GRUEL Maison Léon (DE)
Das von Paul Gruel geleitete Haus Léon Gruel ist für seine Buchbindekunst berühmt. In der Zwischenkriegszeit zählt das Ledermuseum in Offenbach unter Leitung seines Gründers Hugo Eberhardt zu seinen Kunden. Diese Handelsbeziehung wird während der Besatzungszeit aufrechterhalten.
Die Geschichte der Firma Gruel beginnt 1811 an der Adresse 24 Rue Duphot im 1. Arrondissement von Paris.1 Ihren Namen verdankt die von Isidore Deforge gegründete Buchbinderei unterdessen dem 1841 geborenen Léon Gruel, der in den 1860er Jahren in die Familienwerkstatt eintritt. Beim Tod seines Halbbruders Edmond Engelmann im Januar 1891 wird er alleiniger Inhaber. Von da an erwirbt die ab 1878 an der Adresse 418 Rue Saint-Honoré ansässige Firma sowohl in Paris als auch im Ausland großes Ansehen.2 Das Geschäft wird als wahrhafter Ausstellungsraum unter der Buchbindewerkstatt eingerichtet. Léon Gruel ist im Übrigen maßgeblich an der Gründung einer Gewerkschaft für Buchbinderei, Goldschnitt und Broschur in Paris beteiligt. Darüber hinaus verdanken wir ihm mit dem 1887 erschienenen Handbuch Manuel historique et bibliographique de l’amateur de reliures3 ein Standardwerk zum Thema. Als er sich 1901 aus dem Geschäft zurückzieht, überlässt er es seinem am 7. Juni 1864 aus seiner Ehe mit Caroline Cagniard hervorgegangenen Sohn Paul.4
Während der Besatzungszeit wird das Geschäft, das sich eines ausgezeichneten Rufs erfreut, also von dem bereits in seinen Siebzigern stehenden Paul Gruel geführt. Sein wichtigster Kunde ist das Ledermuseum in Offenbach am Main. Dieses aus einer Privatinitiative heraus entstandene Museum wurde 1917 von dem Architekten Hugo Eberhardt gegründet mit dem Ziel, jungen deutschen Gerbern, Kunsthandwerkern und Gestaltern für ihre Ausbildung dienliche Vorbilder zu präsentieren.5 Im Laufe des Zweiten Weltkriegs vergrößerte sich diese weiterhin gründergeführte Einrichtung in bemerkenswerter Weise. Nach anfänglichem Widerstand gegen die national-sozialistischen Machthaber fügt sich Hugo Eberhardt nämlich in die Zusammenarbeit mit seinen Vorgesetzten. Die Beziehungen dieses Sammlers zum Hause Gruel gehen indessen auf die Zeit vor der Besetzung Frankreichs durch Deutschland zurück, wie der deutsche Museumsdirektor bei seinem Verhör durch die Amerikaner nach dem Krieg anhand des vorgelegten Briefwechsels nachweisen kann.6 Die erste Erwerbung Eberhardts, die für die Erweiterung der Museumssammlung bestimmt ist, findet in diesem Geschäft 1925 anlässlich der Weltausstellung für modernes Kunsthandwerk und Kunstgewerbe statt.
Zwischen 1941 und 1943 erwirbt das Ledermuseum rund 60 Objekte von Paul Gruel.7 Ermöglicht werden diese vielen Ankäufe durch eine Dotation von 50.000 RM von der Hubert Schumann Stiftung zum 25-jährigen Bestehen des Museums. Einige der von Eberhardt in Paris erworbenen Stücke – wie etwa ein Reisekoffer mit dem Wappen Marie-Antoinettes, der seit 1925 Gegenstand von Verhandlungen zwischen den beiden beteiligten Parteien gewesen war – stammen aus den Privatsammlungen der Familie Gruel.8 Von diesem Zeitpunkt an hält das Haus Gruel den deutschen Sammler regelmäßig über die neuesten Erwerbungen auf dem Laufenden. Diese Korrespondenz in Bezug auf die Ankäufe bei Privatpersonen setzt sich während des Krieges fort.9 Von diesen Lederobjekten wurden 53 nach dem Krieg von den Amerikanern aus dem Ledermuseum abgezogen und am 26. Juli 1949 mit dem sechsten Konvoi von Baden-Baden nach Frankreich zurückgeschickt. Hier kamen sie auf die Liste der Gegenstände, die den französischen Nationalmuseen durch das Office des biens et intérêts privés (OBIP) [Büro für private Vermögenswerte und Ersatzansprüche]10 zur Verfügung gestellt wurden.
Hugo Eberhardt ist jedoch nicht der einzige deutsche Kunde des Hauses Gruel während der Besatzungszeit. Obwohl der französische Händler auf kunstvolle Buchbindungen spezialisiert ist, verkauft er nicht nur Gegenstände aus Leder. So erwirbt Walter Bornheim zwischen 1941 und 1944 drei Renaissanceskulpturen aus Florenz und Deutschland von Paul Gruel.11 Nach dem Krieg ist Paul Gruel Beklagter vor dem Gerichtshof des Departement Seine. Das Verfahren wird eingestellt und zu den Akten gelegt.12