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01/12/2022 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

Die Brüder Bacri entstammen einer bedeutende Familie von Kaufleuten, Juwelieren und Antiquitätenhändlern, die seit 1860 in Paris ansässig ist. 1940 sind die Brüder Bacri gezwungen, Paris zunächst in Richtung Côte d'Azur zu verlassen und schließlich weiter nach Nordafrika zu fliehen, während ihre Sammlungen 1942 beschlagnahmt werden.

Renommierte Antiquitätenhändler

Die Vorfahren der Brüder Bacri begründen ihren Wohlstand in Nordafrika, wo sie sich als reiche Getreidehändler und Bankiers des Dey von Algier betätigen. In den 1860er Jahren lassen sie sich in Paris nieder, wo Jacob Bacri und seine Brüder Samuel, David, Joseph, Salomon und Adolphe Kaufleute, Juweliere und Antiquitätenhändler werden. Die zwei ältesten Söhne Jacob Bacris, Martin (eigentlich Mardochée, geb. am 5. Mai 18681) und Léon Jules (geb. am 11. Juli 1873)2 kaufen das Geschäft ihres Vaters und Onkels am 22. Juli 1895.3 Ihr dritter Bruder, Vidal (oder Chalabée, geb. am 1. September 1877)4 steigt am 31. August 1904 mit in das Geschäft ein. Das Unternehmen „Martin et Jules Bacri“ wird so zu „Bacri Frères“ [Gebrüder Bacri]. Auch der vierte Bruder, Henri (Aaron, geb. am 13. Mai 1880),5 wird am 1. März 1911 Geschäftspartner. Nach der Gründung des Geschäfts mit Sitz in der Rue de Rivoli wird sich die Adresse des Hauses noch mehrmals ändern: Zunächst befindet es sich in der 1, Rue de Richelieu (wahrscheinlich ab 1877, dem Geburtsjahr Vidals), später in der 28, Rue de la Boétie, wo es ab 1905, dem Geburtsjahr von Esther Stella, einer der Töchter von Léon Jules Bacri, sicher nachweisbar ist. Die letzte Adresse lautet 141, Boulevard Haussmann, wo Léon Jules, seine Ehefrau Clotilde und ihr Sohn Jacques im Jahr 1931 verzeichnet sind und sich das Geschäft bis 1940 befindet.

Vor der Besatzung ist die Familie fest in Paris etabliert und genießt einen ausgezeichneten Ruf. Zu ihren Kunden zählten z.B. Kaiser Napoleon III. ebenso wie eine ganze Reihe von nationalen und internationalen Museen. So ist beispielsweise die Quellnymphe [Naïade, 1537] von Lucas Cranach d. Älteren, die den Bacris gehörte, heute in der Kunsthalle Bremen zu sehen, während das Porträt eines Mannes, Corneille de Lyon zugeschrieben, im Metropolitan Museum of Art in New York aufbewahrt wird. Mittelalterliche Werke, die den Brüdern Bacri gehörten, finden sich auch in den französischen Museen, wie ein Wandteppich mit Szenen aus dem Leben der Jungfrau im Musée de Cluny oder die Figur eines Trauernden [Pleurant] im Musée Rodin. Das Unternehmen Bacri beteiligt sich darüber hinaus an einem Großteil der Kunstausstellungen Alter Meister in Frankreich und dem Ausland wie auch an anderen Kunstveranstaltungen, wie der Ausstellung Bronzen und Elfenbeinwerke aus dem Königreich Benin [Exposition de bronzes et ivoires du royaume du Bénin], die vom 15. Juni bis zum 15. Juli 1932 im ethnographischen Museum am Trocadéro gezeigt wurde.6

Die Plünderungen der Sammlungen durch Angerer für Göring

Am 11. Juni 1940 verlassen die Brüder Bacri überstürzt Paris und begeben sich nach Cusset,1 einer Nachbargemeinde von Vichy im Département Allier. Die Schlüssel ihrer Geschäftsräume vertrauen sie Auguste Clocher an, dem Concierge des Hauses 140, Boulevard Haussmann.2 Das Gebäude mit fast fünfundzwanzig Räumen beherbergt Kunstwerke aller Art, vom Wandteppich aus der Haute Époque, wie Antiquitäten vom Mittelalter bis ins 17. Jahrhundert im Kunsthandel bezeichnet werden, über Holzvertäfelungen und Keramik bis hin zu Gemälden und Skulpturen. Diese Objekte stellen einerseits das Handelsgut der Bacri-Brüder dar, gehören andererseits aber auch zu ihren persönlichen Sammlungen.

Noch vor Ernennung eines Übergangsverwalters zur Leitung der Firma werden durch Josef Angerer, einem der Kunstagenten des Reichsmarschalls Hermann Göring, insgesamt viermal Werke aus dem Haus entfernt. Am 1. Juli 1940 wird Angerer hierbei von den Kommissaren Lienard, Chain und Dumez begleitet. Er nimmt Clocher die Schlüssel ab und untersagt ihm den Zutritt zu den Räumlichkeiten. Clocher wird anschließend Zeuge, wie Handelsgüter in Lastwagen abtransportiert werden. Keines dieser Objekte ist zu diesem Zeitpunkt bereits bezüglich des Handelswerts geschätzt worden. Am 8. Juli 1940 kommt Angerer erneut in das Haus der Brüder Bacri, diesmal in Begleitung des Stechers Jacques Beltrand, der Professor an der École des Beaux-Arts [Hochschule der Schönen Künste] ist und den Wert der durch die Besatzer beschlagnahmten Werke schätzen soll. Beide kehren am 4. August 1940 und noch ein zweites Mal im selben Monat zurück.3Bruno Lohse wird später bestätigen, dass ein Teil der Sammlung Bacri, beispielsweise eine Jungfrau mit Kind nach einem Werk von Rogier van der Weyden,4 sowie ein kleines persisches Webstück aus dem 17. Jahrhundert,5 direkt an Göring geschickt wurden, ohne vorher an den Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg (ERR) zu gehen.6 1942, im selben Jahr, in dem auch die Depots von Nikolsburg und Buxheim eingerichtet werden, werden die Sammlungen Bacri und Kramer ins Schloss Kögl verlegt.7

Nachweislich wurden später auch noch weitere Objekte durch die Deutschen geraubt. Denn 88 Werke, die nicht auf den Listen von Angerer auftauchen, wurden zwischen dem 15. und 18. August 1942 im Jeu de Paume durch Dr. Eggemann, Dr. Fleischer und Dr. Borchers inventarisiert.8

Die Abwicklung der Firma Bacri Frères und die Besetzung ihrer Räumlichkeiten

Am 31. Oktober 1940 wird Léon Pioton (geb. am 26. Januar 1896 in Saint-Parize-le-Châtel im Département Nièvre) durch einen Beschluss des Präsidenten des Handelsgerichts des Départements Seine zum Übergangsverwalter der Firma Bacri Frères ernannt; Victor Charbonnier wird als sein Assistent eingesetzt. Durch einen zweiten Beschluss vom 26. November 1940 wird er zum Insolvenzverwalter des Unternehmens.1 Pioton kommt jedoch nie dazu, die ihm übertragenen Aufgaben auszuführen: Am 9. April 1941 wird das Haus der Familie Bacri illegal von den Anhängern der Partei Marcel Déats, dem Rassemblement National Populaire [RNP, Nationaler Zusammenschluss des Volkes], einer französischen rechtsextremen Partei, besetzt. Die Anhänger einer weiteren kollaborierenden politischen Gruppe, der Mouvement Social Révolutionnaire [MSR, Sozialrevolutionäre Bewegung], die mit dem RNP Hand in Hand agiert, beteiligen sich ebenfalls an der Plünderung der sich noch im Haus befindlichen Sammlung.

Die MSR, Kontrahentin der Parti populaire français [PPF, französische Volkspartei] wird 1940 von Eugène Deloncle (1890 1944) gegründet. Dieser ist ehemaliges Mitglied des Comité secret d’action révolutionnaire (CSAR), dem Geheimkomitee der Revolutionsbewegung, das besser bekannt ist unter der Bezeichnung „Cagoule“ [Sturmmütze]. In nahtloser Anknüpfung an seine bereits in den 1930er Jahren eingeschlagene politische Richtung unterstützt Deloncles neu gegründete Partei  den Staatschef des Vichy-Regimes Pétain. Die Partei fusioniert jedoch bereits im Februar 1941 mit dem RNP, einer Bewegung, die auf Marcel Déat (1894-1955) zurückgeht, einem politischen Verbündeten von Pierre Laval, der seit 1940 stellvertretender Ministerpräsident des Vichy-Regimes ist. In der Nacht vom zweiten auf den dritten Oktober 1941 organisiert die MSR sieben Attentate auf verschiedene Synagogen in Paris.2

Der Großteil der Plünderungen der Sammlung der Brüder Bacri fand zwischen zwei verschiedenen Inventarisierungen statt: Zwischen dem 26. April 1941 und dem 21. Mai 1941 wird auf Gesuch von Pioton ein erstes Inventar durch den Auktionator Maurice Michaud und den Kunstkenner Préau erstellt. Ein zweites Inventar entsteht zwischen dem 20. November 1942 und dem 11. Januar 1943 auf Antrag von Roger Noël (am 12. Juli 1904 im 12. Arrondissement von Paris geboren), der am 26. September 1942 als Nachfolger Pitons zum Übergangsverwalter der Sammlung eingesetzt wird.3

Lediglich ein kleiner schwarzer Lacktisch, der den Brüdern Bacri gehört hatte, wird bei der Durchsuchung des Schlosses von Nouë in Villers-Cotterêts, dem Wohnsitz Eugène Deloncles wiedergefunden. Nach den Aufzeichnungen der Kriminalpolizei hätten sich auch andere Möbelstücke aus der Sammlung Bacri im Schloss befinden müssen. Auch die Pariser Wohnung von Deloncle sowie die seines Sekretärs Jean van Ormelingen (genannt Vanor) wurden durchsucht, jedoch ohne Ergebnis. Es gibt Hinweise darauf, dass auch andere Politiker Objekte, die den Bacris gehörten, in ihrem Besitz hatten, so zum Beispiel Georges Albertini, Generalsekretär des RNP, Roger Bertrand, ehemaliges Mitglied des Conseil Général des Travailleurs [CGT, Arbeitergewerkschaft] und Beauftragter des Cabinet du travail [Arbeitsministerium] oder Marcel Janin, dessen Spuren nur schwer nachzuverfolgen sind.4

Am 7. Januar 1943 übernimmt Paul Jourdan (geb. am 1. Januar 1892 in Florac, Lozère) von Noël den Posten des Übergangsverwalters der Firma. Er beauftragt den Verkauf der restlichen Waren, die sich noch in den Räumen der Antiquitätenhändler befinden. Durch den Auktionator Jean-Paul Bezançon und seinen Assistenten Préau werden daraufhin drei Versteigerungen im Hôtel Drouot organisiert, die am 30. Januar und am 19. und 21. Mai 1943 stattfinden. Insgesamt werden hierbei 2.703.618 F eingenommen.5

 

Die Suche nach den geraubten Werken

Die Spur der Familie Bacri ist während des Krieges nur schwer nachzuzeichnen: Sie scheinen zuerst an die Côte d’Azur und später nach Nordafrika geflohen zu sein.1 Nach der Befreiung kehrt Jacques Bacri, Sohn von Léon Jules und am 14. März 1911 geboren,2 nach Paris zurück und vertritt die Restitutions- und Entschädigungsforderungen der Familie. Es gelingt ihm, einen Teil der Sammlung wiederzuerlangen; darunter Möbelstücke,3 Holzschnitzereien,4 Kerzenhalter,5 Teppiche,6 Steingutobjekte,7 Gemälde8 und einen Wandteppich von Aubusson.9 Jacques Bacri konnte außerdem am 29. Juli 194810 einen Teil seiner bedeutenden Bibliothek mit Werken zu Kunst und Archäologie11 zurückerlangen, die ihm während des Kriegs geraubt worden war.

Mit der Zeit gestaltet sich die Suche nach den entwendeten Objekten immer schwieriger. Am 26. März 1961 teilt Jacques Bacri Rose Valland mit, dass er die Recherchen aufgeben wolle.12 Er stirbt am 3. Dezember 1965.13 Jacques Tochter, Clotilde Bacri Herbo, geboren am 26. Februar 1940 in Nizza, kann dank weiterer Nachforschungen der Mission d'étude sur la spoliation des Juifs de France [Untersuchungsmission zur Enteignung der Juden Frankreichs], auch Mission Mattéoli genannt, die Rückerstattung von vier weiteren Werken erreichen: Die Jungfrau mit Kind nach Rogier van der Weyden14, das bereits erwähnte kleine persische Webstück aus dem 17. Jahrhundert,15 darüber hinaus eine Rolle Samtstoff16 sowie ein Brokatstoff aus Gold- und Seidenfäden,17 die am 8. Juli 1940 aus dem Besitz der Antiquitätenhändler geraubt worden waren. Alle vier Objekte waren nach Karinhall, der Residenz Hermann Görings, geschickt worden und konnten in Berchtesgaden geborgen werden. Sie werden der Familie am 2. Dezember 1999 restituiert und am 6. Dezember 1999 aus den inventaires spéciaux provisoires [vorläufige Spezialverzeichnisse] gestrichen.

Am 30. März 2017 findet bei Sotheby‘s eine Auktion statt, welche die restliche Sammlung von Jacques Bacri zur Versteigerung bietet; einer Sammlung, die ob ihrer Vielfältigkeit Werke, Epochen und Zivilisationen in Dialog miteinander treten ließ. Der Verkauf erreicht einen Erlös von fast vier Millionen Euro, mehr als 70 Prozent der Gebote übersteigen bei weitem den geschätzten Objektwert.18