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Der leitende Mitarbeiter des Textil- und Möbelgeschäfts Quantmeyer & Eike reiste als einer der wichtigsten Agenten Hermann Görings mehrfach nach Paris, um dort Kunstwerke, vor allem Tapisserien, für den Reichsmarschall ausfindig zu machen. In diesem Zusammenhang war er an der Beschlagnahmung der Galeriebestände der Brüder Bacri beteiligt und nutzte seine Position, um Druck auf Verkäufer auszuüben.


Beruflicher Aufstieg in der Textilbranche

Aus kleinen Verhältnissen im Berchtesgadener Land stammend, kam Josef Angerer, genannt Sepp, Ende der 1920er Jahre nach Berlin, wo er bei dem traditionsreichen Textileinzelhandelsunternehmen Quantmeyer & Eike eine Stelle als Verkäufer fand.1 Nicht zuletzt durch seine 1931 geschlossene Ehe mit einer Nichte der Ehefrau von Hansjoachim Quantmeyer (1894 - 1945), seit 1934 Geschäftsinhaber, konnte Angerer in der Firma zum Prokuristen aufsteigen, bis er schließlich 1939 zweiter Geschäftsführer wurde. Über seine Ausbildung und frühen Jahre ist wenig bekannt. Doch eignete er sich umfangreiche Sprachkenntnisse im Englischen, Französischen und Arabischen an, die ihm bei seiner späteren Profession als Teppichhändler bei internationalen Beziehungen zugutekamen. Auf Reisen durch Europa und Asien erlangte Angerer große Expertise auf dem Gebiet von Gobelins und Teppichen, und als geschickter Geschäftsmann konnte er enge Verbindungen auf internationaler Ebene in der Schweiz, in Italien, Frankreich, Persien und bis nach Südamerika knüpfen.2

Bereits seit Mitte der 1920er Jahre sympathisierte Angerer mit dem Nationalsozialismus und war aktives Mitglied der Kameradschaften „Kaiserjäger Bund“ und „Bund Oberland“, die in engem Kontakt zu Hitler und Göring standen.3 Wenige Wochen nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde Josef Angerer am 1. April 1933 Mitglied der NSDAP.4

Aufträge für Göring

Im Jahr 1934 bekam der „Nationalsozialistische Musterbetrieb“ Quantmeyer & Eicke die ersten umfassenden Aufträge von der nationalsozialistischen Führung.1 So wurde die Firma mit der Ausstattung der neuen Reichskanzlei betraut. Aber auch einzelne Vertreter engagierten sie, wie Albert Speer und auch Hermann Göring, der seine Berliner Dienstvilla sowie seinen Landsitz Carinhall in der Uckermark mit aufwendigen Teppichen ausstatten ließ. So kam zwischen Göring und Hansjoachim Quantmeyer sowie Josef Angerer der erste Kontakt zustande, der sich in den Folgejahren intensivieren sollte. Ab 1937 war Angerer auch direkt, mit Billigung Hansjoachim Quantmeyers, für Hermann Göring tätig,2 konnte ihm aber durch seine Verpflichtungen in der Firma nur begrenzt zu Diensten sein. Dennoch war er – nach Andreas Hofer, der ab März 1941 „Direktor der Kunstsammlung des Reichsmarschalls“ wurde – der wichtigste Kunstagent Görings.3 Die Arbeitsfelder der für Göring tätigen Experten waren klar verteilt.4 Während Walter Andreas Hofer, der über breite Kennerschaft verfügte, aber kein Fachmann auf einem speziellen Gebiet war, vor allem die Auswahl der Gemälde oblag, war Angerer für die Textilien zuständig, hielt Ausschau nach Teppichen und Gobelins, prüfte deren Wert und machte Preisvorschläge.5

Aktivitäten Angerers in Paris

Bereits vor Kriegsausbruch hatte Angerer in Paris als Vertreter von Quantmeyer & Eicke mindestens eine Tapisserie erworben, die in die Sammlung Görings eingegangen war.1 Auch ein Gemäldeankauf – die Darstellung einer Quellnymphe von Lucas Cranach d. Ä. – tätigte Angerer bereits 1938 in Paris. Das Gemälde, das die Luftwaffe übernahm, um es Göring zum Geschenk zu machen, war bei den Brüdern Bacri erworben worden.2

An der Beschlagnahmung von Teilen der Sammlung eben dieser jüdischen Kunsthändler sollte Angerer nur wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris beteiligt sein. Dem Bericht des Concierge zufolge, der das Gebäude Nummer 140 auf dem Boulevard Haussmann, die Wohn- und Geschäftsadresse der kurz zuvor geflohenen Händler, verwaltete, kam Angerer am 1. Juli 1940 in Begleitung von drei Kommissaren dorthin.3 Die Galerie hatte zu diesem Zeitpunkt noch keinen offiziellen Verwalter. Unter Angerers Aufsicht wurden zahlreiche Werke ohne systematische Wertschätzung abtransportiert. Angerer kam bis Mitte August noch drei weitere Male wieder, dabei aber in Begleitung von Experten, um die Objekte vor dem Abtransport schätzen zu lassen. Er selbst gab später in einer Eidesstattlichen Erklärung an, er habe über Harald Turner (1891-1947), den Chef der deutschen Militärverwaltung in Paris, Objektlisten erhalten, mit der Order, diese für Göring in der Firma Bacri lagernden Stücke abholen zu lassen. Diese Aufgabe habe er ausgeführt. Während eines späteren Paris-Aufenthaltes – seinen eigenen Angaben nach hielt sich Angerer vier bis fünf Mal in Frankreich auf –4 habe er zudem auf Anweisung die Bezahlung für die Objekte auf ein Konto bei einer „Reichsbank-Nebenstelle“ eingezahlt. Damit sei, so Angerer, „meine Aktion bei der Firma Baccri [sic!] beendet. Bei den späteren Ausplünderungen der Firma Baccri [sic!] war ich nicht beteiligt, da ich nicht dem Stabe Rosenberg angehörte.“5 Im August 1940 wurden die noch im Gebäude der Brüder Bacri befindlichen Kunstobjekte vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) beschlagnahmt.6 Vier der Werke, die durch Angerer bei Bacri entwendet wurden und die sich in der Sammlung Göring befanden, wurden nach Kriegsende identifiziert und nach Frankreich restituiert.7

Neben dieser unmittelbaren Beteiligung an der Beschlagnahmung von jüdischem Besitz konnte Angerer gemeinsam mit Hofer Depots mit geraubtem jüdischen Kunstbesitz besichtigen, die der Kunstschutz auf Geheiß Harald Turners hatte anlegen müssen.8 Angerer und Hofer suchten dort Objekte für Göring aus und ließen diese ins Jeu de Paume schicken, um sie dem Reichsmarschall bei seinem nächsten Besuch zur Auswahl vorzuführen.9 Der Kunsthändler Bruno Lohse, von Göring beim ERR zur Vertretung seiner Interessen eingesetzt, bereitete die Ausstellung der konfiszierten Werke im Jeu de Paume vor.10 Josef Angerer und Andreas Hofer begleiteten Göring wiederholt, etwa am 5. Februar 1941, bei der Besichtigung der von Lohse zusammen- und ausgestellten, konfiszierten Gemälde aus jüdischem Besitz. Hofer gab später an, dass Angerer zumindest zu Anfang den Abtransport der beschlagnahmten Kunstwerke organisierte, die Göring bei insgesamt 14 für ihn arrangierten Ausstellungen ausgesucht hatte.11 Aus einer Notiz der Sekretärin Görings, Gisela Limberger, geht hervor, dass Angerer beispielsweise mit der Mitnahme von Gemälden des französischen Impressionismus aus dem Jeu de Paume nach Berlin betraut werden sollte, die für ein Tauschgeschäft mit dem Händler Eugenio Ventura (1887 – 1949) in Florenz vorgesehen waren.12 Angerer nutzte Transportunternehmen, konnte aber auch, ähnlich wie Hofer, den Reisezug Görings nutzen, in dem er einzelne Objekte mitnahm. Er trug auf seinen Reisen stets ein Schreiben bei sich, aus dem hervorging, dass er geschäftlich für den Reichsmarschall unterwegs war.13

Neben der Auswahl in den Raubkunstdepots suchten Angerer und die anderen Kunstagenten Görings auf dem Pariser Kunstmarkt für dessen Sammlung interessante Stücke. Dazu bestellte Göring sie während seiner Besuche in Paris üblicherweise zu sich ins Hotel Ritz oder zu seinem Stützpunkt am Quai d’Orsay, um ihnen seine Erwerbungswünsche mitzuteilen. Die Zeit, die Göring bei seinen Paris-Aufenthalten der Erweiterung seiner Kunstsammlung widmete, wird aus Eintragungen in seinem Terminkalender ersichtlich. Danach kam er beispielsweise am 14. März 1942 um 11.00 Uhr in Paris an, um 11.30 Uhr empfing er Angerer, Hofer und Walter Bornheim zum Bericht. Am Abend des Tages waren Hofer und Angerer noch einmal von 18 bis 19 Uhr bei ihm. Am nächsten Tag gab es erneut von 11 bis 12 Uhr sowie von 18 bis 19 Uhr Besprechungen mit Angerer, Hofer und Bornheim, um 19.00 Uhr fuhr Göring dann mit dem Sonderzug zurück nach Berlin.14

Die für die Ankäufe benötigte Fremdwährung erhielt Angerer entweder von den verschiedenen Büros der Luftwaffe oder vom Stabsamt, das die Rechnungen zum Teil auch direkt beglich.15 Eine der preislich umfänglichsten Erwerbungen Hofers für Göring war die über Gabrielle Chesnier-Duchesne vermittelte Gruppe von sieben Tapisserien mit Szenen aus dem Leben Karls V.,16 die er Göring im Rahmen einer für diesen wohl auf Initiative Josef Mühlmanns in der Galerie Charpentier organisierten Verkaufsausstellung präsentierte.17 Angerer kaufte für Göring die Tapisserien, die der Verkäufer Henri Aumaitre im Jahr zuvor für 500.000 F erworben hatte, für 4.000.000 F, (von denen er selbst 500.000 F als Kommission einbehielt).18 Da Göring von der enormen Gewinnspanne bei dem Verkauf erfuhr, musste Aumaitre später 800.000 F zurückzahlen.19 Angerer übte in diesem Zusammenhang erheblichen Druck auf die Vermittlerin Gabrielle Chesnier-Duchesne aus, und nahm, ihrem Bericht zufolge, zwei Gemälde aus ihrer Galerie mit. Wesentlich später bezahlte er sie jedoch.20

Weitere französische Händler, mit denen Angerer in Kontakt stand und bei denen er für Göring Kunstwerke erwarb, waren die Galerie Brimo de Laroussilhe, Paul Gouvert (1880 – 1959) , M. u. R. Stora sowie Jean-Louis Souffrice.21 Eine engere Bekanntschaft verband ihn offenbar mit dem US-amerikanischen Kunsthändler Tudor Wilkinson (1879-1969), 18 Quai de Alliance, der für ihn den Pariser Markt beobachtete und dessen englische Frau er wohl mit Görings Hilfe aus dem Konzentrationslager befreien konnte.22

Im Laufe des Jahres 1943 lockerte sich die geschäftliche Bindung zwischen Angerer und Göring. Hatte Angerer zuvor vor allem bei der Beschaffung flämischer Gobelins für Göring mitgewirkt,23 übernahm nun zunehmend Hofer die Beschaffung von Gobelins und Teppichen.

Nach dem Krieg

Im September 1941 hatte Angerer, der gute Kontakte zu namhaften Kunsthändlern in Italien unterhielt und dort wichtigster Verbindungsmann für Göring war, seine Frau und seine beiden Kinder in Florenz untergebracht, da die Bombenangriffe auf Berlin zunahmen. Im Juli 1943 kehrte die Familie nach Deutschland zurück und kam im Haus Erhard in Maria Gern bei Berchtesgaden unter. Dort wurde Angerer bei Kriegsende von den amerikanischen Militärbehörden aufgegriffen und zeitweise in Haft genommen.1 Im Zuge der Recherchen zu den Kunstraubaktivitäten Görings wurde Angerer am 14. und 20. November 1945 in München verhört.2 Als NSDAP-Mitglied musste sich Josef Angerer im Dezember 1946 einem Entnazifizierungsverfahren unterziehen. Aufgrund wiederholten Einsatzes für politisch und rassisch Verfolgte, die er aus dem KZ befreit habe, stufte ihn die Spruchkammer Berchtesgaden als entlastet ein.3

In der Nachkriegszeit bemühte sich Angerer, ein eigenes Geschäft in Berlin aufzubauen und unterstützte auch Mitglieder der Familie Quantmeyer bei ihren Versuchen, ihre Firma Quantmeyer Textilimport in Duisburg neu zu gründen. Beide Unternehmungen scheiterten.4 Im Jahre 1950 zog Angerer mit seiner Familie nach Friedrichshafen am Bodensee, wo er in der Textilherstellung tätig wurde. Zwischen 1953 und 1959 lebte er in Beirut und vertrat dort die Interessen der Firma Stinnes im Libanon. Er starb am 17. Juni 1961 im Alter von 61 Jahren in Friedrichshafen am Bodensee.5