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25/11/2021 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

René Huyghe ist ein Kunsthistoriker, Konservator, Akademiemitglied und Widerstandskämpfer, der sich im Zweiten Weltkrieg insbesondere für die Evakuierung und den Erhalt der Sammlungen der französischen Nationalmuseen einsetzt. In dieser Zeit arbeitet er Hand in Hand mit seinem Kollegen und Freund Germain Bazin, gleichfalls Konservator im Louvre.

Ein im Louvre ausgebildeter Kunsthistoriker und Kunstkritiker

René Louis Huyghe kommt am 3. Mai 1906 in Arras, 11 Rue Baudimont im französischen Departement Pas-de-Calais zur Welt. Er ist der Sohn von Marie Augustine Delvoye (1878 –vor 1950), Lehrerin im Mädchengymnasium, und Mathurin Louis Hyacinthe Huyghe (1876-1935), Journalist und Werbefachmann. Der kleine René lernt den Krieg gleich bei seinem Ausbruch 1914 kennen, als seine Geburtsstadt mit Granaten beschossen wird und die Bewohner wegen der Bombardierung der Stadt in den Kellern Zuflucht suchen müssen.1 Im Übrigen erlebt er, wie die deutsche Artillerie am 21. Oktober 1914 den Glockenturm der Stadt Arras zerstört. Die Familie Huyghe wird wie andere auch nach Clermont-Ferrand evakuiert und zieht 1916 nach Paris, wo Louis Huyghe bei der Tageszeitung Petit Parisien als Journalist zu arbeiten beginnt.

René Huyghe macht sein Abitur am Lycée Michelet. Zuvor hatte er im humanistischen Zweig am Lycée Montaigne in Roger Chapelain-Midy (1904-1992) einen „Freund fürs Leben“2 gefunden. Im Herbst 1923 besucht er die auf die École normale supérieure vorbereitende Klasse Hypokhâgne im Lycée Louis-le-Grand. Dort trifft er auf die zukünftigen Philosophen Maurice de Gandillac (1906-2006), Jean-Paul Sartre (1905-1980) und Maurice Merleau-Ponty (1908-1961) sowie den späteren Grammatiker Louis Wagner (1905-1982). Auf Anraten seines Freundes René Maheu (1905-1975) tritt Huyghe dann nicht zur Aufnahmeprüfung für die École normale supérieure an und setzt stattdessen sein Studium der Geisteswissenschaften an der Pariser Universität fort. An der Sorbonne belegt er Philosophie- und Ästhetik-Vorlesungen, bevor er sich schließlich in der École du Louvre einschreibt. Dort ist er Schüler von Louis Hautecœur (1884-1973), der ihm anbietet, in der konservatorischen Abteilung des Louvre zu arbeiten.3 Zwischenzeitlich unterbricht er sein Studium an der Universität wegen „längerer Krankheit“.4 Aufgrund dieses Leidens braucht er wahrscheinlich keinen Wehrdienst leisten, da er 1928 freigestellt wird.

Im Jahre 1927 wird Huyghe unbezahlter wissenschaftlicher Mitarbeiter des Konservators in der Gemäldeabteilung des Louvre.5 Der Chefkonservator Jean Guiffrey (1870-1952) führt ihn in den Beruf ein und macht mit ihm „Runden bei allen großen Antiquitätenhändlern, wie er es mindestens einmal wöchentlich zu tun pflegte, um keine Gelegenheit auf dem Kunstmarkt zu verpassen; gelegentlich schickte er mich zu Auktionen ins Hôtel Drouot“.6 Dank der erfolgreichen Schau „Chefs-d’œuvre de l’art français“ an der Londoner Royal Academy (1930), für die Huyghe das Ausstellungssekretariat übernimmt, wird er 1930 als 24-Jähriger zum Assistenzkonservator ernannt7, als Vertretung für Gabriel Rouchès‘ (1879-1958). Seit 1928 schon erfüllte der junge Mann täglich die Funktion des stellvertretenden Konservators, die zuvor der nun als Abgesandter beim ägyptischen König Fouad I. verweilende Louis Hautecœur innehatte. Aus diesem Grunde hatte er bereits früh die notwendige Erfahrung gesammelt, um die Verantwortung für eine solche Stelle in einer Abteilung des Louvre zu übernehmen. Manche mögen wegen seines jungen Alters Zweifel hegen, er bekommt jedoch Unterstützung von angesehenen Personen.8 Wie auch andere hält André François-Poncet (1887-1978), der damalige stellvertretende Staatssekretär an der Kunstbehörde Beaux-Arts, seine Kandidatur für „äußerst sympathisch“.9

Seit 1925 publiziert Huyghe auch als Kunstkritiker. In diesem Jahr beginnt er mit einer Kunstchronik in L’Opinion républicaine und schreibt in der Folge Beiträge in den Zeitschriften L’Architecture, Beaux-Arts (herausgegeben von Georges Wildenstein), Revue des Deux Mondes, Revue de France, Les Lettres françaises, Études carmélitaines sowie in mehreren internationalen Zeitschriften, etwa in der konservativen argentinischen Tageszeitung La Nación, der Schweizer Zeitschrift Labyrinthe oder im New Yorker Magazine of Arts. 1930 tritt er auf Vorschlag des Aufsichtsratsvorsitzenden Albert Sancholle Henraux (1881-1953) als Chefredakteur der Zeitschrift L’Amour de l’Art die Nachfolge von François Fosca (1881-1980) an. Zwei Jahre später wird Huyghe ihr Direktor. Diese betriebsame Tätigkeit bietet dem jungen Kunsthistoriker die Gelegenheit, mit angesehenen Personen seiner Zeit zu verkehren, wie dem Kunstkritiker Bernard Champigneulle (1896-1984), dem Akademiemitglied Marcel Aubert (1884-1962) oder dem Kunsthistoriker Léon Deshairs (1874-1967).

Da Huyghe sich in Museumskreisen bereits einen Namen gemacht hat, wendet man sich mit wichtigen Aufträgen an ihn. Bei einem Gespräch in seiner Wohnung in Neuilly unterbreitet der Vorstandsvorsitzende der französischen Nationalmuseen David David-Weill (1871-1952) Huyghe das Angebot, seine Ausbildung als Konservator mit dem Besuch der großen Museen der Welt abzuschließen. Der Präsident der Bank Lazard bietet sich an, die Kosten dieser langen Reise zu übernehmen.10 In den Jahren 1932-1933 wird  Huyghe somit von der Unterabteilung des Staatssekretariats der Kunstbehörde Beaux-Arts mit einer Mission im Ausland beauftragt, um museografische Fragen zu untersuchen11. Diese Reise rund um die ganze Welt führt ihn in zahlreiche Länder Europas wie Italien, die Schweiz, Belgien, die Niederlande, Deutschland, Österreich, die Sowjetunion sowie in die Länder des Balkans und nach Skandinavien. Auch die Museen der USA besucht er, von einer Küste zur anderen.12

Dank seiner vor Ort gesammelten Kenntnisse befindet sich Huyghe beim großen museografischen Kongress 1934 in Madrid unter den französischen Delegierten.13 Aus diesem Anlass macht er erneut größere Reisen in mehrere südamerikanische Länder und auf die Antillen. Somit hält der junge Konservator in den 1930er Jahren mehr Vorträge im Ausland als in Frankreich. Nach seinen ersten Auftritten im Louvre um das Jahr 1927 wendet er sich sehr schnell an ein europaweites Publikum: Belgien, Luxemburg, die Niederlande, England, Bulgarien, Rumänien, Spanien, Dänemark, Schweden, Norwegen und die Schweiz bieten ihm eine renommierte Tribüne, von der aus er über Renaissance-Maler, Impressionnismus oder auch moderne Malerei dozieren kann. Diese Dienstreisen verschaffen ihm zu Beginn seiner Karriere zahllose Adressen ausländischer Kollegen. Seine Beziehungen reichen zum Beispiel bis nach Österreich: Im Jahre 1938 wendet sich der Präsident der Museumsfreunde in Wien, Baron Felix von Oppenheimer (1874-1938)14, mit der Bitte an Huyghe, ihm eine Liste der wichtigen Museumsdirektoren und Sammler in Frankreich vorzulegen, um sie zu einer Versammlung seines Fördervereins in die österreichische Hauptstadt einzuladen.15 Der Kurator nennt daraufhin die Namen Albert Henraux, Gabriel Cognacq (1880-1951), den Direktor des Kaufhauses Samaritaine, sowie den Unternehmer und Sammler Georges Dormeuil (1856-1939).

René Huyghe, der 1937, im Jahr der Pariser Weltausstellung Exposition internationale des arts et des techniques appliqués à la vie moderne Chefkonservator in der Gemäldeabteilung wird16, sticht bereits durch seine Arbeiten als Ausstellungskurator in Frankreich und anderen Ländern hervor. Zwischen 1930 und 1945 organisiert er nicht weniger als ein Dutzend Veranstaltungen: in Paris im Louvre (1930), in Kopenhagen (1934-1935), in Bogota (1938), in Buenos Aires (1939) und in Rio de Janeiro (1945). Zusammen mit seinen Kollegen und Freunden Germain Bazin (1901-1990) und Michel Florisoone (1904-1973) richtet er im Rahmen der Weltausstellung, die von Mai bis November 1937 in Paris stattfindet, eine große Ausstellung über Vincent Van Gogh aus.17 Huyghe stützt sich dabei in praktischer Hinsicht auf die modernsten museografischen Prinzipien, die er in den berühmten Museen der Welt kennengelernt hatte. Im selben Jahr erhält er eine Professur an der École du Louvre, wobei er gleichzeitig damit beauftragt wird, sich höchstpersönlich nach Berlin zu begeben, um die Leihgaben von Werken für die große Ausstellung französischer Kunst auszuhandeln.18 Diese Fahrten ins Ausland im Rahmen der zu vorbereitenden Ausstellungen werden in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre immer häufiger.

Sein fulminanter beruflicher Aufstieg bleibt nicht unbemerkt: bereits 1931 kann man in der Tageszeitung Ce Soir lesen, dass „viel zu erwarten ist von einem Mann, der alle Museen und Kunstsammlungen der Welt am besten kennt und mit äußerst erfindungsreichen Ideen die Nekropolen der Kunst in lebendige Zentren für kulturelle Erziehung verwandelt“.19 In der Zwischenkriegszeit ist Huyghe auf allen hochrangigen kulturellen Veranstaltungen anzutreffen. Seine Privatkorrespondenz bezeugt übrigens seine breitgefächerten Beziehungen, zu denen gewisse Fachleute auf dem Kunstmarkt zählen. Unter anderen gehören auch Paul Cailleux20 und Léonce Rosenberg dazu.21 Seine im Ausland ausgerichteten Ausstellungen bieten ihm die Möglichkeit, auch mit dortigen, manchmal international angesehenen Kunsthändlern in Kontakt zu kommen: Im Laufe der 1930er Jahre22 führt seine Bekanntschaft mit dem englischen Kunsthändler Percy Moore Turner (c. 1877-1950) dazu, dass ihm nunmehr die Tore der Schlösser und Privatsammlungen der englischen Aristokratie offenstehen. Huyghe selbst gesteht ein, in vornehmen Kreisen unterwegs zu sein: „Die Tatsache, dass ich in ungewöhnlich jungen Jahren zum Assistenzkonservator des Louvre befördert wurde, hatte witzigerweise eine mondäne Stellung zur Folge, die ich damals ein bisschen ausgenutzt habe.“23

Die Evakuierung der Sammlungen

Im September 1938 befinden sich die französischen Nationalmuseen aufgrund der international angespannten Lage in Alarmbereitschaft. Die Vorbereitungen für eine Evakuierung laufen schon, bis dann das Münchner Abkommen die Situation vorübergehend wieder entschärft. Im November desselben Jahres erwirbt Huyghe im Auftrag des französischen Abgesandten in Chile, Graf Louis de Sartiges (1883-1965), mehrere moderne Gemälde. Zu diesem Zweck wendet er sich sowohl an Künstler als auch an deren Galeristen, wobei er Verkäufe zu „natürlich weitaus besseren und außerordentlichen Bedingungen“1 in die Wege leitet. Huyghes Kontakte auf dem Kunstmarkt und seine wachsende Anerkennung machen es ihm möglich, die in seinen Augen interessantesten Werke für sich zu beanspruchen, auch dann, wenn diese beinahe schon in den Händen anderer Interessenten sind. Zwischen der französischen Botschaft in London und Percy Moore Turner leitet er ähnliche Verhandlungen zu Beginn der 1950er Jahre.2

Im März 1939 reist Huyghe als einer der berufenen Gutachter nach Genf, wo sich die aus dem Prado evakuierten Werke befinden. Seine Gegenwart ist für die Bestandsaufnahme und das Zustandsprotokoll erforderlich.3 Die Evakuierung des Museums in Madrid ist nur eine traurige Generalprobe für all die kommenden Auslagerungen von Museumsreinrichtungen in Frankreich, und alle ahnen schon, dass es nur mehr eine Frage der Zeit ist. Als sich im April eine eventuelle Evakuierung der französischen Nationalmuseen immer konkreter abzeichnet, setzt sich Huyghe, der vom Direktor der französischen Nationalmuseen, Henri Verne (1880-1949), volles Vertrauen genießt, mit Privatsammlern in Verbindung, die ihre Sammlung zusammen mit denen der Museen in Sicherheit bringen möchten. Henraux, der damalige Vorsitzende des Fördervereins Société des Amis du Louvre, stellt den Kontakt zwischen den Privatpersonen und den Verantwortlichen des Evakuierungsplans her.4 Der Kunsthändler Paul Rosenberg (1881-1959) bekommt auf diesem Wege die Bestätigung, dass „der Louvre sehr wohl die Aufgabe übernimmt, neben seinen eigenen Werken einige wertvolle, in Paris befindliche Kunstwerke in Sicherheit zu bringen“. Huyghe warnt allerdings davor, „dass wir uns auf keinen Fall für die im Handel befindlichen Werke interessieren können“.5

Die Evakuierung wird im Sommer 1939 beschlossen, als sich Huyghe auf der Rückreise von Buenos Aires an Bord des Passagierschiffs Campana mitten auf dem Atlantik befindet. Glücklicherweise „waren die Unterlagen für die Evakuierung fertig und die Sammler seit der Gefahrenmeldung im September [1938] auf dem Laufenden, aber ich würde so gerne selbst zugegen sein!“ schreibt der Konservator an Henri Verne, „der sich martert“,6 weil er nicht vor Ort ist. Es gelingt ihm, am 30. August von Dakar aus per Flugzeug nach Paris zu gelangen.7 Zusammen mit Jacques Jaujard, der die allgemeine Organisation übernommen hat, leitet Huyghe höchstpersönlich die Evakuierung, um dem Exodus der Gemälde- und Grafiksammlungen mit eigenen Augen zuzusehen. Nach ihrem Transit von Martiel nach Montauban endet ihre Reise schließlich im Schloss Montal im Departement Lot. Beim Verlauf dieser großangelegten Maßnahme kann Huyghe mit der wertvollen Hilfe seiner beiden Verbündeten,8 Germain Bazin und André Varagnac9 (1894-1983), sowie mit dem guten Willen zahlreicher Persönlichkeiten aus seinem Umfeld rechnen.10

Als die Evakuierung noch nicht ganz beendet ist, bietet der Generalkommissar des Nachrichtendienstes Jean Giraudoux (1882-1944) im September 1939 Huyghe die Leitung der ausländischen Rundfunk- und Kunstpropagandaabteilung des Informationsministeriums an. Da Huyghe am 15. März 1940 einberufen wird, verkürzt sich die Dauer dieser Mission jedoch.11 Der an der École du génie [Militärschule] in Versailles zum Offiziersanwärter aufgestiegene Konservator wurde anschließend der Génie-Pioniersondereinheit zugewiesen12, die in das Departement Tarn verlegt worden war13. Wegen einer Verletzung überlässt er Bazin die Aufsicht über den Lastwagentransport der französischen Nationalmuseen auf dem Weg nach Südfrankreich. Im Juli wendet sich Huyghe, durch Vermittlung von Bazin, an Jaujard mit der Bitte, möglichst umgehend seine Entlassung aus dem Militärdienst zu beantragen, da „seine Abwesenheit für das von ihm geleitete Amt sehr großen Schaden nach sich ziehen könnte.“14

Sie wird noch im selben Monat genehmigt und Huyghe begibt sich in das in der Zisterzienserabtei Loc-Dieu im Departement Aveyron eingerichtete Depot. Nun wird er genauso wie seine Kollegen Germain Bazin und Pierre Schommer (1893-1973) damit beauftragt, die regionalen Depots zu organisieren. Obwohl das Kloster Loc-Dieu über ausreichende Räumlichkeiten für die zahlreichen Werke aus dem Louvre verfügt, können aufgrund der allzu feuchten Mauern keine korrekten konservatorischen Bedingungen gewährleistet werden. Daraufhin werden die Kisten nach Montauban gebracht. Von dort aus erfährt Huyghe, dass Marschall Pétain General Franco für seine Neutralität mit einer Spende aus den staatlichen Sammlungen danken möchte, die der Kurator persönlich als Kurier nach Madrid begleiten soll. Die Immaculée Conception [~ Unbefleckte Empfängnis] (1678) des spanischen Malers Murillo zählt zu den ausgewählten Werken.15 Huyghe sorgt sich nicht ohne Grund, denn dieses diplomatische Geschenk könnte eine Bresche schlagen:

„Den deutschen Besatzern lief das Wasser im Munde zusammen, als sie unsere Gemälde und Meisterwerke sahen; es bestand Grund zur Sorge, da man wusste, wie anfällig Vichy war… Da sagte ich mir: ‚Warum sollte ich nicht von diesem peinlichen Auftrag profitieren, um einen Präzedenzfall zu schaffen, der uns schützen würde‘.“16

Der Konservator des Louvre verhandelt mit dem Direktor der spanischen Kunstbehörde, Marquis Lozoya (1893-1978), den er vor dem Krieg kennengelernt hatte, um die Schenkung in einen Tausch zu verwandeln. Franco ist mit dem Prinzip einverstanden und in der Folge wird das Werk gegen Velázquez‘ Porträt der Königin Maria Anna von Österreich und andere getauscht.17

In Opposition zum Vichy-Regime

Huyghe zeigt sehr früh seine Abneigung gegenüber dem neuen Regime. Genauso wie seine Kollegen Jean Cassou (1897-1986) und André Chamson (1900-1983) stellt er umgehend seinen Widerstandsgeist unter Beweis. Er schreibt:

„Noch am selben Tag, als der Waffenstillstand unterzeichnet wurde, habe ich eindeutig ablehnend Stellung gegen die Kapitulation und die Politik in Vichy bezogen. Bereits im November 1940 [am 6. d.M.] hatte ich Gelegenheit, mich öffentlich dazu zu äußern, als Marschall Pétain nach Montauban kam und den Wunsch äußerte, das [im Musée Ingres eingerichtete] Depot der französischen Nationalmuseen zu besichtigen; ich weigerte mich, in irgendeinem Büro oder Raum dieses Depots das Porträt des Marschalls und seine gedruckten Reden zu präsentieren, wozu alle Beamten verpflichtet waren. Der Marschall ging also in Begleitung der Minister und Präfekte durch die Räume, ohne dort sein Konterfei zu finden.“1

Huyghes Opposition zum Vichy-Regime kommt auch dadurch zum Ausdruck, dass er sich seinen obersten Vorgesetzten, insbesondere seinem Minister Abel Bonnard (1883-1968), widersetzt. Er berichtet:

„Vor dem Krieg hatte ich eine enge freundschaftliche Beziehung zu Abel Bonnard gehabt […] das änderte sich in der Besatzungszeit. Er war mein Minister, der den deutschen Besatzern ganz untergeben war2 und ihnen ihre Wünsche von den Lippen ablas. Damit will ich den Gegensatz zwischen uns betonen und ich werde nie vergessen, dass er mir eines Tages nach einer unserer etwas heftigen Auseinandersetzungen erklärte: ‚Monsieur Huyghe, ich werde einen Ausdruck verwenden, den Sie bitte in seinem umfassendsten Sinn verstehen sollten: Sie gehen mir langsam auf die Nerven, ich werde Sie ins Grab bringen, verstehen Sie, was das bedeutet?‘ Ich habe recht gut verstanden. Daran sehen Sie, wie gespannt das Verhältnis zu Abel Bonnard geworden war.“3

Ein weiteres Beispiel für Befehlsverweigerung seinerseits liefert er 1941, als er von Hautecœur beauftragt wird, ein Gemälde von François Boucher, Diane au bain [~ Diana im Bade] (1742), nach Paris zurückzubringen, weil es auf Görings ausdrücklichen Wunsch  nach Deutschland geschickt werden solle. Da er Joachim von Ribbentrop 1938 durch die Gemäldeabteilung des Louvre geführt hatte,4 war René Huyghe bei dieser Gelegenheit bereits das Interesse der Nazis für die französischen Meisterwerke des 18. Jh. aufgefallen.5 Weil er sich weigerte, der Aufforderung nachzukommen, entwendet André Parrot, ein Kollege des Konservators, in dessen Abwesenheit das Gemälde aus dem Depot. Bei seiner Rückkehr reicht René Huyghe seinen Rücktritt ein6 und zugleich ein Protestschreiben, dem sich Jacques Jaujard anschließt. Ein paar Wochen später drohen eine ganze Reihe französischer Konservatoren mit der Kündigung, Vichy zieht die Forderungen zurück, und das Gemälde wird wieder nach Montauban gebracht.

Den ganzen Krieg hindurch schließt sich Huyghe also dieser „vom Direktor der französischen Nationalmuseen gebildeten konstanten Opposition gegen die Forderungen der deutschen Besatzer an. 1943 lehnt [er] trotz Abel Bonnards ausdrücklichem Befehl die Einladung von Reichsmarschall Göring ab, sich an seinen Berliner Landsitz“7 Carinhall zu begeben, und das „trotz übermächtigen Drucks“.8 Diese Einladung sollte nämlich dem Konservator die Möglichkeit bieten, unter den auf Befehl des Reichsmarschalls geplünderten Werken jenes auszusuchen, das der Louvre als Tausch gegen Bouchers Diana im Bade annehmen sollte. „Wir waren weniger als je zuvor darauf aus, von den deutschen Besatzern geplünderte Werke im Tausch zu bekommen“,9 schrieb er.

Anreicherung der Sammlungen

Bis 1943 geht die Arbeit in den Depots1 relativ ruhig vonstatten: neben Restaurierungen,2 Neubespannungen und Werkstudien führt Jacques Jaujard die vorgesehenen Inspektionsrundgänge durch. Huyghe selbst betritt regelmäßig besetztes Gebiet, um nach Paris zu kommen, wo er in der Gemäldeabteilung die laufenden Geschäfte erledigt. Einer nicht datierten Arbeitsnotiz entsprechend „ist die Anwesenheit des Letzteren […] wegen ausstehender Entscheidungen zum Erwerb hochwertiger Gemälde dringend erforderlich“.3 Während des Krieges arbeitet die Gemäldeabteilung nämlich weiter an ihrer Mission, die Sammlungen im Hinblick auf die Wiedereröffnung des Museums anzureichern. Die Ankäufe erfolgen auf dem französischen Kunstmarkt, der dank zahlreicher Kunstwerke, die zum Teil durch Enteignung oder Verkaufszwang dorthin gelangt waren, stark floriert.

Auf diese Weise erwirbt René Huyghe bei der Dorville-Auktion Werke für den Louvre. Der französische Rechtsanwalt jüdischer Herkunft Armand Dorville stirbt im Juli 1941 in seinem Haus in der unbesetzten Zone Frankreichs, die von der Regierung in Vichy abhängig ist. Seine Sammlung und seine Möbel werden im Einverständnis mit den Erben vom Testamentvollstrecker versteigert. Am 24. Juni 1942, dem ersten Tag für den in Nizza stattfindenden Verkauf der Kunstwerke wird vom Commissariat général aux questions juives [Generalkommissariat für Judenfragen] ein vorläufiger Verwalter ernannt. Die Auktion ist erfolgreich (8,1 Millionen F). Dabei kaufen die französischen Nationalmuseen zwölf Werke zum Preis von 270.000 F; bei dieser Gelegenheit trifft René Huyghe den vorläufigen Verwalter. Sechs Monate später, im Dezember 1942, beantragt schließlich der vorläufige Verwalter, der die bei dem Verkauf erzielte Geldsumme einbehalten und den Erben vorenthalten hatte, die Familie von den Zwangsverwaltungsmaßnahmen auszuschließen. Das Generalkommissariat für Judenfragen gibt dem Antrag im Juli 1943 statt, vorausgesetzt, der Verkaufsertrag wird mit staatlichen Schuldtiteln bezahlt; auf diesem Weg wird dann der Betrag an den Notar der Familie überwiesen. Die ErbInnen leben jedoch an verschiedenen Orten in Südfrankreich und können daher den Erlös nicht wie vorgesehen entgegennehmen. Im März 1944 werden fünf Familienmitglieder – eine Schwester und zwei Nichten, Erben von Armand Dorville, und die beiden Töchter seiner Nichten – verhaftet, deportiert und in Auschwitz ermordet. Nach dem Krieg erhalten die überlebenden ErbInnen den Verkaufserlös, der 1947 in die Nachlassverwaltung von Armand Dorville miteinbezogen wird.4

Die Plünderung der Sammlung Adolphe Schloss im Jahre 1943 ist ein Paradebeispiel für parallel am Kunstmarkt stattfindende Manöver, an denen die französischen Nationalmuseen auch mit beteiligt sind.5 Die bei der Veräußerung der Sammlung von den Nationalmuseen festgelegten Bedingungen zur „préemption“ [Vorkaufsrecht]6 werden im Fachgremium der Nationalmuseen erläutert:

„Nach drei Jahren wussten die französischen Nationalmuseen immer noch nicht, wo sich die Sammlung befand, deren Eigentümerin vor ihrem Tod ihren, den französischen Nationalmuseen gegenüber oft geäußerten und wohlwollenden Wünschen nicht mehr hatte nachkommen können.7 Vor ein paar Monaten erfuhr die Direktion […] dass das Kommissariat für Judenfragen dabei war, die Sammlung zu beschlagnahmen. Die französischen Nationalmuseen schalteten sich sofort ein, um in den Genuss des Vorkaufsrechts bezüglich der von den Konservatoren der Gemäldeabteilung ausgewählten 48 Gemälde zu kommen. Die Herren Huyghe und Bazin haben ihr Bestes getan, in der Sammlung Schloss entweder Werke von sehr bedeutenden Künstlern oder Werke von weniger berühmten Meistern, aber alle mit Signatur, auszuwählen, die in großem Umfang und bei einer recht günstigen Gelegenheit die in den Niederländer-Sälen des Louvre bestehenden Lücken schließen könnten. […] Die per Vorkaufsrecht gesicherten 48 Gemälde haben einen Wert von insgesamt 18.875.000 F, die das Finanzministerium den französischen Nationalmuseen zur Verfügung stellen könnte, um die „staatlichen Rettungsvereine“ abzuschmettern, zugunsten derer die Sammlung von Frau Schloss aufgrund ihrer israelitischen Herkunft verkauft [sic] werden sollte. Für die Abwicklung dieser Angelegenheit, die dem Louvre eine außergewöhnliche Anreicherung beschert, drücken die versammelten Personen im Namen ihres Präsidenten Herrn Bazin ihr größtes Lob aus, mit der Bitte, dies auch René Huyghe für seinen Beitrag zu übermitteln.“8

Die Transaktion wurde insbesondere dank der Vermittlung des vorläufigen Verwalters der Sammlung, Jean-François Lefranc, ermöglicht, der nach dem Krieg vom Cour de justice de la Seine [Gerichtshof des Departement Seine] für „geheime Verbindungen zum Feind“ verurteilt wurde. Im Mai 1944 spricht René Huyghe ihm seinen Dank aus:

„Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Einsatzbereitschaft, die Sie in der Angelegenheit Schloss zugunsten des Louvre-Museums gezeigt haben. Seien Sie sicher, dass ich mir sehr wohl über die Schwierigkeiten im Klaren bin, mit denen Sie im Laufe der Verhandlungen konfrontiert waren, die Sie durchweg in unserem Interesse geführt  haben und welch maßgeblicher Anteil Ihnen daran zukommt, dass nun Meisterwerke in den Louvre Einzug halten, die den Wert unserer niederländischen Abteilung in der Gemäldegalerie beträchtlich erhöhen.9

Diese Aussagen werfen Licht auf die Art, wie damals die Transaktionen im Zusammenhang mit der geplünderten Sammlung gesehen wurden, das heißt, als reguläre Ankäufe ohne Rücksicht auf die Enteignung der jüdischen Eigentümer. Huyghe veröffentlicht übrigens zu Lebzeiten die Liste der unter seiner Verantwortung, also innerhalb des Zeitraums von 1937 bis 1950 vom Louvre getätigten Erwerbungen von Gemälden und Zeichnungen.10 Das von den Museen vorgebrachte „Rettungsprinzip“ der Werke muss mit der Art und Weise in Zusammenhang gebracht werden, in der der Ankauf dem Fachgremium im Jahre 1943 präsentiert wird: Es geht in erster Linie darum, „in großem Umfang und bei recht günstiger Gelegenheit die Mängel der öffentlichen Sammlungen zu beheben“. Daher kann mit gutem Grund davon ausgegangen werden, dass die Werke der Sammlung Schloss nach dem Krieg zwar der Familie zurückgegeben wurden, ihr Erwerb jedoch nicht in erster Linie zum Zwecke des Erhalts und der Rückgabe erfolgt war, sondern sehr wohl eine Gelegenheit war, die Mängel mit Gemälden zu beheben, die nur noch einzig und allein für die Wände des Louvre bestimmt waren. Auch die dankenden Worte, die Huyghe im Jahre 1944 schrieb, als sich das Kriegsende immer deutlicher zugunsten der Alliierten abzeichnete, bringen zum Ausdruck, in welchem Maße der Konservator die Transaktion als ungeteilten, unwiderruflichen Erfolg betrachtete.

Einsatz in der Résistance

Als die deutschen Besatzer 1942 nach Südfrankreich vordringen, tritt Huyghe der Nationalen Front bei1 und organisiert im darauffolgenden Jahr zusammen mit seinem Freund Roger Guth eine Widerstandsgruppe.2 Gemeinsam helfen sie Menschen aus Elsaß-Lothringen3 – entkommene oder zum Tode verurteilte Gefangene – sich unter den Museumsangestellten zu verstecken, indem sie sie als Aufseher in dem im Schloss Montal eingerichteten Depot verkleiden.4 Dieses Widerstandsnetzwerk handelt im Einvernehmen mit dem Amtsvorsteher der Präfektur in Cahors, Gérard André5, der mit Huyghe befreundet ist. Der Konservator kann auch mit der Unterstützung seines langjährigen Freundes Jean Lurçat (1892-1966) rechnen: auch der Künstler beteiligt sich aktiv am Widerstand, der in der mittelalterlichen Burg Saint-Laurent-les-Tours organisiert wird.6 Diese dient nämlich als Sendestation für den Piratensender Radio Quercy. Mit der von Huyghe und einigen seiner Kollegen innerhalb der Résistance durchgeführten Aktion können die Informationen somit die Alliierten erreichen. Der Konservator berichtet im Übrigen:

„im Laufe unserer Auseinandersetzungen wegen Görings Ansprüchen […] teilte uns Oberst [Hermann] Bunjes, der zu dessen Führungsstab gehörte, ganz naiv mit: ‚Es ist komisch, dass jedesmal, wenn der Reichsmarschall Göring nach Frankreich kommt, die englische Luftfahrt innerhalb von zehn Minuten auf dem Laufenden ist!‘ Das beweist, dass der Widerstand funktionierte und die Radiokommunikation ebenfalls.“7

Am 6. Juni 1944 schließt sich Huyghe der Résistance, den Forces françaises de l’intérieur [FFI, Französische Streitkräfte im Inneren] unter Obert Veny an8 (FFI des Departement Lot-et-Garonne) und kommt im August 1944 dann zu den Francs-Tireurs et Partisans [FTP, Freischärler und Partisanen]. Es handelt sich vor allem um einen Widerstand auf logistischer Ebene: Der Konservator legt einen großen Benzinvorrat an, den er Venys Gruppe zur Verfügung stellt. Er kommt am 14. Juli 1944 zum Einsatz, als US-amerikanische Fallschirmjäger Kriegsmaterial auf dem Kalkplateau in der Nähe von Carennac abwerfen. Beim Rückzug der deutschen Truppen ermöglicht er außerdem die Unterbringung eines britischen Verbindungsoffiziers. Im Weiteren rekrutiert Huyghe etwa fünfzig Männer bei seinem Dienstpersonal, die sich den FTP anschließen. Es ist erwähnenswert, dass die Sicherheit der Kunstwerke bei diesen Widerstandsaktionen auf dem Spiel steht, die den Anweisungen Jaujards widersprechen, der, um die Sammlungen nicht in Gefahr zu bringen, jedweden Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Untergrund und Depots zu vermeiden sucht.9 Huyghe kommt trotz allem seinen Funktionen in Montal bis ans Ende der Besatzungszeit nach und verlässt seinen Posten erst im Juni 1944, um sich den FFI anzuschließen.

Im Jahre 1945 beteiligt er sich an der Ausstellung „Chefs-d’œuvre de la peinture au Musée du Louvre – Nouvelles acquisitions des Musées nationaux“ [Meisterwerke der Gemälde im Louvre – Neuerwerbungen der französischen Nationalmuseen]. In den Räumen des Denon-Flügels werden jene Werke präsentiert, die zwischen dem 2. September 1939 und dem 8. Mai 1945 in den Sammlungsbestand aufgenommen wurden. Die Zurschaustellung dieser Erwerbungen betont die Genugtuung der Museen und ihrer Konservatoren, sogar in Kriegszeiten die Sammlungen weiter bereichert zu haben. In den Köpfen spielt die Provenienz zu diesem Zeitpunkt keine große Rolle und die ethischen Fragen, die sie im Hinblick auf die wenigen Werke aufwirft, die entweder enteignet wurden oder deren Herkunft unbestimmt ist, stoßen auf keinerlei Widerstand.

Im September 1946 wird Huyghe, zur gleichen Zeit wie Rose Valland, Henraux und Jaujard, für die Verdienste während des Krieges mit dem Orden der Ehrenlegion ausgezeichnet. Aus diesem Anlass schreibt ihm seine Kollegin und Freundin Jacqueline Bouchot-Saupique (1893-1975): „Mit ‚Kapitän Valland‘ zusammen bilden Sie offensichtlich angesichts des Krieges ein sehr preziöses Quartett für die Museen.“10 Huyghes Einsatz wird gleichermaßen betont, als es um die Frage nach dem Verdienst der Médaille de la Résistance geht, die er jedoch nicht verliehen bekommt:

„[…] als eingefleischter Gegner der Deutschen hat [er] sich […] von Anfang an dem von Herrn Jacques Jaujard geführten Kampf  […] gegen die Enteignungsversuche der deutschen Besatzer angeschlossen. Seine Berichterstattungen bildeten vom technischen Standpunkt her die Grundlage, die es möglich machte, sich dagegen aufzulehnen und jedwede Versuche zu vereiteln.“11

Indessen soll angesichts René Huyghes deutschenfeindlicher Einstellung und Widerstandsaktionen nicht vergessen werden, dass die Résistance genau wie die übrige französische Bevölkerung antisemitischen Strömungen ausgesetzt war.12 Außerdem bezeugen die Briefe, die der Konservator im Privaten von Bazin erhält, wie antisemitisch Letzterer eingestellt war.13

Die Fortsetzung der Arbeit nach dem Krieg

Huyghe scheint sich in den Jahren nach der Befreiung nicht oder nur in geringem Maße für die Aktionen zur Wiedererlangung von Kunstbesitz einzusetzen. Seine Ernennung1 zum Mitglied der Commission de récupération artistique [CRA, Kommission für die Wiedererlangung von Kunstbesitz; 1944-1949] scheint eher ein Zeichen seiner gleichrangigen Kollegen dafür zu sein, wie sehr sie ihn achten, da sie wissen, wie wenig Zeit ihm als Konservator zur Verfügung steht. Seine Stellungnahmen in Bezug auf Werke, die Frankreich als Ersatz für künstlerische Verluste zurückgegeben werden sollten, kommen dagegen manchmal in seinen Briefen zum Ausdruck:

L’Enseigne de Gersaint [Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint] wird vielleicht nicht in den Louvre kommen, da wir keine Verfechter von Anschluss sind, der eher dem germanischen Eroberungswillen zuzuschreiben ist als dem unsrigen.2 Die uns geraubten Kunstwerke müssen zurückerstattet werden, obgleich es sich hier nur um Privatsammlungen handelt, da die öffentlichen Sammlungen unangetastet geblieben sind; ich glaube aber nicht, dass wir uns von Deutschland auf legalem Weg erworbene Kunstwerke aneignen sollten.“3

Die Bemerkung erinnert uns daran, dass kurz nach dem Krieg die Tendenz, sich zu entschädigen und dabei im Sinne des Ersatzanspruchs (über die Rückgaben hinaus) auf die Sammlungen der besiegten Länder zurückzugreifen, bei der breiten Öffentlichkeit nicht unbedingt auf Widerspruch stößt, obwohl die französischen Nationalmuseen im Allgemeinen dagegen sind. Huyghe betont vor allem, wie wichtig der Wiedererhalt der verschwundenen Werke ist, obwohl sie nicht aus öffentlichen Sammlungen stammen. Diese werden nämlich weniger deswegen zurückgefordert, weil sie enteignet, sondern weil sie auf dem französischen Kunstmarkt unter den in der Besatzungszeit herrschenden ungerechten Bedingungen erworben worden waren.4 Der Wiedererhalt von Kunstbesitz erfolgt also vor allem aufgrund von wirtschaftlichen und kulturellen Erfordernissen. Die diesbezügliche Gesetzgebung hat zuerst übrigens nur die Tätigkeiten des alleinigen Zeitraums zwischen 1940 und 1945 im Auge, wie es die Deklaration der verbündeten Staaten in London am 5. Januar 1943 vorsieht,5 welche die in der Besatzungszeit durchgeführten Handelsgeschäfte, Enteignungen, Plünderungen und sonstige Raubaktionen für null und nichtig erklärt. Die Vorkommnisse zwischen 1933 und 1940 wurden erst nach und nach in Betracht gezogen.6

In Wirklichkeit findet Huyghe Anderes weitaus dringender: Die Depots, in denen die Werke des Louvre nach wie vor eingelagert sind, müssen unbedingt weiter instandgehalten werden, da eine Rückführung in ein seit mehreren Jahren ungeheiztes Museum ausgeschlossen ist. Die für eine Rückkehr notwendige Logistik geht Hand in Hand mit Überlegungen in Bezug auf die Präsentation. Die Archiveinträge jener Zeit bezeugen, dass Huyghe weiterhin, wie schon vor dem Krieg, Reisen, wie etwa jene nach England im Jahre 1946, unternahm. Nun ist es nämlich an der Zeit, sich um die neue museografische Organisation der Ausstellungsräume zu kümmern. Huyghe setzt die 1938 in seiner Abteilung begonnenen Arbeiten fort, insbesondere in der Grande Galerie, im Salon carré und in den Salles rouges.7 Erneut hält er unermüdlich Vorträge in ganz Europa und fährt schon im Winter 1945 in mehrere Schweizer Städte, um dort die französische Kunst bekannt zu machen. Anschließend reist er nach Luxemburg und Monaco.

Gleichzeitig bemüht sich Huyghe, das Erscheinen von Kunstschriften wieder anzukurbeln, insbesondere L’Amour de l’Art. Obwohl sie in den ersten Jahren nach der Wiederaufnahme Verluste einbringt, kann sie mit David-Weills beständiger finanzieller Unterstützung rechnen.8 Auch die erstmalige Ausgabe der Literaturzeitschrift Quadrige (1945-1948) unter der Leitung von Huyghe zählt zu seinen damaligen Vorhaben. Zum Vorstand zählen der langjährige Freund Bazin sowie Nicolas H. de Larie (1904-1963), der die künstlerische Direktion innehat.9

In Wirklichkeit handelt es sich um ein Pseudonym von Nicolas Matzneff, der in der Besatzungszeit vor allem mit Hildebrand Gurlitt (1895-1956) und Theo Hermsen (1905-1944) Handelsgeschäfte mit verschiedenen Kunstwerken betrieb. Als er Geschäftspartner der Zeitschrift ist, war Matzneff bereits mehrere Male wegen Vertrauensmissbrauch, Betrug und illegalem Verkauf von Kunstwerken verurteilt worden.10 Auch wenn Huyghe sein richtiger Name wahrscheinlich nicht unbekannt ist, so ist aus den Archiveinträgen nicht zu ersehen, ob der Konservator über die Vorstrafen seines stellvertretenden Direktors Bescheid wusste. Das Ehepaar Matzneff ist jedoch stark an die Existenz der Zeitschrift gebunden: Im April 1945 führt die Satzung der neuen GmbH Quadrige unter den Gesellschaftern „Madame Simone BAILLOT, ohne Beruf, laut Ehevertrag unter dem Regime der Gütertrennung Gattin von Monsieur Nicolas Hippolyte de LARIE MATZNEFF, Unternehmer, mit dem sie an der Adresse 24 Avenue de Lamballe, Paris lebt“ an.11 Als Geschäftspartner trägt Nicolas Matzneff zum Kapital des Unternehmens mit einer Stammeinlage von 25.000 F bei.12 Auch im Januar 1947 wird in einem die Firma Quadrige betreffenden Abkommen „Madame Delarie Matzeneff [sic], wohnhaft in Paris, 11 Rue de l’Université“13 unter den Geschäftsführenden genannt. Der Name war jedoch vor der Unterzeichnung der jeweiligen Parteien gestrichen worden.14 Nicolas Matzneff gehört zudem seit spätestens 1945 zum Vorstand der Zeitschrift L’Amour de l’Art. Das Privatarchiv des Konservators enthält keine weiteren Matzneff betreffenden Einträge; unter welchen Umständen sich die beiden Männer kennengelernt haben, ist uns bis dato unbekannt.

Ein Akademiemitglied von internationalem Ansehen

Seine ganze Karriere hindurch hat Huyghe in den Museumseinrichtungen in Frankreich und anderen Ländern immer mehrere Funktionen zugleich inne. Im Sommer 1947 ist er zum Beispiel Mitglied des Comité de patronage français [~ französisches Patronatskomitee] des Bezalel Nationalmuseums in Jerusalem, Seite an Seite mit Léon Blum (1872-1950), Jean Cassou, André Chamson, Georges Huisman (1889-1957), David David-Weill und auch Georges Wildenstein.1 Diese von Frankreich ausgehende Initiative hat den Zweck, eine ständige Sammlung für das neue Jerusalemer Museum anzulegen. Er ist zudem nacheinander Mitglied der Commission des monuments historiques [~ Kommission der Kulturdenkmäler], der Société de l’histoire de l’art français [~ Gesellschaft für Kunstgeschichte in Frankreich], Vizepräsident des Syndicat de la presse artistique française [~ Verband der künstlerischen Presse in Frankreich], Doctor honoris causa der Universität Santiago de Chile (1939), Mitglied der Commission des musées de province [Kommission der französischen Regionalmuseen] (1942), Ehrenmitglied der schwedischen Kunstakademie Kungliga Akademien (1949) sowie Mitglied (1951) und dann Vizepräsident des künstlerischen Gremiums des Museumsverbands Réunion des musées nationaux (1964). Im Jahre 1980 wird Huyghe schließlich Vizepräsident der im Einvernehmen mit der UNESCO gegründeten European Academy of Science, Arts and Humanities.

Seine Tätigkeiten in Frankreich und anderen Ländern bringen ihm die Hochachtung überaus namhafter Persönlichkeiten aus der Welt der Museen, der Kunst und der Literatur ein, darunter Francis H. Taylor2 (1903-1957), Paul Valéry3 (1871-1945), Roger Fry4 (1866-1934), Waldemar-George5 (1893-1970), Colette6 (1873-1954), François Mauriac7 (1885-1970), Henri Matisse8 (1869-1954), Pablo Picasso9 (1881-1973), Pierre Bonnard10 (1867-1947), Auguste Perret11 (1874-1954), Louis Jouvet12 (1887-1951), Elsa Triolet13 (1896-1970), Marthe de Fels14 (1893-1988), Jean Bruller15 (1902-1991) und Louise de Vilmorin16 (1902-1969). Dank dieser Beziehungen kann er sich vor allem mit den Sammlern, den potentiellen Spendern der französischen Nationalmuseen, direkt in Verbindung setzen. Huyghe zeigt in diesem Zusammenhang, dass er ganz besonderen Wert auf die belgischen Museen legt, womit seine Vorliebe für das väterliche Flandern zum Ausdruck kommt.17

Seit den 1950er Jahren genießt er durch seine zahlreichen Publikationen einen Ruf von Welt; Dialogue avec le visible (1955) und Psychologie de l’art (1951-1976) zählen zu seinen größten Werken. Dank ihrer lernt er die bedeutenden Politiker seiner Zeit kennen wie etwa den General de Gaulle18, die Familie Kennedy, Valéry Giscard d’Estaing sowie Prinz Rainier III und Grace Kelly19. Da Huyghe ein hervorragender Theoretiker ist, wird er im Jahre 1950 zum Professor am Collège de France ernannt, wo er bis 1976 den Lehrstuhl Psychologie des arts plastiques [Psychologie der Bildenden Kunst] innehat. Diese neue Tätigkeit erlaubt es ihm jedoch nicht länger, seiner Arbeit im Louvre nachzukommen, weshalb er im Kulturministerium eine Änderung seiner dienstlichen Aufgaben beantragt.20 Damit wird Huyghe zum 1. Januar 1951, nach dreiundzwanzigjähriger Arbeit in der Gemäldeabteilung, ehrenamtlicher Chefkonservator des Louvre. Er bleibt als ein Konservator in Erinnerung, der die Sammlungen außerordentlich bereichert21 und durch vielbeachtete Ausstellungen beträchtlich aufgewertet hat.

Am 2. Juni 1960 wird Huyghe als Nachfolger von Robert Kemp (1879-1959) in die Académie française gewählt. Bei den Feierlichkeiten sind die angesehensten Persönlichkeiten aus dem Bereich der Kunst und des Mäzenatentums versammelt: Anwesend sind André Malraux, Jacques Chaban-Delmas, Marcel Aubert, Jacques Jaujard, Jean Cassou, Marc Chagall22 und Georges Salles neben bestimmten Kollegen aus dem Louvre, Michel Florisoone, Jacqueline Bouchot-Saupique, Pierre Pradel sowie Adeline Hulftegger.23 Unter den Komiteemitgliedern, die ihm das Akademikerschwert überreichen, befindet sich auch Jacques Dupont, der Generalinspektor der Monuments historiques und ehemaliger Kunstexperte bei der Commission de récupération artistique. Innerhalb der Académie française schließt Huyghe Freundschaft mit so angesehenen Persönlichkeiten wie Maurice Genevoix (1890-1980) oder General Weygand24 (1867-1965). Als Akademiker hat er Gelegenheit, den damaligen Präsidenten der französischen Republik Georges Pompidou25 (1911-1974) kennenzulernen.

Die im Laufe seiner Karriere erhaltenen Auszeichnungen bezeugen Huyghes vielseitige Tätigkeiten sowohl in Frankreich als auch weltweit: 1935 erhält er in Dänemark den Dannebrogorden; 1944 wird er mit dem Ritterorden Isabellas der Katholischen ausgezeichnet. Zwei Jahre später erhält er die Medaille der Légion d’honneur und 1954 wird er zum Offizier der französischen Ehrenlegion ernannt. Schließlich bekommt er in Belgien den Leopoldsorden (Kommandeur). 1966 wird ihm auch das Großkreuz des Ordre national du Mérite [Nationaler Verdienstorden Frankreichs] sowie der hochangesehene Erasmuspreis der europäischen Kulturstiftung verliehen.

Sein ganzes Leben lang sammelte Huyghe Objekte, Zeichnungen und Grafiken, die er auf Flohmärkten oder bei Auktionen erwarb26, insbesondere in der Galerie Paul Prouté oder im Hôtel Drouot.27 Jacques Thuillier legt Zeugnis davon ab, wie regelmäßig er bei solchen Terminen im Pariser Stadtviertel Saint-Germain-des-Prés erschien: 

„[ich traf] René Huyghe regelmäßig – am ersten und dritten Donnerstag jeden Monats –, nicht im Louvre oder am Collège de France, sondern bei Paul Prouté [1887-1981], dem berühmten Kunsthändler für Druckgrafik und Zeichnungen in der Rue de Seine. Dieses heute nicht mehr existierende Ritual der ‚Neuigkeiten‘ bestand darin, dass an diesen Tagen, gleich bei Geschäftsöffnung die neuesten Erwerbungen in einem Dutzend Kartons präsentiert wurden – das heißt ungefähr 700 bis 1.000 Werke aus allen möglichen Zeitepochen und Ländern. Da René Huyghe in der Nähe der Rue de Seine wohnte, kam er immer vor mir an, der ich damals in der Fondation Thiers wohnte und nur geringe Einkünfte hatte. An diesen Vormittagen waren wir aber so ungefähr die einzigen Stammkunden, die nicht Händler oder Zwischenhändler waren, und mit Paul Prouté über die Zuschreibung des einen oder anderen Werks diskutierten.“28

Huyghes Privatsammlung wird im Laufe mehrerer Auktionen in den 1990er Jahren von der Kanzlei Tajan verkauft. Am Ende seiner Karriere, in der Zeit von 1974 bis 1993, ist Huyghe Direktor des Museums Jacquemart-André. Er starb am 5. Februar 1997 in Paris im Alter von 90 Jahren.

Trotz seiner Zeugenschaft des Machtmissbrauchs seitens der Nationalsozialisten erwähnte Huyghe die Frage der Enteignungen nur selten. Obwohl er aufgrund seines Ansehens und seiner internationalen Beziehungen die Interessenslagen und Vorgehensweisen im Kunstbereich bestens kannte, äußerte sich der ehemalige Konservator nie explizit zu diesem Thema.29

Im Jahre 1964 holt ihn allerdings diese Vergangenheit ein, als in Hollywood der Film Der Zug gedreht wird, der auf einer in Rose Vallands Memoiren geschilderten Begebenheit beruht.30 Huyghe nimmt zwar nicht öffentlich Stellung zum Film, hat in seinem Privatarchiv jedoch ein Dokument von Dr. Bernhard von Tieschowitz (1902-1968) aufbewahrt, der in der Besatzungszeit Mitglied des Kunstschutzes war und später Kulturberater an der deutschen Botschaft in Paris wurde. Der deutsche Kunsthistoriker bestreitet darin über mehrere Seiten hinweg die „historische Wahrheit“31 des Films und beklagt sich über die romanhafte Übertreibung. „Die Gräuel (Ausschreitungen bei den Verhören, Hinrichtungen von Geiseln) […] verfälschen die Geschichte,“32 schreibt er. Von Tieschowitz macht weitere Erläuterungen, die vor allem deswegen interessant sind, da sie zu jener Zeit nur selten klar ausgesprochen werden: „mit keinem Wort wird im Film gesagt, dass die Razzia des ERR nur auf Kosten der privaten Kunstsammlungen erfolgt ist, die ausgewanderten Franzosen gehörten.“33 Eventuelle Anmerkungen von Huyghe zu diesem Dokument sind nicht erhalten.

Als das Französische Staatsarchiv vor kurzem die Privatkorrespondenz des Konservators erwarb, wurde des Weiteren offensichtlich, wie eng befreundet Huyghe und Bazin waren, wobei Letzterer seine antisemitische Haltung ungeschminkt zum Ausdruck brachte.34 Diese erstmalig einsehbaren Quellen machen es also notwendig, René Huyghes Unternehmungen, insbesondere was die Anreicherung der öffentlichen Sammlungen betrifft, vom Blickwinkel dieser neuen Informationen aus erneut unter die Lupe zu nehmen.