „Arisierung“ der Kunsthandlung Kleinberger unter dem Namen von Ernest Garin die Geschäfte geführt hatte und dies auch unter Garin fortsetzte. Die Galerie Hugo Engel sollte sich um den Versand der beiden Gemälde von Bordone und Lorrain nach München kümmern, doch schlussendlich sprang ein weiterer Kollege, Hildebrand Gurlitt, auf Bitten von Hugo Engel als Transporteur ein.7

Pariser Geschäftskontakte während der Okkupation

Die Recherchen zu diesem Vorgang förderten die Kontaktpersonen der Kunsthandlung Böhler in Frankreich während der Besatzungszeit zu Tage. Neben Martin und dem schon auf der Karteikarte vermerkten Geschäftspartner Haberstock agierten der Kunstexperte und Händler Wendland, dessen Bevollmächtigter Boitel, Loebl von der Kunsthandlung Garin sowie die Kunsthändler Engel und Gurlitt.

Weitere Briefe geben Auskunft, dass Julius Harry Böhler auch wegen anderer Werke mit Loebl in Austausch stand. So dankte er ihm am 23. Juni 1943 für zugesandte Fotografien, bedauerte dass eine Flusslandschaft von Salomon van Ruysdael nicht mehr zu haben war und bat ihn, ihn „auf alle bedeutenden Sachen“, die er in Paris wisse, aufmerksam zu machen und Fotos zu schicken.1 Seine Suche schien nicht sehr spezifisch, denn er ließ ihn wissen, dass es „auch eine nicht zu grosse kleinfigurige Tapisserie, eine Plastik oder ein kunstgewerblicher Gegenstand sein“ könne.2 Schon zwei Jahre zuvor hatte er mit Loebl wegen eines nicht näher bestimmten Stilllebens von Heda (1594–1680) korrespondiert.3

Nach der Entschlüsselung der komplizierten Transaktion zwischen München, Karlsruhe, Straßburg und Paris lag der Schluss nahe, dass diese nicht die einzige der Kunsthandlung Böhler im besetzten Frankreich gewesen sein konnte. Doch weder die Analyse weiterer Karteikarten der 1940er Jahre noch die Durchsicht der einschlägigen Korrespondenzakten sowie Geschäftsbücher im Bayerischen Wirtschaftsarchiv führten zu nennenswerten anderen Geschäften Böhlers in Frankreich für diesen Zeitraum. Es existieren zwar Kontakte zu und auch Kundenkarten von in Frankreich auf dem Kunstmarkt aktiven Akteuren wie Maria Almas-Dietrich (1892-1971), Carl Buemming (1899-1963), Bruno Lohse (1911-2007), Gustav Rochlitz (1889-1972) oder Adolf Wüster (1888-1972), doch gibt es keinerlei weitere Hinweise auf Transaktionen in Frankreich während der Besatzungszeit.4

Weil alle Recherchen ohne nennenswerte Ergebnisse blieben, muss der etwas paradoxe Schluss gezogen werden, dass die Kunsthandlung Böhler zwar eigentlich über ein gut organisiertes Netzwerk in Frankreich verfügte, darüber aber im Zeitraum der Besatzung keine wesentlichen Geschäfte abgewickelt hat. Das Tauschgeschäft mit Kurt Martin kam vor allem auf dessen Initiative zustande, da er sich so dringend das Gemälde der Beschneidungsszene wünschte. So muss an dieser Stelle dem Mythos „alle Kunsthändler sind während der Besatzungszeit in Frankreich“ widersprochen werden: die Akteure der Kunsthandlung Böhler waren es überraschenderweise offenbar nicht.

Verwicklung in den Handel mit französischer Raubkunst?

Dennoch bleiben gewisse Zweifel. Gab es nicht doch mehr Aktivitäten der Kunsthandlung Böhler im besetzten Frankreich? Warum tauchen drei Cranach-Gemälde in den Listen des Einsatzstabs Reichsleiter Rosenberg auf, die mit „Kunsthandlung Böhler“ vermerkt sind?1 Recherchen im Böhlerschen Geschäftssystem führten nicht weiter. Daher stellt sich die Frage, ob eventuell entsprechende Nachweise entnommen oder vernichtet wurden.

Nach dem Krieg

Julius Harry Böhler, Otto Alfons Böhler und Hans Sauermann konnten nach 1945 relativ schnell wieder ihre Geschäfte aufnehmen.1 1956 trat Julius Gustav Böhler (1929-2010), der Enkel des Firmengründers, als Gesellschafter in die Firma ein und wurde nach dem Tod seines Vaters Julius Harry 1979 Alleininhaber. Auch weiterhin behauptete das Unternehmen seine Position als eine der bedeutendsten Kunsthandlungen Münchens. 2004 wurde – nach 124 Jahren – der Stammsitz in München aufgegeben. Noch immer in Familienbesitz, setzt das Kunsthaus Julius Böhler unter der Leitung von Florian Eitle-Böhler seine Tradition am Standort in Starnberg fort.