GRAPPE Georges (DE)
Georges Grappe war ein Literat, der in der Action française, einer französischen Gruppierung, die sich politisch rechtsextrem, nationalistisch und monarchistisch positionierte, aktiv war. Nachdem er 1925 Kurator im Musée de Rodin geworden war, spielte er während des Zweiten Weltkriegs eine wichtige Rolle in der Kollaboration mit den Deutschen.
Ein für die Action française engagierter Literat
Georges Pierre François Grappe wurde am 13. Juli 1879 in Paris im 2. Arrondissement geboren. Er besuchte die weiterführende Schule Henri IV, wo er sich mit Jacques Bainville anfreundete. Von 1897 bis 1898 besuchte er an der École du Louvre die Vorlesungen von Salomon Reinach (Nationale Archäologie Frankreichs) und André Michel (Bildhauerei des Mittelalters, der Renaissance und der Moderne).1 Er verbrachte einige Zeit in Oxford in England. Während er vor 1900 eher eine sozialkatholische und liberale politische Haltung vertrat, wurden seine Ansichten um die Jahrhundertwende zunehmend vom Einfluss von Maurice Barrès und Charles Maurras geprägt [zwei rechtsextremen Publizisten, die sich auch politisch betätigen]. Diese Sympathien zeigten sich bei Grappe sehr eindeutig: „Der traditionalistische royalistische Geist, das Ideal von Maurras, hatte in Monsieur Georges Grappe die Hoffnung auf das Beste geweckt […] .“2 Er verkehrte mit Pierre Adam, der ein Anhänger von Barrès war, und zeigte sich als sehr kontaktfreudig. Er fühlet sich den Ideen der Zeitschrift L’Action française3 nahe, bei der er selbst Artikel einreichte, aber auch der Zeitschrift L’Opinion, bei der er mit Jean Richepin, dem Vorsitzenden des Redaktionskomitees, in Kontakt stand.
Grappe wurde ab 1899 schriftstellerisch tätig und veröffentlichte bis zu seinem Lebensende zahlreiche literarische und kunsthistorische Studien.4 1911 erhielt er für seine Übersetzung von Barrett Wendells La France d’aujourd’hui (im Original: The France of Today, 1907) den Langlois-Preis der Académie française. Sein bekanntestes Werk, H. Fragonard: peintre de l’amour au XVIIIe siècle [H. Fragonard : Maler der Liebe im 18. Jahrhundert], erschien 1913. Darüber hinaus war er als Journalist und Kunstkritiker tätig und lehrte an der École pratique des hautes études (EPHE) und am Collège libre des sciences sociales.5 Grappe wurde 1914 eingezogen und 1917 in den Stab des Generals Pétain versetzt, wo er für den Nachrichtendienst der 2. Armee verantwortlich war. Nach dem Krieg wurde ihm das Kriegsverdienstkreuz verliehen und 1924 wurde er zum chevalier de la Légion d’honneur, zum Ritter der Ehrenlegion, ernannt. 1939 wurde er in seiner Funktion als Literat zum Offizier derselben Ehrenlegion ernannt.6 1917 heiratete er Léonie Corbières, die selbst Dichterin ist.
Nach 1918 interessierte sich Grappe für die Lebensumstände von Schriftstellern. Bis Ende 1926 arbeitete er als Sekretär der Société du droit d’auteur aux artistes [Gesellschaft der Urheberrechte für Künstler], die 1910 gegründet und von Georges Delavenne geleitet wurde. Diese Gesellschaft, der auch Rodin angehörte, widmete sich der Verteidigung der Urheberrechte von Künstlern; ab 1920 engagierte sie sich auch für das Thema der Weiterverkaufsrechte.7 Als Sekretär der Gesellschaft konnte Grappe im Zusammenhang mit verschiedenen für das Musée Rodin verhandelten Vorgängen Beziehungen zum Museum aufbauen. Am 29. Juli 19258 wurde er zum Kurator des Musée Rodin ernannt. Er trat dabei die Nachfolge von Léonce Bénédite an, der einige Monate vorher verstorben war.9 Im Jahr 1930 bezeichnete sich Grappe als Freund des rechtsorientierten Präfekten Jean Chiappe.10 1934 wurde der Bildhauer Charles Despiau zum Mitglied des Verwaltungsrats des Musée Rodin gewählt.11
Grappe hielt sich daraufhin mit seinen Meinungsäußerungen zurück. 1919 veröffentlichte eine Autoren-Gruppe, die zur Zeitschrift Clarté gehört, Manifeste (unterschrieben von Romain Rolland, Henri Barbusse und unterstützt von Anatole France) zur Verurteilung nationalistischer Intellektueller. Grappe jedoch schloss sich den Unterzeichnenden des Gegenmanifests an: „Pour un parti de l’intelligence“ [„Für eine Partei der Intelligenz“], das am 19. Juli 1919 in der Beilage des Figaro veröffentlicht und von verschiedenen Künstlern und Charles Maurras signiert wurde. Außerdem unterzeichnete Grappe, neben weiteren Anhängern von Maurras, dasselbe Manifest, als es in der Zeitschrift L’Action française erscheint. Die Unterzeichnenden sind traditionalistische Katholiken, Vertreter einer klassischen Ästhetik und militante Antidemokraten. Georges Grappe vertrat die Ansicht, dass „unsere Generation Barrès alles zu verdanken hat.“12 1932 trat er der Société des gens de lettres [Gesellschaft der Schriftsteller] bei und arbeitete weiterhin für die Zeitschrift L’Opinion, außerdem wurde er in der Zeitschrift Comœdia oft erwähnt und publizierte dort auch.13 Er pflegte weiterhin seine Freundschaften aus der Vorkriegszeit.
Ein Kollaborateur als Kurator im Musée Rodin
Während des Zweiten Weltkriegs stand Grappe weiterhin Philippe Pétain nahe. Nachdem er seit 1940 von seiner Frau getrennt war, lebte er mit der Sekretärin des Musée Rodin, Mademoiselle Hilbert in der 104, Rue du Bac. Ab September 1939 organisierte er die Auslagerung zum Schutze der Sammlung des Museums (mit Ausnahme der Bronzen, Zeichnungen und der Sammlung von Gemälden) in verschiedene Schlösser in den Départements Loir-et-Cher und Loiret.1 Im Juli 1940 wurde das Musée Rodin wiedereröffnet. Georges Grappe organisierte die Ausstellung „Hundert Jahre Monet-Rodin zur Unterstützung der Entr’aide des artistes [Die gegenseitige Hilfe der Künstler]“, die vom 7. Dezember 1940 bis zum 16. März 1941 im Musée de l’Orangerie gezeigt wurde.2 Als erste Ausstellung der Entr’aide seit dem Waffenstillstand, wurde die Schau in Anwesenheit von Louis Hautecœur, Jacques Jaujard, Fernand de Brinon und Otto Abetz eröffnet. Der Hauptanteil der präsentierten Werke von Rodin stammt aus dem Museum, mit Ausnahme zweier Plastiken, die als Leihgaben von Eugène Rudier gezeigt wurden.
Grappe gehörte zur Bewegung Collaboration, die im Herbst 1940 inoffiziell durch Alphonse de Châteaubriant gegründet wurde. Im Februar 1941 wurde sie offiziell genehmigt.3 Auf die Initiative von Max d’Ollone hin wird Georges Grappe in der Vereinigung Vorsitzender der Abteilung Bildende Künste. Othon Friesz und Paul Belmondo wurden seine Stellvertreter. Die Bewegung bemühte sich um eine französisch-deutsche Annäherung. Sie publizierte in der Zeitschrift La Gerbe und organisiert am 22. Mai 1942 im Musée Rodin im Zusammenhang mit der Eröffnung der Ausstellung Arno Brekers im Musée de l’Orangerie einen Empfang zu Ehren des deutschen Künstlers. Der Bildhauer wurde hier durch die Mitglieder der Abteilung der Bildenden Künste der Bewegung Collaboration „brüderlich“ [„confraternellement“] begrüßt. Abel Bonnard, Bildungsminister des Vichy-Regimes, sagt in seiner Ansprache: „[…] die deutschen Truppen errichten im Osten den unüberwindbaren Deich, der Europa vor einer Überflutung durch Finsternis schützt […].“ Grappe hatte auch zu Mitgliedern der Abteilung des „Kunstschutzes“ in Paris, die Graf Franz von Wolff-Metternich leitete, sehr engen Kontakt: Hermann Bunjes, Hans Möbius und Carlheinz Pfitzner wurden häufig als Gäste bei ihm in der Rue du Bac empfangen. Die Besatzungszeit stellte für Georges Grappe den Höhepunkt seiner Karriere als Kunsthistoriker dar.4
Die zwei großen Aufträge für Bronzen, die in den 1920er Jahren die Mäzene Kojiro Matsukata und Jules Mastbaum in Auftrag gegeben hatten, ermöglichten, dass das Musée Rodin wirtschaftlich unabhängig war.5 Ein Großteil dieser Einnahmen hatte dazu gedient, das Budget des Museums als öffentliche Einrichtung zu bestellen. Der Verwaltungsrat entschied außerdem, mithilfe dieser Gelder einen Vorrat von Originalbronzen anzulegen (sogenannte „plastische Reproduktionen“ [reproductions plastiques]), die zum Verkauf standen. Dies war möglich, da die Urheberrechte Rodins an das Museum übertragen wurden. Hierfür wurden etwa 60 Gussmodelle ausgewählt. Der Gussauftrag wurde vom Verwaltungsrat in seiner Sitzung vom 18. November 1926 entschieden.6 Im Januar 1927 erhielt Eugène Rudier, der offizielle Gießer der Werke Rodins, den Auftrag. Man ging davon aus, dass die Werke in den nächsten Jahren verkauft würden, doch die Krise von 1929 führte dazu, dass die Verkäufe der Folgejahre fast auf null zurückgingen. Der Bestand war aus diesem Grund noch zum großen Teil erhalten, als der Zweite Weltkrieg ausbrach.7
Die langjährigen Freundschaften Grappes und die ambivalenten Beziehungen Rudiers,8 der dem Bildhauer Arno Breker sehr nahe stand, führten dazu, dass das Musée Rodin den deutschen Besatzern ausgeliefert war. Dies führte dazu, dass der kommerzielle Bestand an Bronzen direkt oder durch die Vermittlung von Rudier zum größten Teil verkauft wurde. Ein im Jahr 1934 erstelltes Inventar9 führte 172 Bronzen auf (darunter zwei Werke in Ton, eine Wachsplastik und sieben Werke aus Glas, die aus dem Bestand Rodin stammten; von einigen Figuren gibt es zwei a, b, oder sogar drei c Ausführungen). Zwischen 1935 und Juni 1940 kamen 15 Güsse und zwei Gipsplastiken hinzu, was die Anzahl der „plastischen Reproduktionen“ auf 189 steigen ließ. Zwischen Juni 1940 und Ende 1944 wurden 127 weitere Nummern zum Inventar hinzugefügt, darunter zwei Gipse (einige der Nummern wurden erst nach dem August 1944 gegossen). Unter einigen Nummern verbergen sich mehrere Plastiken, zum Beispiel zehn kleine Hände (Nummer 185: 1 bis 10). Zum Ende der Besatzungszeit sind zwei Drittel dieses Bestandes verkauft. Der Verkaufspreis wurde dabei auf der Basis des ursprünglichen Gusspreises jeder Plastik berechnet. Für die Güsse, die im Inventar zwischen 1934 und Juni 1940 aufgeführt waren, wurde hierbei vom Preisniveau des Endes der 1920er Jahre ausgegangen; die Preise der während der Besatzungszeit ausgeführten Güsse auf der Grundlage der Preise der 1940er Jahre berechnet.10
Die Käufer sind hauptsächlich deutsche und österreichische Museen (Städtische Galerie Frankfurt am Main, Wallraf-Richartz Museum in Köln, das Düsseldorfer Museum, die Landesgalerie Salzburg, das Museum Linz in Österreich u.v.m.), hohe Funktionäre und Institutionen des Kunstmarkts (Fritz Todt, Hildebrandt Gurlitt, Galerie Ernst Arnold (oder Gutbier) in München, Galerie Friedrich Welz in Salzburg u.a.), aber auch Sacha Guitry, Hoffmann Oberlit aus Brüssel, Professor Richard Bieling aus Marburg, Stockert aus Nancy, Monsieur Danthon, der Galerist André Schoeller, Herr Kauffmann aus Leipzig, Monsieur Hessa, Monsieur Goertz und viele mehr. Und natürlich Eugène Rudier, der bei vielen Verkäufen als Vermittler auftritt. Im Jahr 1942 (nach der Ausstellung von Arno Breker) wurden einige der bekanntesten Verkäufe getätigt: Der Abguss der Porte de l’enfer [Höllentor], welchen Arno Breker für das Museum Linz in Auftrag gab (und der letztlich durch das Museum von Zürich angekauft wurde), der Verkauf der Les Bourgeois de Calais [Bürger von Calais] an das Wallraf-Richartz-Museum in Köln und der Baiser monumental [der kolossale Kuss], der am 18. November 1942 an die Galerie Ernst Arnold in München verkauft wurde.11 Im Fall einiger Werke werden die Güsse der Sammlung des Museums in den Bestand der Verkaufsbronzen überführt (beispielsweise Le Désespoir [Die Verzweiflung], Nr. 181, L’Enfant prodigue [der verlorene Sohn], Nr. 183), um sie den Besatzern schneller verkaufen zu können, als die Anfertigung eines neuen Abgusses gedauert hätte.12 Am 27. Oktober 1943 wird das Musée Rodin zum Nationalmuseum.
Nach der Befreiung wurde Georges Grappe am 7. September 1944 von seinen Funktionen entbunden. Er wurde festgenommen und inhaftiert. Am 12. März 1945 wurde er ohne Pensionsansprüche aus dem Dienst entlassen.13 Im Herbst 1944 übernahm Marcel Aubert, leitender Kurator der Skulpturenabteilung des Musée du Louvre, seinen Posten. Georges Grappe starb am 26. April 1947.
Die Kollaboration Grappes mit der deutschen Besatzungsmacht ist offensichtlich und entspricht seinen bereits früher vertretenen Ansichten und langjährigen Freundschaften. Er war ein Anhänger Pétains und unterstützte die deutsche Besatzung Frankreichs. Er macht das Musée Rodin zu einem Opfer seiner Kollaboration, indem er nicht nur die zum Verkauf gedachten Bestände zu sehr niedrigen Preisen veräußerte, sondern darüber hinaus auch Zeichnungen verkaufte und wohlwollend den Ehrenempfang Arno Brekers ermöglichte. Geschah dies aus Sympathie oder duldete er die Vorgänge nur? Seine Beziehungen zu den Funktionären des „Kunstschutz“ – zu Graf Franz von Wolff-Metternich, Hermann Bujes, Hans Möbius und Carlheinz Pfitzner – verstärken den Eindruck von Ambivalenz.
Basisdaten
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