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31/01/2022 Répertoire des acteurs du marché de l'art en France sous l'Occupation, 1940-1945, RAMA (FR)

Étienne Marie Louis Nicolas, seit 1906 dynamischer und kluger Betreiber des Wein-, Spirituosen- und Likörhandels Nicolas, war als umtriebiger Sammler alter Kunst während der Besatzungszeit an Transaktionen beteiligt.

Die Sammlung Nicolas

Die dürftige Quellenlage zur Sammlung Nicolas deutet darauf hin, dass Étienne Nicolas trotz seines großen Reichtums weit davon entfernt war, eine so museumswürdige Sammlung wie die aus dem finanziellen, gewerblichen und kommerziellen Großbürgertum des 19. Jahrhunderts stammenden Millionäre zu besitzen. Dennoch nannte er eine überschaubare Anzahl von Werken des niederländischen „goldenen Jahrhunderts“ sein eigen, die er in seiner Wohnung an der Adresse 14 Place des États-Unis im 16. Arrondissement von Paris aufbewahrte.

In den 1930er Jahren erwarb Nicolas zwei prestigeträchtige Gemälde, Portrait de Titus [Titus, Sohn des Künstlers; um 1662] und Paysage au château [Landschaft mit Schloss; 1640-1642]1 von Rembrandt van Rijn aus den Sammlungen der Ermitage, die heute im Louvre bewahrt werden.2 Das erste Bild, das der französische Kunsthändler George Wildenstein (1892-1963) am 27. Juni 1930 von dem armenischen Sammler Calouste Gulbenkian erworben hatte und das dieser erst im Frühjahr desselben Jahres den sowjetischen Machthabern abgekauft hatte, war laut Daniel Wildenstein „mitten in der Krise 1929“ an Nicolas  zu „einem Drittel des Preises“ weiterverkauft worden.3 Über einen anderen Zwischenhändler4 tätigte Nicolas zwischen April 19335 und Juni 19356 den Ankauf der Landschaft mit Schloss; möglicherweise handelte es sich dabei um die Galerie Colnaghi & Co., die in die Angelegenheit verwickelt war und mit der Nicolas bereits 1925 für den Ankauf von Jacob van Ruisdaels Une mer agitée près d’une côte, avec un navire et un petit bateau7 [~ Aufgewühlte See nahe der Küste, mit Segelschiff und kleinem Boot] zu tun gehabt hatte.

Von Juli bis Oktober 1936 vertraute Nicolas vermutlich aus Furcht vor einer Machtübernahme des Front populaire [politisch links stehende Volksfront]8 seine Sammlung alter Meister vorübergehend dem Rijksmuseum in Amsterdam an. Die an den offenbar in engem Kontakt mit Nicolas stehenden Direktor des Museums, Frederik Schmidt Degener, übergebene Liste führt 36 Gemälde ohne die dazugehörigen Malernamen auf. Elf Zuschreibungen konnten wieder zugeordnet werden, darunter die beiden Rembrandtbilder und das bereits erwähnte Gemälde Jacob van Ruisdaels: Vaches sur le bord d’une rivière [~ Kühe am Ufer eines Flusses; Albert Cuyp, 1650-1655, The Mansion House, London]9, Scène de rivière avec une vue sur une ville [~ Flussszene mit Ausblick auf eine Stadt; Jan van Goyen, 1646]10, Petits vaisseaux dans la brise [~ Schiffchen im Wind; Jacob van Ruisdael]11, Scène d’hiver, avec un bateau figé dans la glace et des passants [~ Winteransicht mit festgefrorenem Boot und Spaziergängern; Jacob van Ruisdael, um 1660, Birmingham Museum of Art]12, Une mer agitée près d’une côte, avec un navire et un petit bateau [~ Aufgewühlte See nahe der Küste, mit Segelschiff und kleinem Boot, Jacob van Ruisdael]13, Paysage boisé avec cours d’eau, un cottage sur la droite, et une église à l’arrière-plan [~ Waldlandschaft mit Wasserlauf, einer Hütte zur Rechten und einer Kirche im Hintergrund, Jacob van Ruisdael]14, Paysage au champ de blé [~ Landschaft mit Weizenfeld, Jacob van Ruisdael, The Mansion House, Harold Samuel Collection, London], erworben 193115, Paysage boisé avec chasseur [~ Waldlandschaft mit Jäger, Jacob van Ruisdael]16, Femme au miroir [~ Frau mit Spiegel, Gerard Ter Borch, um 1652, Rijksmuseum Amsterdam], erworben 1934-193517. Außerdem soll er eine Vue de Haarlem [Ansicht von Haarlem] von Jacob van Ruisdael (heute The Mansion House, Harold Samuel Collection, London)18 besessen haben.

Auf der Liste sind fast ausschließlich Gemälde der niederländischen Schule des 17. Jh. verzeichnet, nur zwei nicht identifizierte Bilder, eine Ansicht von Venedig und ein Seestück, sind der italienischen Schule zuzuschreiben. Weitere angeführte Titel legen nahe, dass die Sammlung zudem eine Reihe von „Genreszenen“ enthielt, Darstellungen wie Schlafende Figuren, Schlittschuhläufern19, Mandolinenspieler sowie Junge Frau, die einen Brief erhält. Des Weiteren wissen wir, dass zu einem nicht bestimmten späteren Zeitpunkt – 1938? – eine Willem Kalf zugeschriebene Nature morte au citron20 (Stillleben mit Zitrone) in die Sammlung gelangte, das 1959 an den Londoner Kunsthändler Edwared Speelman weiterverkauft wurde.

Die Transaktionen während der Besatzungszeit

Was die Art und Weise des Erwerbs von Werken betrifft, so fehlen uns noch immer Quellen, die es uns ermöglichen würden, die Kaufgewohnheiten von Étienne Nicolas zu ermitteln, eine Liste eines möglichen Händlernetzes zu erstellen oder sogar die während der Besatzungszeit getätigten Käufe zu identifizieren. Generell ist anzunehmen, dass der Sammler vorwiegend mit französischen Händlern wie Wildenstein & Cie, mit der Pariser Galerie Georges Petit und dem Londoner Händler Colnaghi zu tun hatte.

Möglich ist zudem, dass Nicolas seine Kontakte zu Museumsdirektoren wie Schmidt Degener oder auch Henri Verne (1880-1949), dem Direktor der Musées nationaux [französische Nationalmuseen] und des Louvre von 1926 bis 1940, für die Erwerbung von Kunstwerken nutzte. Dies geht aus einem Abschnitt des Berichts über Hitlers Museum in Linz hervor, demzufolge Verne während der Besatzungszeit bei dem niederländischen Händler Cornelius Postma (1881-1954) ein kleines Gemälde aus der Sammlung Schloss erworben haben soll, für die sich der Louvre im August 1943 per Vorkaufsrecht 49 Gemälde gesichert hatte, um sie später zurückzugeben.1

Das unter Vorbehalt Adriaen Brouwer2 zugeschriebene Gemälde mit dem Titel Le chercheur de poux [~ Der Läusefänger] soll Verne für Nicolas zum Preis von 300.000 F3 angekauft haben. Dieses Bild - Öl auf Holz, „nach Brouwer“, mit der Nummer 39 der Liste vom 13. August 19434 - stand weder auf der Liste, für die der Louvre sein Vorkaufsrecht geltend machte, noch auf jener der nach Linz verbrachten Bilder, wie der Bericht zu unterstellen scheint. Sein Preis wurde auf 100 F, also auf eine geringe Summe geschätzt, wie aus der Liste mit den Schätzpreisen für 21 Gemälde aus der Sammlung Adolphe Schloss hervorgeht, die der Experte Catroux im Auftrag des Verwalters der jüdischen Sammlungen5, Herrn Lefranc, erstellte. Sollte das Gemälde je Nicolas gehört haben, ist vorstellbar, dass er es noch während der Besatzungszeit wieder verkauft hat, da es wie die anderen Gemälde, die unter das Vorkaufsrecht fielen, nach dem Krieg von der Familie Schloss zurückerlangt wurde, die es am 5. Dezember 1951 über die Auktionare Maurice Rheims und  Denis-H. Baudoin an die Galerie Charpentier unter dem Titel L’épouilleur6 weiterverkaufte.

Die einzige Transaktion, die der Sammler erwiesenermaßen während der Besatzungszeit tätigte, betrifft die beiden Rembrandt-Gemälde. So verkaufte Nicolas dem deutschen Händler Karl Haberstock am 21. April 1942 das Titus-Bildnis und die Schlosslandschaft für die beträchtliche Summe von 60 Millionen F (3 Millionen RM). Die Zahlung erfolgte per Scheck der deutschen Botschaft in Paris zulasten eines Kontos der Banque de France. Zu den Protagonisten, die am Zustandekommen dieses Geschäfts beteiligt waren, gehörte Roger Dequoy, der damalige Verwalter der Galerie Wildenstein & Cie. Er erhielt eine Kommission von 1.800.000 F, die Haberstock ihm am 24. April 1942 im Namen der deutschen Botschaft für „den Hinweis und für die Vermittlung im Kauf der beiden Rembrandt-Gemälde […]“7 überbrachte. Diese Summe wurde zwischen den Herren Engel (500.000 F), dem später in der Deportation verstorbenen „Bronner“ (400.000 F), „Walter“ (400.000 F) und der Firma Wildenstein & Cie (500.000 F) aufgeteilt.8Georges Destrem (1884-1957)9 erhielt von Nicolas eine Kommission in Höhe von 100.000 F.10

Destrem, laut Haberstock Nicolas‘ Vertrauensmann, hat offenbar bei einem Besuch bei Nicolas zuhause von dessen Gemälden erfahren, als dieser mit dem hohen Wert seiner beiden Stücke geprahlt haben soll.11 Allem Anschein nach war Destrem aus sehr persönlichen Gründen daran gelegen, sich dem deutschen Händler gefällig zu zeigen, denn dieser sollte für bessere Lebensbedingungen seines ins Arbeitslager in Deutschland verschickten Schwiegersohns sorgen.12 Was den Pariser Händler Dequoy betrifft, so war dessen Stellung als Direktor der Galerie Wildenstein zum damaligen Zeitpunkt durch die deutschen Behörden gefährdet, die nichts lieber wollten, als das Haus an der Adresse 57 Rue de La Boétie für ihre eigenen Zwecke zu nutzen.13 Durch diese Angelegenheit habe er endlich die Möglichkeit gehabt, Haberstock gute Bilder zu besorgen, damit dieser im Gegenzug seinen Einfluss gegenüber den deutschen Besatzern geltend machte, um den Erhalt des Unternehmens zu sichern.14

Nach ihrem Erwerb durch die deutsche Regierung kommen, wie Birgit Schwarz anmerkte, Rembrandts Titus-Bildnis und die Landschaft mit Schloss in keinem einzigen Fotoalbum zum Sonderauftrag Linz vor.15 Dieses Fehlen erklärt sich die Historikerin mit der ausgeprägten Feindschaft zwischen Haberstock und Hermann Voss (1884-1969), der im Dezember 1942 Hans Posse als Sonderbeauftragter der Linzer Mission nachfolgte.16 Das Titus-Bildnis wurde dennoch als eines der Juwelen der Niederländerabteilung des geplanten Museums in Linz gefeiert, und zwar erstmals 1943, als eine Abbildung des Gemäldes zusammen mit dem ersten umfassenden Artikel zum Linzer Vorhaben in der Zeitung Das Reich veröffentlicht wurde.17 Im März 1944 brachte auch die dem nationalsozialistischen Regime treue, von Hitlers offiziellem Fotografen Heinrich Hoffmann abgefasste Kunstzeitschrift Kunst dem Volk eine Reproduktion des Titus-Bildnisses.18

Rückgaben und Schenkungen

Die beiden von Nicolas veräußerten Rembrandts wurden ebensowenig wie Hunderte anderer für die Sammlung des Linzer Museums erworbene Werke ausgestellt, da dieses Museumsvorhaben 1945 aufgrund der Kapitulation Nazideutschlands aufgegebenen wurde. Die Alliierten und die UdSSR nahmen umgehend ihre Ermittlungen auf deutschem Boden, insbesondere zu den von den Kunstliebhabern Hitler und Göring beschlagnahmten oder gekauften Kunstgegenständen auf. So wurden das Titus-Bildnis und die Landschaft mit Schloss am 28. oder 29. Juni 1945 zum Collecting Point in München zurückgebracht, nachdem sie am 8. Mai 1945 im Salzbergwerk Altaussee bei Salzburg entdeckt worden waren.1 Hier wurden sie fotografiert und anhand eines der zum geplanten Museum in Linz erarbeiteten Berichte als ehemaliger Besitz Nicolas‘ identifiziert. Das Titus-Bildnis wurde nach Paris zurückgeschickt, wo es am 20. September 1945 eintraf und der Commission de récupération artistique (CRA, Komission für Kunstrückführung) übergeben wurde, die es im Jeu de Paume ausstellte. Die Landschaft mit Schloss hingegen traf erst am 30. Januar 1946 wieder in Paris ein.

Nachdem das Titus-Bildnis im Herbst 1945 und darauf die Landschaft mit Schloss im Juni 1945 durch die Kommission wiedererlangt und beide im Januar 1946 der Forderung der französischen Zollfahndung gemäß unter Zwangsverwaltung gestellt worden waren,2 erstritt Nicolas vor dem Zivilgerichtshof des Departement Seine eine einstweilige Verfügung gegen die Commission de récupération artistique, um die Rückgabe seiner beiden Gemälde zu erwirken.3 Am 10. Januar 1947 wurde die gerichtliche Verfügung zur Beschlagnahme in öffentlicher Verhandlung verlesen, die Nicolas‘ Darstellung, der Verkauf sei unter Druck zustande gekommen und er habe in Treu und Glauben gehandelt, insofern folgte, als er den erhaltenen Betrag sofort in Schatzbriefe umgewandelt habe.4 Dieser Darstellung widersprach die Aussage Haberstocks, der zu Protokoll gab, Nicolas habe damals eine bedeutende Geldsumme benötigt, um den Großteil der Anteile einer Aktiengesellschaft für ein Industrieunternehmen aufzukaufen und habe dieses Geld für den Tag vor der Vorstandsversammlung der Aktiengesellschaft benötigt.5

Am Ende des Verfahrens wurde Haberstocks Erklärung als Hirngespinst eingestuft, Nicolas Zwangseinwilligung anerkannt und der Verkauf für null und nichtig erklärt.6 Bevor jedoch die Anordnung zur Rückgabe der beiden Gemälde an ihren früheren Eigentümer erfolgte, wurde ein Experte damit beauftragt, zu überprüfen, ob der an Nicolas überwiesene Betrag direkt oder indirekt aus dem Trésor français, der französischen Staatskasse, kam; in diesem Fall würden die beiden Werke gemäß Artikel 3 der Verordnung vom 9. Juni 1945 dem Staat übereignet.7 Die Ermittlungen zur Herkunft der für den Kauf der beiden Gemälde verwendeten Mittel erbrachte den Beweis, dass der zugunsten des Empfängers Etienne Nicolas ausgestellte Bankscheck tatsächlich von einem Konto zu Lasten des Trésor français ging, das die Banque de France der deutschen Botschaft für Besatzungskosten zur Verfügung stellte, wodurch das Recht des Staats auf Einbehaltung der besagten Güter begründet wurde. Dieses Recht wurde im Übrigen durch den Erlass vom 31. Oktober 1947 zur Rückgabe der vom Kriegsgegner entzogenen Güter noch gestärkt.8

Im Januar 1948 willigte Nicolas unter dem Druck der CRA und der Zollbehörde ein, in einem Vergleich seinen Antrag auf Rückgabe der beiden Rembrandt-Gemälde zurückzuziehen, um im Gegenzug die Einstellung des von der CRA und dem Office des biens et intérêts privés (OBIP) [Büro für private Vermögenswerte und Ersatzansprüche] angestrengten Berufungsverfahrens zu erwirken, mit dem sie den Gerichtsentscheid zu seinen Gunsten anfochten.9 Im November 1948 schlug der Sammler, der bekräftigte, „dass er immer die Absicht gehabt habe, sie [die Gemälde] dem Louvre zu geben“, eine – von Jacques Jaujard und dem Direktor des OBIP begrüßte – Lösung vor, die es ihm letztendlich erlaubte, seinen eigenen Ruf wie auch den seines Unternehmens durch einen philanthropischen Akt zu retten. Nicolas musste schließlich im Rahmen des von der Zollbehörde angestrengten Prozesses vor der Strafkammer des Gerichts erscheinen, bei dessen Ausgang ihm eine Geldstrafe in Höhe des Verkaufspreises der beiden Gemälde auferlegt wurde, da er „materiell zur Verarmung des Staates beigetragen“ habe.10 Am 23. Dezember 1948 wurden die beiden Werke offiziell durch die Gemäldesammlung des Louvre erworben.

Angesichts der dürftigen Quellen zum Schicksal der Sammlung Nicolas ist nicht herauszufinden, ob diese in den Jahren nach seiner Rückkehr aus Amsterdam noch nennenswert weiterwuchs oder ob Nicolas gar von dem florierenden Kunstmarkt der Besatzungszeit profitierte, um seine Sammlung zu erweitern.11 Auch der Verbleib der Sammlung nach dem Tod Nicolas‘ liegt weiter im Dunkeln, da sie nicht in seiner Nachlassurkunde aufgeführt wird.12 Sie wurde, teilweise oder vollständig, von seinen Nachkommen ab 1962 bei diversen Versteigerungen aufgelöst.13