BELTRAND Jacques (DE)
Unter dem Vichy-Regime beteiligte sich der Maler und Grafikkünstler Jacques Beltrand an der Begutachtung der bei jüdischen Sammlern und Kunsthändlern beschlagnahmten Werke; Josef Angerer beauftragte ihn insbesondere mit Werken von Maurice de Rothschild (1881-1957) und den Gebrüdern Bacri. Im Rahmen der vom ERR durchgeführten Tauschgeschäfte hatte er Kontakt zu Hermann Bunjes, Bruno Lohse und Kurt von Behr und übernahm Gutachten für Gemälde, Skulpturen und Wandteppiche für Hermann Göring und Hitler.
Die Gutachten beschlagnahmter Sammlungen
Der Maler und Grafikkünstler Jacques Beltrand kam am 22. Juli 1874 in Paris zur Welt und starb am 2. Dezember 1977 in Coucy-lès-Eppes (Departement Aisne).1 Genauso wie seine drei kleinen Brüder erlernte er die Kunstgrafik bei seinem Vater und dadurch, dass er sich häufig im Departement Vendée bei dem Grafiker und Illustrator Auguste Lepère (1849-1918) aufhielt. 1896 richtete er sein Atelier in Paris an der Adresse 3 Impasse Camus ein, wo auch seine Familie lebte. Im Jahre 1905 zog er ins 15. Arrondissement um, wo er bis 1930 blieb, als er die Sängerin und Musikerin Jane Arger heiratete, mit der er dann in der Pariser Vorstadt Boulogne-Billancourt an der Nummer 3 Rue Max-Blondat wohnte.
Als ehemaliger Schüler der École des arts décoratifs [Hochschule für Angewandte Kunst] wurde er mit einem ersten Preis für Zeichnung und Grafik ausgezeichnet.2 Im Laufe seiner Karriere pflegte er den Umgang mit Maurice Denis (1870-1943), Jean Émile Laboureur (1877-1943) und André Dunoyer de Segonzac (1884-1974). Seit 1928 war er Mitglied des französischen Künstlerbundes Société des peintres-graveurs français und beteiligte sich bis zum Jahr 1946 an allen Ausstellungen dieses Vereins.3 1922 war Beltrand auch Mitglied des auf Landschaftsschutz bedachten Comité des Tuileries und stellte bis 1944 dort seine Werke aus. Er wurde zum Professor und Werkstattmeister der École nationale supérieure des beaux-arts [Hochschule der Schönen Künste] ernannt, wo er bis 1946 unterrichtete.4
Er wurde mit der Begutachtung der bei jüdischen Sammlern und Kunsthändlern beschlagnahmten Sammlungen beauftragt. Aus diesem Grund begleitete er Josef Angerer zwei Mal, und zwar am 8. Juli und am 4. August 1940, zu der Firma Bacri Frères, um für den Reichsmarschall Göring ausgewählte Werke zu begutachten.5 Er war auch für die Begutachtung der Sammlungen Maurice de Rothschild (1881-1957) zuständig, die am 19. September 1940 in dessen Stadtvilla an der Pariser Adresse 41 Rue du Faubourg-Saint-Honoré auch in diesem Fall von Josef Angerer sowie einem „Dr. Schmidt“ auf Befehl von Hermann Göring beschlagnahmt wurden.6 Auch die Gutachten der in Moire und Igny beschlagnahmten und auf 2.733.475 F bzw. 1.240.000 F geschätzten Sammlungen Wildenstein stammen von ihm.7 Das Unternehmen der Gebrüder Bacri erläuterte:
„Als Liquidator der Firma Bacri Frères überreicht er später, am 31. Juli 1941, dem Herrn Verwalter einen von der Reichkreditkasse ausgestellten Scheck, dessen Betrag der geschätzten Summe der im Juli und im August im Geschäftslokal der Gebrüder Bacri von den Besatzerbehörden beschlagnahmten Objekte entsprach.“8
Der Betrag des dem kommissarischen Leiter der Firma Bacri, „Monsieur Pioton“, überreichten Schecks belief sich auf 56.950 RM.9 Auch Édouard Gras, der vorläufige Verwalter der Firma Wildenstein & Cie, hatte Kenntnis von der von Jacques Beltrand vermittelten Übergabe eines Schecks in Höhe von 48.250 RM bzw. 965.000 F, was der Beschlagnahmung mobilen Eigentums entsprach, die mit dem Unternehmen Wildenstein & Cie nichts zu tun hatten, sondern Georges Wildenstein gehörten, was Gras als schwerwiegenden Tatbestand hervorhob, da Privatbesitz beschlagnahmt worden war.10
Beltrand wurde unter dem Vichy-Regime im Juli 1941, wie Paul Landowski (1875-1961), Pierre-Victor Dautel (1873-1951) und Maurice Dufresne (1876-1951), zum Mitglied des Comité d’organisation professionnelle des arts graphiques et plastiques [Berufskomitee für Grafik und Bildende Kunst] ernannt, dessen Vorsitz Maurice Denis führte.11 Wie er selbst und auch seine Studenten aussagten, verhalf er in der gleichen Zeit vielen jungen Leuten, die Zwangsarbeit zu umgehen, indem er ihre Aufnahme an der École nationale supérieure des beaux-arts erleichterte. 1943 gab er einen „deutschenfeindlichen“ Text von Jean Serval heraus, den Essai Nietzsche l’Asiate [~ Der Asiat Nietzsche].12
Die Verurteilungen nach dem Krieg
Am 19. Oktober 1944 eröffnete die Staatsanwaltschaft des Gerichtshofs (Dienststelle Boissy d’Anglas) ein „Ermittlungsverfahren für geheime Verbindungen zum Feind“. In der Akte wurde betont, dass zum Vorteil der Besatzungsbehörden „diese äußerst zahlreichen Gutachten systematisch verminderte Preise ergaben“. Am 19. Februar 1945 wurde das Verfahren dennoch eingestellt, da die Beweise für diese Anklagepunkte unzureichend schienen.1 Der Gerichtshof des Departement Seine kam im Mai 1946 zu demselben Schluss und Beltrand wurde von der Anklage der „Gefährdung der Staatssicherheit“ freigesprochen.2
Beltrand war jedoch einer der seltenen Künstler, die vom Comité d’épuration des artistes [Säuberungskomitee für Kunstschaffende] wegen „Kollaboration mit dem Feind“ scharf verurteilt worden sind. Am 28. Mai 1946 wurden über ihn verschiedene Disziplinarstrafen verhängt: zweijähriges Ausstellungs- und Verkaufsverbot, da er als Gutachter „den deutschen Besatzern zwei Jahre lang gedient hatte“, um den Handelswert von Kunstwerken aus Privatsammlungen zu schätzen, und zwar ohne jeglichen Zwang oder Not. Wie Beltrand selbst aussagte, war er beim Einmarsch der deutschen Besatzer einer der wenigen in Paris anwesenden Gutachter und sein Name wurde zu Beginn der Besatzung von der Direktion der französischen Nationalmuseen weiterempfohlen.3
Die geschäftlichen Angelegenheiten jedoch, in die er verwickelt gewesen war, gingen weit über seine Kompetenzbereiche hinaus, da er als Vorsitzender des Künstlerverbands Société des peintres-graveurs français die Wertschätzung von Gemälden, Skulpturen und Wandteppichen direkt für Göring und Hitler übernahm. Im Archiv der US-amerikanischen Kommission, die zu den beschlagnahmten Werken ermittelte, sind im Übrigen Hinweise auf seine zahlreichen Gutachten im Rahmen der vom Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) zwischen März 1941 und November 1942 getätigten Tauschgeschäfte zu finden, die bezeugen, dass der Künstler unter anderem Beziehungen zu Hermann Bunjes, Bruno Lohse und Kurt von Behr unterhielt.4
Die Polizeipräfektur in Paris ihrerseits kam 1945 zu folgenden Schlussfolgerungen: „Er unterhielt regelmäßige Beziehungen zu den Besatzerbehörden und war auf Grafikkunst spezialisierter Gutachter für den Ankauf von für das Deutsche Reich bestimmten Kunstwerken. Er trug also zur Verarmung unseres künstlerischen Kulturgutes zugunsten des Feindes bei.“5 Dies hielt den französischen Staat allerdings nicht davon ab, 1950 eine seiner Grafiken aus dem Jahr 1941anzukaufen.6 1963 verließ Jacques Beltrand seine Wohnung in Boulogne-Billancourt, um sich im Kreise seiner Familie ins Departement Aisne zurückzuziehen.
Basisdaten
Personne / personne