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Otto Kümmel war Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins, er ist in der Geschichtsschreibung jedoch vor allem bekannt als der Autor des sogenannten Kümmel-Berichts, einem von Hitler in Auftrag gegebenen Verzeichnis deutscher Kunstwerke, die sich im Ausland befanden und die die Nationalsozialisten zurück fordern wollten.

Der geheime Auftrag

Als Hitler kurz nach dem Sieg über Frankreich im Juni 1940 triumphierend den Eifelturm in Paris besuchte, hatte der Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlins Otto Kümmel (1874-1952) eigentlich schon die Altersgrenze erreicht.1 Doch anstatt in den Ruhestand entlassen zu werden, erhielt er einige Tage später einen geheimen Auftrag: die Erstellung eines Verzeichnisses aller sich im ausländischen Besitz befindlichen deutschen Kunstwerke, besser bekannt als Kümmel-Bericht. Nach seinem Studium in Freiburg, Bonn und Paris, war Kümmel 1906 auf Wunsch von Wilhelm von Bode (1845-1929) an die Berliner Museen gekommen, um eine eigenständige Ostasiatischen Abteilung aufzubauen.2 Nach einem längeren Aufenthalt in Japan, den er zum Ankauf des Grundstocks der Sammlung nutzte, wurde er 1912 offiziell zum Direktor der neugegründeten Ostasiatischen Abteilung ernannt. Später übernahm er zudem die Leitung des übergeordneten Museums für Völkerkunde. Mit der Entlassung von Wilhelm Waetzoldt (1880-1945) wurde er kurz nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1934 schließlich zum Generaldirektor der Staatlichen Museen Berlin berufen, die er bis zu seiner Entlassung 1945 leitete.3

Nach Hitlers Besuch in Paris wurde Kümmel im Juli 1940 durch einen Erlass zum „Kommissar für die Sicherung der Museen und des Museumsgutes in den besetzten Gebieten des Westens“ ernannt.4 Gemeinsam mit dem für Archive verantwortlichen Generaldirektors des Preußischen Staatsarchives und des Reichsarchives, Ernst Zipfel (1891-1966),5 und dem für Bibliotheken zuständigen Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Hugo Andres Krüß (1879-1945)6, sollte er „vorbereitendes Material als Unterlage für die Friedensverhandlungen“ gewinnen, mit dem Ziel, „Rückforderung von Kunstwerken und geschichtlich bedeutsamen Gegenständen, die im Laufe der Zeiten ohne unserem Willen aus unserem Besitz an unsere heutigen Gegner gelangt sind“, durchzusetzen.7 Während ursprünglich der Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung Bernhard Rust (1883-1945) für die Umsetzung zuständig war, ging die Verantwortung aufgrund der hohen Priorität kurze Zeit später direkt an den Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda Joseph Goebbels (1897-1945) über, an den Kümmel fortan zu berichten hatte.8

Der Kümmel-Bericht

Kümmel begann sofort mit der Arbeit und legte schon wenige Monate später, am 31. Dezember 1940, seinen Bericht über „Kunstwerke und geschichtlichen bedeutende[n] Gegenstände[n], die seit 1500 ohne unseren Willen oder auf Grund zweifelhafter Rechtsgeschäfte in ausländischen Besitz gelangt sind“ vor.1 Vorangestellt ist dem Bericht eine „Vorbemerkung“, in der Kümmel die vermeintliche Geschichte des Raubs von deutschem Kulturgut skizziert, und zugleich konkrete Vorschläge für die Umsetzung einer Rückführung unterbreitet.2 Zwar verweist er ausdrücklich auch auf den Genter Alter, dessen Tafeln die Berliner Museen nach dem Ersten Weltkrieg als Folge des „Diktats von Versailles“ an Belgien abgeben mussten,3 doch lässt er keinen Zweifel daran, dass Frankreich der „Hauptschuldner“ sei.4 Sogar ein kurzer Absatz zur „Psychologie des Kunstraubs der Franzosen“ findet sich hier.5

Insgesamt umfasst der Kümmel-Bericht drei Bände mit 319 Seiten und über 2.000 Einzelobjekten, deren Aufenthaltsort vor allem in Frankreich vermutet wurde.6 Im ersten Band sind 554 Werke verzeichnet, „deren Verbleib festgestellt ist“,7 und im zweiten Band 1460 Objekte, „deren Verbleib nicht festgestellt ist“ und für die Kümmel deshalb vorschlägt Ersatzforderungen aufzustellen.8 Der dritte und letzte Band umfasst „im Weltkrieg und in Auswirkungen des Weltkrieges von den Feinden beschlagnahmtes Kulturgut im Besitz deutscher Staatsangehöriger (Sequester)“.9 Obgleich hier oft konkrete Angaben zu den Objekten fehlen, handelte es sich hierbei um Sammlungs- oder Galeriebestände von Deutschen, die der französische Staat als Folge des Ersten Weltkriegs beschlagnahmt hatte, und für die nun ebenfalls eine Entschädigung gefordert wurde.

Die Recherchereisen von Otto Kümmel nach Paris

Zur Erstellung dieser Liste war Kümmel im August, September und Oktober 1940 mindestens dreimal nach Paris gereist,1 unter anderem um „in den Archives Nationales zu Paris die ‚Raubakten‘ von 1792 bis 1815“ einzusehen.2 Begleitet wurde er dabei von zwei Mitarbeitern der Berliner Museen, Nils von Holst (1907-1993)3 und Alfred Hentzen (1903-1985)4, die als Berichterstatter fungierten. Nach Aussagen von Hentzen, der in der Nachkriegszeit zu seiner Rolle verhört wurde, gab es dabei eine klare Aufgabenteilung: Während von Holst sich um die Bearbeitung der napoleonischen Zeit kümmerte, war er für die Zeit nach 1914 und damit die Sequestrierung verantwortlich.5 Parallel wurden mithilfe verschiedener Reichsstellen Abfragen an alle deutschen Museen verschickt, die in Berlin ausgewertet wurden. Für die Erstellung seines Berichts konnte Kümmel außerdem auf wichtige Vorarbeiten zurückgreifen, ohne die ein Abschluss in so kurzer Zeit wohl kaum möglich gewesen wäre.

Tatsächlich hatte der verantwortliche Kulturreferent der Rheinischen Provinzialverwaltung, Hans Joachim Apffelstaedt (1902-1944), schon im Oktober 1939 – und damit sogar noch vor dem Beginn des Frankreichfeldzugs – die Zusammenstellung einer Denkschrift und Listen über den Kunstraub der Franzosen im Rheinland seit 1794 in Auftrag gegeben, um damit sofort nach dem Sieg auf die „Rückführung von vornehmlich in den französischen Revolutionskriegen geraubtes Kunstgut“ zu drängen.6 Der über 200 Seiten lange Bericht listet alle Werke auf, die nach einem Friedensschluss zurückgefordert werden sollten, und muss als Vorbild für den sogenannten Kümmel-Bericht gelten.7 Ähnliche Nachforschungen hatten schon 1870 und 1915 stattgefunden, die ebenso in den Kümmel-Bericht eingeflossen sein dürften.

Obwohl Kümmel schon in seiner Vorbemerkung konkrete Vorschläge für eine Umsetzung der Rückführung macht, ist diese während der gesamten Besatzungszeit niemals durchgesetzt worden. Nicht zuletzt da aus diplomatischen Erwägungen auf den Abschluss des angedachten Friedensvertrags mit Frankreich verzichtet wurde und somit die wohl wichtigste rechtliche Grundlage fehlte. Zudem befanden sich durch Evakuierungen, wie schon Kümmel festhielt, „die Hauptwerke der französischen Museen, die als geraubt zurückgefordert werden oder als Pfand für nicht auffindbare Werke sichergestellt werden könnten, in unbesetzten Gebiet“ und damit außerhalb der Reichweite der deutschen Besatzer.8 Gerade die Mitglieder der „Rheinlandkommission“ unter der Leitung von Apffelstaedt (1902-1944) drängten jedoch weiter auf eine Rückführung, indem sie sich über die „Tatenlosigkeit“ des Kunstschutzes in Paris unter der Führung von Graff Wolff-Metternich (1893-1987) beschwerten und bei den verantwortlichen Stellen in Berlin dafür plädierten, dass man den Franzosen endlich „die Karten auf den Tisch lege“.9

Drängen der Rheinländer

Zusammen mit dem Direktor der Gemäldegalerie des Rheinisches Landesmuseums Franz Rademacher (1899-1987) und dem Kunsthändler Hans Bammann reiste Apffelstaedt1 während der Besatzung immer wieder als „Sonderbeauftragter“ nach Paris, vermeintlich um weitere Nachforschungen anzustellen. Im Bewusstsein über die Aussichtslosigkeit ihrer Forderungen und angesichts der vorteilhaften Bedingungen auf dem Pariser Kunstmarkt, wurden diese Reisen – unter Aushebelung geltender Einreisevorschriften – jedoch vor allem für Ankäufe genutzt.2 Selbst wenn also bis zur Besatzung die durch den Kümmel-Bericht vorbereitete Kunstrückführung nie umgesetzt wurde, zählten die rheinischen Museen zweifellos zu den wichtigsten Akteuren auf dem Pariser Kunstmarkt, wodurch während der Besatzung hunderte Objekten aus Frankreich nach Deutschland gelangten. Diese massive Erwerbungspolitik trug dabei durchaus die Züge einer kommerziellen Kunstrückführung. Nach dem Krieg mussten die rheinischen Museen jedoch fast alle diese neu erworbenen Werke zurückgeben, die sich bis heute zum Großteil als Bestand der Musées Nationaux Récupération (MNR) in französischen Museen befinden.3

Beschränkte Ankaufsmittel und späte Ankäufe der Berliner Museen

Während die rheinischen Museen gerade in den ersten Jahren der Besatzung, als das Angebot groß und die Preise klein waren, zahlreiche Erwerbungen tätigten, blieben die Staatlichen Museen Berlin lange von den günstigen Gelegenheiten des Pariser Kunstmarktes ausgeschlossen, die sich auch aus den Enteignungen jüdischer Sammler und Kunsthändler ergaben. Zwar war Kümmel schon zu Beginn der Besatzung als einer der ersten Museumsdirektoren in Frankreich vor Ort war, doch standen den Berliner Museen kaum Ankaufsmittel zur Verfügung. Selbst als der Kulturreferent der deutschen Botschafter Karl Epting (1905-1979) kurz nach seiner ersten Reise nach Paris eine detaillierte Liste mit verfügbaren Gemälden an Kümmel schickte, sah man sich deshalb gezwungen, diese an andere Museen weiterzuleiten, ohne selbst auch nur ein Bild davon erwerben zu können.1 So ist die Forschung lange Zeit davon ausgegangen, dass die Berliner Museen unter der Leitung von Kümmel kaum Kunstwerke während der Besatzung erworben hätten.

Recherchen in deutschen und französischen Archiven haben jedoch gezeigt, dass diese Annahme relativiert werden muss. So wurde nach einer Protestnote von Kümmel, in der er nicht zuletzt auf die großen Aktivitäten der rheinischen Museen verweist, das Ankaufsbudget der Berliner Museen 1941 erheblich erhöht.2 Mit der Folge, dass in den letzten Jahren der Besatzung zahlreiche Kunstwerke, darunter vornehmlich Altertümer, vom Pariser Kunstmarkt in die Berliner Museen gelangten. Diese befinden sich – ganz im Gegensatz zu den Erwerbungen der rheinischen Museen – bis heute in der Sammlung. Im Rahmen des Forschungsprojektes „Erwerbungen der Staatlichen Museen zu Berlin auf dem Pariser Kunstmarkt während der Besatzung 1940-1944“ werden diese Ankäufe seit 2019 nun erstmals systematisch und abteilungsübergreifen identifiziert und überprüft. Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass alleine der Direktor der Ägyptischen Abteilung, Günther Roeder (1881-1966), 33 Objekte im Gegenwert von 1,5 Millionen Francs erwarb, die er dank seiner Tätigkeit für die Luftwaffe auch ohne gültige Ausfuhrerlaubnis nach Berlin bringen konnte.3 Die abschließenden Ergebnisse des Forschungsprojekts werden zeitnah veröffentlicht.