STOECKLIN Max (DE)
Der für die Nationalsozialisten arbeitende Spion mit Schweizer Staatsangehörigkeit, Max Stoecklin, war während der Besatzungszeit auf dem Pariser Schwarzmarkt tätig. Darüber hinaus war er in Raubkunstgeschäfte verwickelt, da er an Tauschgeschäften mit dem ERR beteiligt war und Kunst in die Schweiz verkaufte, wohin er während der gesamten Kriegszeit regelmäßig reiste.
Ein auf dem Schwarzmarkt tätiger Spion
Der am 12. August 1901 in Basel geborene Max Stoecklin hatte die Schweizer Staatsbürgerschaft. Nach einer Handelsausbildung in Zürich ging er im Alter von 20 Jahren nach Marseille. Er heiratete zum ersten Mal 1926, wurde Vater, lies sich scheiden und zog 1930 nach Brüssel, wo er 1933 erneut heiratete. Aus dieser Ehe gingen zwei Kinder hervor. In Anbetracht seiner Geschäftspleiten beschloss er, sich dem deutschen Geheimdienst anzudienen.1 Hermann Brandl (1896-1948), genannt Otto, warb ihn als Verbindungsmann für die Kölner Geheimdienststelle an. Seit 1936 arbeitete Stoecklin als Spion für die Nationalsozialisten. 1940 wurde er von der Sûreté nationale, dem französischen Sicherheitsdienst, verhaftet, doch er entkam und stand in der Folge unter dem Schutz der Deutschen.2
Stoecklin setzte seine Arbeit für Otto als Leiter eines Ankaufsbüros im achten Pariser Arrondissement, 1 Rue Lord-Byron, fort. Offiziell kaufte er für die Deutschen französische Textilien an. Innerhalb von vier Jahren brachte ihm das als Tarnung für seine Spionagetätigkeit dienende Ankaufsbüro 20.000.000 Francs Gewinn ein.3 Seiner Sekretärin Odette Poirier übertrug er die Leitung eines zweiten Ankaufsbüros, in dem sie „50.000 Francs pro Monat“ verdiente.4 Odette war die Schwester von Stoecklins Geliebter, Madeleine Poirier, mit der er seit 1940 zusammenlebte und ein Kind hatte. Letztere wusste angeblich nichts über das Ausmaß seiner Schwarzmarktgeschäfte und seiner Spionagemissionen.5
Stoecklin ist außerdem dafür bekannt, Henri Chamberlin alias Henri Lafont (1902-1944) bei der Gestapo vorgestellt zu haben. Ihn hatte er im Lager von Cepoy kennengelernt, wo er im Mai 1940 wegen Spionage interniert war. Er brachte die deutschen Besatzer dazu, Lafont zur selben Zeit wie ihn selbst zu befreien und machte ihn dann mit Brandl bekannt.6 Zusammen mit Pierre Bonny (1895-1944) wurde Lafont Chef der „Carlingue“, der französischen Gestapo, die auch als „Bonny-Lafont-Bande“ bekannte Gruppe von Übeltätern aus dem Gefängnis in Fresnes.
Auf Anweisung des nationalsozialistischen Agenten Brandl hatte Stoecklin bei Kriegsanfang Militärgeheimnisse über eine Funkanlage gesendet, die er in einer Villa in Saint-Cloud installiert hatte, in welche er mit der finanziellen Hilfe des deutschen Geheimdiensts gezogen war. Aus diesem Grund und wegen seiner Spionagetätigkeit vor dem Krieg wurde er vom Militärgericht in Algier bereits im August 1941 in Abwesenheit zum Tode verurteilt.7
Die Verbindungen zum ERR und zum Kunstmarkt in Frankreich und in der Schweiz
Stoecklin war darüber hinaus in Geschäfte mit Raubkunst verwickelt, begünstigt durch seine regelmäßigen Reisen in die Schweiz. Er erhielt nämlich drei Gemälde von Matisse und eines von Bonnard, die der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) jüdischen Sammlern und Händlern entzogen hatte.1
Das erste Matisse-Bild, das Stoecklin erwarb, die 1926 gemalte Odalisque au tambourin [~ Odaliske mit Tamburin], war seit dem 5. September 1941 im Jeu de Paume-Museum eingelagert, nachdem es im Banktresor von Libourne, der Paul Rosenberg gehörte, beschlagnahmt worden war.2 Das von Robert Scholz am 3. Dezember 1941 auf 20.000 F geschätzte Werk wurde zusammen mit drei weiteren Matisse-Gemälden gegen ein ursprünglich beim elften Tauschgeschäft des ERR für Hermann Göring vorgesehenes Brueghel-Gemälde, Le port d’Anvers [~ Der Antwerpener Hafen] Gustav Rochlitz überlassen (Tausch Nr. 11).3 Stoecklin erwarb das Matisse-Gemälde von Rochlitz und gab es anschließend an Georges Schmidt in Zürich weiter. Nachdem die Galerie Toni Aktuaryus es in Zürich für 12.000 Schweizer Franken (CHF) gekauft hatte, gelangte es zum Preis von 14.000 CHF in die Sammlung Emil Bührle (1890-1956). Das auch unter dem Titel Harmonie bleue [~ Harmonie in Blau] bekannte Gemälde wurde Paul Rosenberg 1948 auf Anordnung des Berner Bundesgerichts restituiert.4
Das zweite Tauschgeschäft, bei dem Stoecklin – diesmal persönlich beteiligt – in Erscheinung trat, wurde am 15. Juni 1942 mit Robert Scholz besiegelt (Tausch Nr. 19). Den Ermittlungen der Alliierten zufolge erhielt er einen Matisse, Vue à travers une fenêtre [~ Blick durch ein Fenster], im Austausch gegen zwei Gemälde von Winants und Zeeman für die Reichskanzlei.5 Das Werk ist als Fenêtre à Étretat [~ Fenster in Étretat] identifiziert, das Matisse 1920 gemalt hatte, und das ebenfalls aus dem vom ERR geplünderten Banktresor in Libourne stammt.6 Rochlitz‘ Verhör zufolge, und durch Stoecklins Aussage bestätigt soll Letzterer dieses Bild allerdings in der Gemäldegalerie Rochlitz für 200.000 F oder 220.000 F gekauft haben.7 Anschließend übergab er das Gemälde dem Bildhauer André Martin (1898-1960), der es erfolglos erst dem Museum in Bern, dann der Züricher Galerie Neupert anbot.8 Das Werk wurde an Paul Rosenberg um 1946 restituiert.
Der dritte Tausch (Nr. 28), an dem Stoecklin beteiligt war, fand am 16. November 1943 statt. US-amerikanischen Quellen zufolge wurde er von Scholz in Paris ausgehandelt und auf Wunsch von Eugen Bruschwiller, dem deutschen Händler, der ein Rudolf Alt-Gemälde Hitler übergeben wollte, direkt mit Bruno Lohse vereinbart. Dieses Gemälde wurde gegen Bonnards Nature morte avec une tasse de café [~ Stillleben mit einer Tasse Kaffee] aus der Sammlung Alphonse Kann, und ein Matisse-Gemälde, Femme dans un fauteuil jaune [~ Frau im gelben Sessel], aus der Sammlung Rosenberg getauscht. Der Wert dieser Bilder wurde von André Schoeller auf respektive 125.000 F und 350.000 F geschätzt.9 Stoecklin behauptete, Lohse um 1943 durch Vermittlung des Deutschen [Fritz] Buss kennengelernt zu haben, mit dem er geschäftlich zu tun hatte und der diese beiden Bilder zu je 160.000 F gekauft habe.10 Im September 1945 entdeckte Paul Rosenberg das Matisse-Gemälde in der Galerie Neupert wieder, die erklärte, sie habe es von André Martin als Deponat erhalten. Dieser wiederum gestand, es von Stoecklin erhalten zu haben.11 Das als Femme assise dans un fauteuil [~ Frau im Sessel sitzend] identifizierte und 1940 von Matisse gemalte Bild wurde Rosenberg 1948 zurückgegeben.12
Stoecklin kehrte aufgrund von Konflikten mit der Gestapo im Juli 1944 in die Schweiz zurück. Am 6. Oktober 1945 wurde er schließlich aufgrund seiner finanziellen und politischen Kollaboration bei einer Rückreise nach Paris verhaftet.13 Er wurde am 18. Januar 1946 in Frankreich wegen ideologischer Nähe zum Feind [„intelligence avec l’ennemi“] zu lebenslänglicher Zwangsarbeit, Aberkennung der bürgerlichen Ehre und zur Beschlagnahmung seines Vermögens verurteilt.14 Im Jahr 1950 beurteilte die Politische Abteilung der Schweizer Eidgenossenschaft, dass er einer Unterstützung unwürdig sei und erklärte, dass diesem Schweizer keine Gnade widerfahren sollte.15 Im Februar 1951 kam Stoecklin auf Bewährung frei.16