MATZNEFF Nicolas (sog. Comte de Larie) (DE)
Der aus Russland stammende Nicolas Matzneff war am Verkauf der Tapisserien an Hildebrand Gurlitt beteiligt, nachdem er sie zuerst dem État français angeboten hatte. Er wurde der Kollaboration verdächtigt.
Der Ankauf der Tapisserien
Nicolas Matzneff – auch de Larie genannt, ein Name, der allerdings nicht auf seinen standesamtlichen Urkunden steht – wurde am 1. September 1904 in Sankt Petersburg geboren. Der gebürtige Russe kam 1927 nach Frankreich. Dort belegte er in den Jahren 1928 und 1929 Vorlesungen an der geisteswissenschaftlichen Fakultät. Im Juli 1938 ließ er sich von seiner ersten Frau, Eugénie Polak, scheiden, mit der er zwei Kinder hatte: André Gabriel, der am 31. August 1934 geboren wurde und Gabriel Michel Matzneff, der am 12. August 1936 zur Welt kam und später Schriftsteller wurde.1 Eugénie Polak wurde im Lager von Drancy interniert und dann Anfang Juli 1944 nach Deutschland deportiert.2 Ein Jahr später heiratete er Simone Baillot, mit der er dann zwei weitere Kinder hatte: Nicolas, geboren am 20. Januar 1941 und Alexandra, geboren am 30. Januar 1943.3 Seit der Deportation seiner ehemaligen Frau zog Matzneff seine Kinder selbst auf.
Da er vielseitigen Tätigkeiten nachging, ist es schwierig, ihn in eine bestimmte Berufssparte einzuordnen. Von 1930 bis 1932 leitete er den Orion-Verlag, danach, von 1932 bis 1936, verwaltete er die Firma Véga, und im Jahre 1938 war er stellvertretender Leiter der Agentur „ Forêts, champs et vignes“ [Wald, Feld und Wein].4 1935 wurde er wegen Vertrauensmissbrauch verklagt und zwischen 1936 und 1941 erhielt er mehrere Geldstrafen für die Ausstellung ungedeckter Schecks und Betrug.5 Von 1941 bis 1942 arbeitete er inoffiziell in der Verwaltungsdirektion des Konfitürenherstellers Verdy, beendete dann jedoch dieses Arbeitsverhältnis, um zur Firma Lorraine-Dietrich zu wechseln, bei der er den Auftrag hatte, Schwerausrüstung für die Besatzungsbehörden zu besorgen.6
Als er auf dem Kunstmarkt tätig war, wurde Matzneff für den Verkauf von vier Tapisserien aus einem Wandteppich-Zyklus 1944 an Hildebrand Gurlitt verurteilt: Schon vor der Besatzung interessierte er sich für die Wandteppiche, um die es in diesem Fall geht. Matzneff traf diesbezüglich Guillaume Janneau, den Verwalter des Mobilier national [Sammlungen des französischen Staatsmöbellagers], bereits Ende des Jahres 1942.7 Einem Bericht vom 18. Oktober 1944 zufolge erfuhr er Anfang des Jahres 1944, dass die Tapisserien aus dem Erbe von „Mme Morgon Ferry“ soeben nach Paris gebracht worden waren. Dieser vierteilige Tapisserie-Zyklus, „Première Tenture chinoise“ [~ Chinas erster Wandteppich] nach dem Entwurf von Vernansal, umfasste L’Audience du Prince, Le Prince en voyage, La Collation sowie Le Prince en bateau [~ Audienz des Prinzen, Reise des Prinzen, Mahl des Prinzen, Der Prinz auf dem Schiff].8 Der letztgenannte Karton war damals noch nicht identifiziert. Matzneff erklärte, er habe die Absicht gehabt, die Tapisserien von den Nationalmuseen in Frankreich ankaufen zu lassen, die Eigentümer hätten aber das Geschäft so schnell wie möglich abschließen wollen.9 Aus diesem Grund habe er sich gezwungen gesehen, die Objekte selbst zu erwerben.
Jean Cossart, der Testamentsvollstrecker von Frau General Morgon Ferry, gab an, dass ihn der für die Erbfolge zuständige Sekretär Albert Derynck im März 1944 darüber informierte, dass ihn Matzneff (unter dem Namen de Larie) kontaktiert hatte und am Erwerb der vier Tapisserien interessiert war. Jean Cossart, der die Tapisserien auf einen Wert von 8 Millionen F hatte schätzen lassen, einigte sich mit Matzneff auf diesen Preis.10 Bis zur vollständigen Zahlung wurden die Tapisserien beim Kunsthändler Doucet zwischengelagert:11 Matzneff beantragte bei der Banque de l’Union parisienne einen Vorschuss und die Tapisserien wurden anschließend, bis zum Weiterverkauf, durch den die vorgestreckten Kosten beglichen werden sollten, als Garantie in diese Bank gebracht.12
Das Angebot an den État français
Nach dem Erwerb dieser Tapisserien trat Matzneff bereits Mitte April 1944 erneut mit Guillaume Janneau in Verbindung mit dem Vorschlag, die Tapisserien dem Staat zu verkaufen.1 Hierfür bediente er sich eines Strohmanns, Hubert Multzer O’Naghten2, den er mit dessen Einverständnis als den Eigentümer der Tapisserien ausgab, und über dessen Vermittlung brachte er eine ganz neue Version von der Provenienz dieser Werke in Umlauf.3 Janneau legte dem Generalsekretär der Kunstbehörde einen detaillierten Bericht über ihren Austausch vor: Da er davon überzeugt war, dass die Tapisserien als kulturelles Erbe von größtem Interesse seien, wegen des hohen Preises jedoch zögerte, forderte er in einem ersten Schritt den Ankauf, in einem zweiten Schritt zumindest die Verweigerung der Ausfuhrgenehmigung, damit die Werke auf französischen Boden blieben.
Es bestehen jedoch Zweifel hinsichtlich des mit der Kunstbehörde verhandelten Preises: In seiner Korrespondenz mit dem Generalsekretär der Kunstbehörde sprach Janneau in einem Schreiben vom 11. Mai 1944 von einer Ziffer „in der Größenordnung von 25 Millionen“, in einem weiteren Schreiben vom 13. Mai von der Tatsache, dass diese „nicht weit über 10 oder 12 Millionen hinausgehen sollte“, während dann am 17. Mai wieder die Rede von 25 bis 30 Millionen war. In einem an den Generalsekretär der Kunstbehörde adressierten Brief vom 16. Juni 1944 thematisierte Janneau die seltsame Situation, wobei er die ursprüngliche Provenienz der Tapisserien darlegte.
Im Übrigen erfuhr er, dass die Besatzungsbehörden 31 Millionen für den Ankauf dieser Werke boten, doch er weigerte sich, dem vermeintlichen Druck nachzugeben, da „die Ausschreibung für den Export der Tapisserien von Ihnen sowie dem Ministre de la Production Industrielle [Minister für Industrieproduktion] unterzeichnet werden muss, auf Grundlage des Berichts, um den Sie mich erfreulicherweise gebeten haben, und der, mit Verlaub, sich eindeutig dagegen aussprechen wird“.4 Es ist allerdings möglich, dass Matzneff zu diesem Zeitpunkt seine Entscheidung hinsichtlich des Ankäufers längst getroffen hatte: bereits am 17. Juni 1944 war im Namen von Theo Hermsen Jr. eine Ausfuhrgenehmigung für die Tapisserien nach Deutschland beantragt worden.5
Der Export der Tapisserien
Guillaume Janneau, der im Übrigen Anfang Juli 1944 einen Antrag auf Exportgenehmigung für die Tapisserien erhalten hatte, willigte zum Verkauf des stark restaurierten und daher weniger interessanten Prince en voyage ein, verweigerte jedoch den Export der drei anderen Stücke, die in seinen Augen von wirklich historischem Interesse waren. Nachdem Hermsen am 7. Juli bei Janneau vorstellig geworden war, zog Letzterer den Schluss, dass seiner Ablehnung, die drei Tapisserien an die Deutschen zu verkaufen, Folge geleistet und damit die Transaktion storniert worden war. Es ist zudem interessant festzustellen, dass sich Guillaume Janneau in einem Brief in den Akten des Komitees für die Beschlagnahmung unlauterer Gewinne vom 22. Juni 1954 zugunsten von Matzneff äußerte: „Es ist verständlich, dass sich Monsieur de Larie angesichts der durch die Trägheit des Ministers verursachten Manöver ‚entwaffnet‘ gefühlt hatte.“1
In derselben Zeit, als Matzneff mit dem Mobilier national in Kontakt war, machte er die Tapisserien auch mithilfe anderer Vermittler bekannt. Da er die Wandteppiche verkaufen wollte, habe ihm Rocherand, den er seit 1938 kannte, weil er mit ihm schon im Rahmen seiner Arbeit für die Firma Lorraine-Dietrich zu tun gehabt hatte,2 Anfang des Jahres 1944 Georges Maratier vorgestellt. Zweimal suchten die beiden Männer Maratier gemeinsam auf unter dem Vorwand, eine Ausstellung vorzubereiten. Matzneff überließ ihm Fotografien der vier Tapisserien als Unterlagen.3 Einige Tage nach diesem Besuch kontrollierte Hans Lange Maratiers Galerie und erkannte die Fotografien. Er verlangte die persönlichen Angaben des Eigentümers.4 Matzneff hatte nichts dagegen, da er, wie er selbst sagte, den Kauf an die Kunstbehörde als erledigt betrachtete. Auf diesem Wege sei er in Kontakt mit Lucien Adrion und Hildebrand Gurlitt gekommen, denen er dann gezwungenermaßen die Tapisserien habe verkaufen müssen.5
Das genaue Datum dieses Verkaufs ist nicht bekannt: Matzneff behauptete weiterhin, er habe am 17. Juli stattgefunden, da aber Hermsen die Ausfuhrgenehmigung am 17. Juni beantragt hatte und die an den Direktor der Dresdner Galerie, Hermann Voss, für den Erwerb dieser Werke ausgestellte Rechnung auf den 1. Juli 1944 datiert ist,6 bleibt nach wie vor die Möglichkeit bestehen, dass die Tapisserien zu einem früheren Zeitpunkt verkauft wurden. Im Übrigen erlauben die Zeugenaussagen der anwesenden Personen nicht, dieses Datum genau festzulegen.7 Ein Zweifel besteht auch in Bezug auf den genauen Verkaufsbetrag: die Rechnung für Hermann Voss belief sich auf 2.200.000 RM (umgerechnet etwa 44 Millionen F) für alle vier Wandteppiche; Blondel und Adrion waren sich ihrerseits über einen Gesamtbetrag von 33 Millionen F einig;8 Matzneff hingegen räumte nur eine Summe von 12.875.000 F ein.9 Auf dem Ausfuhrgenehmigungsantrag vom 17. Juni 1944 war der Wert der Waren indessen nur mit 8,5 Millionen F angegeben worden.10
Lucien Adrion hatte die Aufgabe, sich um die Provisionen zu kümmern und erklärte, bei dieser Gelegenheit eine bei Rudier gekaufte Skulptur zu einem Wert von 350.000 F und eine Filmkamera sowie einen Filmprojektor im Wert von 25.000 F abgeliefert zu haben und für den Transport nach Deutschland an Dr. H. Lange 50.000 F und 125.000 F an einen gewissen Etzard bezahlt zu haben. Er strich also selbst eine Provision von 225.000 F ein.11 Matzneff zahlte auch an Maratier und Rocherand jeweils eine Provision in Höhe von 250.000 F (was aufgeteilt zwischen beiden einer Provision von 5 % eines Kaufbetrags von 13 Millionen F entsprach).12
Nach dem Krieg
Matzneff wurde anscheinend bereits im Oktober 1944, als die Commission de récupération artistique [Kommission für die Wiedererlangung von Kunstbesitz] ins Leben gerufen wurde, aufgefordert, diese bei ihren Aufgaben zu unterstützen.1 Welche Rolle er in diesem Zusammenhang spielte, ist allerdings nicht belegt. Im Januar 1945 wurde er künstlerischer Leiter der von René Huyghe herausgegebenen Kunstzeitschrift Quadrige und er gehörte zum Redaktionsbeirat der Zeitschrift L’Amour de l’art.2 Zur gleichen Zeit war er im Namen der Firma Oudinot im Wein- und Cognac-Exportgeschäft für die USA tätig.
Per Beschluss vom 7. Juli 1949 verurteilte ihn das Comité de confiscation des profits illicites [Komitee für Beschlagnahmung unlauterer Gewinne] wegen des Verkaufs der Tapisserien zu einer Konfiszierung in Höhe von 36.379.055 F und zu einer Geldstrafe von 100 Millionen. F. Matzneff focht dieses Urteil an, aber jede von ihm bis ins Jahr 1955 einlegte Berufung wurde vom Obersten Rat des Komitees für Beschlagnahmung systematisch abgewiesen.
Am 9. Februar 1948 wird er, nachdem er am 19. November 1947 aus dem Gefängnis in Fresnes entlassen worden war, zudem wegen Gefährdung der Staatsicherheit angeklagt. Er wird verdächtigt, Mitglied der Gruppe „Collaboration“ gewesen zu sein, wofür jedoch kein formeller Beweis erbracht werden konnte. Bei seinem Verhör gab er zu, 1942 dem Cercle européen beigetreten zu sein, seiner Aussage nach jedoch ohne an jedweder Unternehmung teilgenommen zu haben.3
Aus den polizeilichen Ermittlungen geht hervor: „Die zur betroffenen Person eingegangenen Informationen sprechen insgesamt hinsichtlich moralischer Einstellung und Verhalten gegen sie. Da er wortgewandt und parkettsicher ist, ist er als skrupelloser Abenteurer zu betrachten, der zu allem fähig ist, sofern es ihm nur von Nutzen ist.“4 Er starb im Jahr 1963.5
Basisdaten
Personne / personne